3. Liga

"Dann würden wir deutlich mehr Drittligapleiten erleben"

Insolvenzverwalter Reiter über Türkgücü-Aus

"Dann würden wir deutlich mehr Drittligapleiten erleben"

Ein Beispiel, wie es nicht laufen sollte: Türkgücü München (Kapitän Alexander Sorge).

Ein Beispiel, wie es nicht laufen sollte: Türkgücü München (Kapitän Alexander Sorge). IMAGO/Ulrich Wagner

Reiter kennt sich in der Branche aus, führte jahrelang die Geschäfte der deutschen Fußballvermittler-Vereinigung DFVV, zudem nach wie vor die Kanzlei Dr. Reiter & Dr. Kemmeries. Im Gespräch mit dem kicker kritisiert der Rechtsanwalt das Lizenzierungsverfahren für die 3. Liga als sinnentleert und wirbt für eine komplette Neuausrichtung der Spielklasse unterhalb der beiden DFL-Ligen.

Herr Reiter, DFB-Geschäftsführer Spielbetrieb Manuel Hartmann unterstrich zuletzt, dass im Fall Türkgücü die Fehler zuvorderst bei den Münchnern liegen. Zudem betont der DFB die Einmaligkeit des Falls. Wie sehen Sie das als seit langem im Fußball tätiger Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter?

Die Tatsache, dass die Einstellung des Spielbetriebs bei Türkgücü bisher einmalig war, ist sicher nicht dem Lizenzierungsverfahren des DFB geschuldet, sondern dem deutschen Insolvenzrecht. Jeder vorläufige Insolvenzverwalter ist nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO zunächst verpflichtet, einen vorgefundenen nicht geschlossenen schuldnerischen Geschäftsbetrieb fortzuführen und eine mögliche Sanierung vorzubereiten. Will der vorläufige Insolvenzverwalter den Betrieb einstellen, so weicht er von seinen Pflichten ab und kann die nur mit Zustimmung des Gerichts bzw. im eröffneten Verfahren mit Zustimmung der Gläubigerversammlung tun und nur dann, wenn die Fortführung unmöglich oder wirtschaftlich unvernünftig ist. Die Einstellung eines laufenden Geschäftsbetriebes kommt daher in der Tat nicht so häufig vor. Die Tatsache, dass es hier dazu gekommen ist, zeigt eigentlich nur wie dramatisch die Finanzlage bei Türkgücü gewesen sein muss.

Der Verband verweist auf einen dramatisch gestiegenen Personalaufwand. Von geplanten drei Millionen Euro in der Lizenzierung auf am Ende fünf Millionen.

Wenn es am Personalaufwand lag, dann muss man sich schon die Frage stellen, wieso der Klub mit einem geplanten Personalaufwand von drei Millionen Euro die Lizenz bekommt und diesen dann in der nächsten Transferphase auf fünf Millionen Euro erhöhen kann. Wie sieht eigentlich das Controlling beim DFB aus, wenn die überhaupt eines haben?

Das muss der Verband beantworten. Die 3. Liga gilt für viele Vereine als Zwischenstation zu den Fleischtöpfen der DFL, der Anreiz, über die Grenzen zu gehen, ist also groß. Machen Sie es sich nicht ein bisschen zu leicht, indem Sie das Lizenzierungsverfahren attackieren?

Im Kern muss man festhalten, dass der DFB bei der Lizenzerteilung stets und mit wachsender Sicherheit versagt. Die Lizenzverhandlungen, die ich selbst erlebt habe, dienten aus meiner Sicht nicht der ernsthaften Prüfung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Allein die Tatsache, dass der DFB "versprochene Liquidität" akzeptiert, ohne die Hintergründe des Versprechenden zu prüfen, zeigt wie sinnentleert das Lizenzverfahren ist. Die Insolvenzordnung gibt im Kern vor, wie Liquiditäts- und Wirtschaftspläne rechtssicher erstellt werden können. Es bedarf keines DFB-Sonderrechts. Es würde ausreichen, wenn man auf das zurückgreift, was ohnehin verlangt wird und von den Klubs, die bilanziell überschuldet sind, zwingend geliefert werden muss.

Dies sollte ja grundsätzlich im Sinne einer jeden Klubgeschäftsführung sein. Aber nochmal: Sie kritisieren, aber eine Lösung haben Sie auch nicht …

Die Lösung steht im Gesetz. Das, was der Gesetzgeber von jedem Unternehmen verlangt, reicht völlig aus. Die 3. Liga ist eigentlich eine wirtschaftliche Katastrophe, die keiner - außer dem DFB - will, weshalb es des Sonderrechts bedarf. Der DFB wiegt aber dadurch die Verantwortlichen in den Klubs in einer falschen Sicherheit. Diese glauben, dass sie ihren Pflichten nachkommen, wenn sie das liefern, was der DFB verlangt. Kommt dann der Insolvenzverwalter, dann kommt das böse Erwachen, weil die DFB-Unterlagen völlig zu unzureichend sind und die Verantwortlichen plötzlich persönlich haften. Hier trifft den DFB eine Verantwortung gegenüber den im Verein Tätigen. Würde man übliche Bewertungsgrundsätze anwenden, dann würden wir deutlich mehr der Drittligapleiten erleben. Die Anzahl der Insolvenzen ist bereits unter Anwendung des Sonderrechts hoch. Denken Sie an Aachen, Krefeld, Erfurt, Kaiserslautern, Türkgücü.

Noch mal: Das Problem ist bekannt, aber haben Sie eine Lösung?

Es wäre richtiger, die 3. Liga abzuschaffen und auf Ebenen der Regionalligen zu differenzieren, etwa in Nord, Süd, West und Ost, wie man das früher in der dritthöchsten Spielklasse getan hat. Das würde für die einzelnen Vereine weniger Kosten bedeuten bei gleichzeitiger höherer Attraktivität der Spiele. Am Ende könnten dann Playoffs um den Aufstieg in die 2. Bundesliga stehen, ähnlich wie es in England bereits der Fall ist. Das Problem ist, dass der DFB in seiner jetzigen Struktur mit der Führung einer Liga unter betriebswirtschaftlichen Grundsätzen schlicht überfordert ist. Es mangelt an Profis in der Zentrale, denen es um die Sache geht, und nicht um die persönliche Eitelkeit einer eigenen "DFB-Liga".

Interview: Benni Hofmann

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