DFB-Pokal

Der große Coup der VfB-Amateure - und die große Farce danach

Als Stuttgart Frankfurt mit 6:1 aus dem Pokal warf

Der große Coup der VfB-Amateure - und die große Farce danach

Leere Ränge, große Gefühle: Die VfB-Amateure jubeln über ihren Triumph gegen Frankfurt.

Leere Ränge, große Gefühle: Die VfB-Amateure jubeln über ihren Triumph gegen Frankfurt. imago sportfotodienst

Einen gemütlichen Fernsehnachmittag hatte bestimmt niemand erwartet, und der wurde es auch nicht. Zwar starrten die Spieler von Eintracht Frankfurt an einem Mittwoch im August 2000 gemeinsam zweieinhalb Stunden auf einen Bildschirm, doch was sie dort sahen, war so verstörend, dass sie danach das Trainingsgelände blitzartig verließen. Felix Magath hatte Felix-Magath-Dinge gemacht.

Zwei Tage zuvor hatte die Eintracht am zweiten Bundesliga-Spieltag mit 1:4 beim 1. FC Köln verloren, woraufhin der Trainer seine Mannschaft ausnahmsweise nicht auf dem Trainingsplatz, sondern beim Videostudium quälte. Doch schon am darauffolgenden Samstag quälte sie zurück, in 90 statt 150 Minuten.

"Unterschiede gab es nur zwischen Ausfällen und Totalausfällen"

"Wenn wir uns bei den Amateuren des VfB Stuttgart genauso auskontern lassen, können wir auch dort verlieren", hatte Kapitän Torsten Kracht gewarnt, doch natürlich hatte das niemand wirklich ernst genommen. Noch im Jahr zuvor hatten Erstligisten im DFB-Pokal in der ersten Runde nicht einmal mitspielen müssen.

Doch die Eintracht verlor ihr Erstrundenspiel am 26. August 2000 nicht nur, sie wurde derart abgeschossen, dass der kicker notierte: "Jeder einzelne Stuttgarter war seinem Gegenüber 90 Minuten haushoch überlegen. Bei den Gästen entpuppte sich die Mehrzahl der Bundesligaspieler als pomadige Stolperkünstler, Unterschiede gab es nur zwischen Ausfällen und Totalausfällen."

Gerade einmal 1700 Zuschauer waren im Gottlieb-Daimler-Stadion dabei, als der VfB Stuttgart II, der Tabellenvierte der drittklassigen Regionalliga Süd, die Frankfurter mit 6:1 abfertigte und DFB-Pokal-Geschichte schrieb: Bis heute hat kein anderer Bundesligist in diesem Wettbewerb so hoch bei einem Amateurteam verloren. Mit einem Durchschnittsalter von 21,15 ließ die Mannschaft von Trainer Rainer Adrion die älteste Abwehr der Bundesliga weiter ergrauen.

Ein unbekanntes Leichtgewicht spielt Frankfurt schwindelig

Angeführt von einem vor wenigen Wochen erst im weißrussischen Baryssau entdeckten 19-jährigen Leichtgewicht lieferte sie Magath fast minütlich neues Videomaterial. Nachdem Angelo Vaccaro (16.) die Führung besorgt und Jörn Schmiedel das 2:0 aufgelegt hatte (34.), trafen Robert Vujevic (50./67.) und Ioannis Amanatidis doppelt (78./90.), während Aliaksandr Hleb, das unbekannte Leichtgewicht, Dribbling um Dribbling zelebrierte und auch die Rote Karte für Markus Lösch erzwang (50., Notbremse).

Die Eintracht hatte zwischenzeitlich durch Jan Age Fjörtoft auf 1:2 verkürzt (39.), was an Magaths Fazit nichts änderte: "Der VfB hat über 90 Minuten Fußball gespielt, wir keine einzige." Als die wütenden Eintracht-Fans später den Bus blockierten, riefen sie: "Felix, hol die Peitsche raus."

Die Pokal-Auslosung wird zum "Witz", die DFB-Anpassung kommt zu spät

Das war erst der Anfang: Angelo Vaccaro jubelt, SGE-Kapitän Torsten Kracht (re.) kann's nicht fassen.

Das war erst der Anfang: Angelo Vaccaro jubelt, SGE-Kapitän Torsten Kracht (re.) kann's nicht fassen. imago sportfotodienst

Während Magath im Januar schließlich gehen musste und die Eintracht nach zwei späten Rettungen in den Vorjahren diesmal wirklich abstieg, endete die Pokalreise der VfB-Amateure so historisch wie sie begonnen hatte: In der zweiten Runde wurde ihnen der VfB zugelost, also die erste Mannschaft, deren Trainer Ralf Rangnick von einem "Witz" sprach.

VfB I bezwang VfB II schließlich "auswärts" mit 3:0, wobei Rangnick sämtliche Stammspieler geschont und mehrere Amateure hochgezogen hatte, von denen Amanatidis und Christian Tiffert sogar trafen. Für den kicker war es "die vielleicht größte Farce in der 65-jährigen Geschichte des DFB-Pokals", für den Verband Anlass zu einer Modusänderung: Ab der folgenden Saison waren klubinterne Duelle vor dem Finale ausgeschlossen, ab 2008 generell zweite Mannschaften.

Acht aus der damaligen VfB-Startelf wurden aber ohnehin Profis. Neben Hleb (168 BL-Spiele), der eine internationale Karriere über Arsenal und Barça hinlegte, Amanatidis (198), Vujevic (1) und Vaccaro (2) liefen auch Andreas Hinkel (163), Fabio Morena (8), Frank Posch (5) und Rüdiger Kauf (184) in der Bundesliga auf. Die erste Mannschaft scheiterte unter Rangnick erst im Halbfinale gegen Schalke (0:3). 17 Tage später ersetzte ihn Magath.

Jörn Petersen