Aus Dublin berichten Stephan von Nocks und Leon Elspaß
Jonas Hofmann blieb entspannt. Dem 31-Jährigen war in Dublin ein Bankplatz zugewiesen worden, also musste er von außen zusehen, wie seine Mannschaft gegen Atalanta Bergamo (0:3) recht zügig den Faden verlor und ungewohnt fahrig zu Werke ging. Doch kein Grund zur Sorge, dachte sich Hofmann zumindest zunächst. "Nach zehn Minuten haben wir uns auf der Bank gesagt, dass das normal sei." Es war schließlich die Anfangsphase des Europa-League-Finals, ein wenig Nervosität muss da gestattet sein. Wobei, und das merkten Hofmann und seine Bank-Kollegen dann wenig später, es eben nicht nur diese ruckelige Startphase war - Bayer kam nie wirklich ins Rollen.
Den ersten haarsträubenden Fehlpass erlaubte sich Edmond Tapsoba nach sechs Minuten, wenig später beging Piero Hincapie ein unnötiges Foul in der Nähe des Strafraums, und wiederum zwei Zeigerumdrehungen danach war es Granit Xhaka, für gewöhnlich ja der umsichtige Denker und Lenker im Bayer-Mittelfeld, der die Italiener mit einem schlechten Zuspiel zum Angriff einlud.
Hofmann registrierte "viele Fehler, viele individuelle Fehler, viele Fehlpässe, einfache technische Fehler". Er seufzte, vom Start weg sei das Spiel seiner Mannschaft "nicht Bayer-like" gewesen - Bergamo habe vielmehr das Gefühl bekommen, "dass sie gegen uns bestehen und den Titel holen können. Wir", gestand Hofmann nach der 0:3-Niederlage, "hatten dem wenig entgegenzusetzen."
Leverkusen kann im Zweikampf nicht mithalten
Dass Bergamo extrem aggressiv und mannorientiert agieren würde, davon war auszugehen gewesen vor diesem Endspiel. Dennoch hatte die Werkself gewaltige Probleme. "Wir hatten im Aufbau nicht die Überzeugung", sagte Hofmann, wenngleich ein Plan freilich bestand: "Wir wollten über die Außenverteidiger flach ins Zentrum oder mit Diagonalbälle spielen, die Tiefe nutzen." Atalanta aber provozierte mit seinem eingeübten und längst schon charakteristischen Schwarmverhalten vielerlei Leverkusener Ballverluste, stand dem bis zu diesem Tag ungeschlagenen deutschen Meister fast permanent auf den Füßen und spielte seine ausgeprägte Physis aus.
"Wir hatten ein zu geringes Balltempo", kritisierte Geschäftsführer Simon Rolfes, der damit haderte, dass es sein Team nicht geschafft habe, über zügige, saubere Ballzirkulationen Geschwindigkeit ins Spiel zu bekommen. "Eigentlich haben Zweikämpfe das Spiel dominiert, und da waren sie besser", sagte Rolfes. In "fast allen Situationen auf dem ganzen Platz" sei Bayer nur der zweite Sieger gewesen.
Und klar, "wir wussten schon, dass sie eine absolute Top-Mannschaft in Europa sind, wenn es viele Zweikämpfe gibt". Daher rührte laut Rolfes auch die Idee, "ein Spiel mit Raum und viel Balltempo zu kreieren", um gar nicht so oft gepresst werden zu können und die Stärken im Kombinations- und Tiefenspiel zum Tragen zu bringen. Aber: "Das haben wir nicht geschafft." Wohl wahr.
Hradecky vermisst die offensive DNA
Bayers Spiel krankte gewaltig. Es fehlten Kontrolle, Präzision und die passenden Rhythmuswechsel, für die normalerweise ohne Weiteres Xhaka und Kollege Exequiel Palacios verantwortlich zeichnen können. Als Impuls- und Taktgeber indes trat das Duo diesmal nicht auf, im Gegenteil. Xhaka und Palacios reihten sich ein in eine auf diesem absoluten Top-Niveau diesmal klar unterlegene Mannschaft, die sich viel zu selten in die gefährlichen Zonen kombinieren konnte. Und die nötige Durchschlagskraft vermissen ließ, war sie dann doch mal dort angekommen (Alejandro Grimaldo, 19. und 34.).
"Von unserer offensiven DNA habe ich ganz wenig gesehen", befand Kapitän Lukas Hradecky, der wie immer in dieser Europa-League-Saison Matej Kovar den Vortritt im Tor ließ. Und Hofmann räumte ehrlich ein: "Wir haben kaum Lösungen gefunden." Weder mit Tempo noch mit dem oft lockenden Ballbesitzfußball, weshalb Trainer Xabi Alonso konstatierte: "Wir hatten einen schlechten Tag."
Im Angriff verzichtete der Baske zunächst auf einen klassischen Neuner, formierte wie bei der AS Rom im Europa-League-Hinspiel (2:0) eine flexible, schnelle Offensivreihe mit den beiden Tiefensprintern Jeremie Frimpong und Amine Adli sowie Kreativdirektor Florian Wirtz. Allein: Sie alle hingen mehr oder minder in der Luft, ähnlich wie Victor Boniface, der als klassischer Angreifer zur zweiten Hälfte in die Partie kam.
Defensiv agiert Bayer zu passiv und inkonsequent
Und da sich darüber hinaus noch viel zu viele defensive Unzulänglichkeiten ins Spiel der Werkself mischten, hatte sie in ihrem dritten europäischen Finale der Klubhistorie schlicht keine Chance im Duell mit Atalanta Bergamo, das klar und geradlinig kombinierte und mit dem Ex-Leipziger Ademola Lookman den überragenden Schützen in seinen Reihen hatte. Der schnelle Flügelspieler entsendete drei Schüsse an diesem für ihn ganz besonderen Abend in Dublin, und gleich dreimal schlug der Ball im Leverkusener Gehäuse ein. Wuchtig und präzise.
Vor dem 1:0 entwischten Vorlagengeber Davide Zappacosta und Lookman, den der indisponierte Palacios nicht kommen sah. Dem 2:0 ging ein Ballverlust von Adli nach einem Abstoß von Kovar voraus, Lookman kurvte in Richtung Tor, ließ vor seinem Schuss Xhaka aussteigen, der in dieser Szene keine Unterstützung vom passiven Tapsoba erhielt. Und beim 3:0 stand ebenfalls Tapsoba im Fokus - erneut fand er nicht ins Duell mit Lookman.
Der Triple-Traum ist ausgeträumt
Unkonzentriert, passiv und inkonsequent - so verhielt sich die Werkself in vielen Situationen. Und so ist der Triple-Traum nun ausgeträumt. Die Enttäuschung sei groß, bekräftigte Hofmann, der mit seinen Kollegen am Samstag im DFB-Pokal-Finale gegen den 1. FC Kaiserslautern "eine fast perfekte Saison" erreichen will. Die voll und ganz perfekte Spielzeit ist seit Mittwochabend nicht mehr möglich.