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Chelseas Jorginho: Ein bisschen Pirlo, nur anders

Europas Fußballer des Jahres 2021 kommt aus Italien

Chelseas Jorginho: Ein bisschen Pirlo, nur anders

Strippenzieher des Champions-League-Siegers und des Europameisters: Jorginho.

Strippenzieher des Champions-League-Siegers und des Europameisters: Jorginho. Getty Images

Eigentlich verschießt er ja gar keine Elfmeter, doch den letzten vergab er fahrlässig. Im EM-Finale. In Wembley. Gegen England. Kein Problem, das war schließlich abgesprochen. "Ich hatte das mit Donnarumma abgemacht. Er sollte den nächsten Elfer halten und uns zum Europameister machen", sagte Jorginho anschließend. So kam es. Der "Professore" hatte mal wieder alles unter Kontrolle. Champions League, Europameister, europäischer Supercup binnen drei Monaten. Das hatte kein Spieler vor ihm erreicht.

Jorge Luiz Frello Filho, der Spielberichts-Bogen notiert Jorginho. "Er macht nichts nach hinten, er spaziert herum, er liefert keine Assists, er ist nutzlos", unkte TV-Experte Rio Ferdinand mal. Wohl dem, der so einen Tunichtgut im Team führt. Der Italo-Brasilianer gehört zu der Spezies, die wenige bemerken, wenn er dirigiert, und die jeder vermisst, wenn er fehlt.

Das war bereits in vier Jahren Neapel so, als ihn Maurizio Sarri zum unverzichtbaren Fixstern etablierte. 2015/16 avancierte er zum Mittelfeld-Spieler mit den meisten Ballkontakten in den fünf europäischen Top-Ligen. Sarri nahm Jorginho 2018 mit zu Chelsea, wo ihn das Paradox des angeblich Unscheinbaren verfolgte. Presse und Fans machten in ihm das Symbol des ungeliebten "Sarriballs" aus. Der Trainerliebling mit ineffektiven Querpässen. Nun gut, wer das wirklich denkt. Richtig ist es nicht. Jorginhos Spiel hat auch bei Chelsea zumeist Hand und Fuß.

Lücken geschlossen, an Tuchel angepasst

Während neben ihm zumeist N'golo Kanté fast alles abräumt, schlägt Jorginho eher die feinere Klinge. Ebenso wenig vernachlässigt er aber das Läuferische, das könnte er sich bei Thomas Tuchel und Chelseas Spielweise auch gar nicht erlauben. Und er hat sich auch taktisch verbessert: Verließ er in seiner Anfangszeit schon mal beim Pressing sinnfrei seine Sechserposition und riss hinter sich Lücken auf so groß wie der Piccadilly Circus, wählt er mittlerweile zumeist schlauere Wege und Momente des Anlaufens.

Doch zurück nach Italien: 1896 verließ Jorginhos Ur-ur-Großvater Vicenza in Richtung Brasilien, der Profi kehrte zurück und begann die Ausbildung in der Jugendschule von Hellas Verona. In der Heimat heizte ihn die Mutter nach der Arbeit jeden Sonntag am Strand an. Maria Tereza, Ex-Fußballerin im Amateur-Bereich. Aufstehen, Kopf hoch, Ball am Fuß. "Mama, der EM-Titel gehört uns beiden, du hast mir alles beigebracht", sagte Jorginho.

Beiß dich durch. Sonst brauchst du dich hier nicht mehr sehen zu lassen.

Jorginhos Mutter zu ihrem Sohn

Herrlich diese südamerikanischen Fußball-Telenovelas. Der Junge übernachtete in Verona im Kloster, lernte artig und dann: Neapel, Chelsea, Champions-League-Sieger, Europameister, Fußballer des Jahres. Zwischendurch wollte er dem Fußball mal Adieu sagen, und die Mama fauchte: "Beiß dich durch. Sonst brauchst du dich hier nicht mehr sehen zu lassen." Toughe Mutter.

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2012 erhielt er die italienische Staatsangehörigkeit und entschloss sich, für die Azzurri aufzulaufen. Jorginho erlebte in der Startelf das Desaster der verpassten WM in Russland, kurz darauf plante Mancini um den tief stehenden Dirigenten die italienische Renaissance. Ein bisschen Pirlo, nur anders, ganz viel Jorginho eben, und Ferdinand muss sich inzwischen auf die Lippe beißen.

Unglaublich, wie sich das Leben der Azzurri binnen drei Jahren verändert hat. Ein Projekt mit Jorginho-Symbolik. Mancini weiß das, Tuchel weiß es und jetzt auch Ferdinand.

Der Elfmeterspezialist: Im EM-Finale verschossen

Da wäre natürlich noch die Sache mit dem Elfmeter: Sein aufreizend lässiger Anlauf samt eingesprungenem Schlusshüpfer, der nahtlos in den Schuss übergeht, sind weiter sein Markenzeichen. Von den wenigen Fehlversuchen wie im Ligacup-Finale 2019 oder besagtem im EM-Finale 2021 lässt sich ein Jorginho nicht aus der Ruhe bringen.

Schon kurz danach, im Endspiel um den europäischen Supercup in Belfast, verwandelte Jorginho im finalen Showdown gegen Villarreal und räumte den nächsten Pott ab. Und nun diese Auszeichnung. Wer sich gegen Kanté, Kevin De Bruyne und den neuen Bundesligarekordtorschützen Robert Lewandowski durchsetzt, hat es nicht nur verdient, sondern auch die Fachwelt überzeugt. Inklusive Ferdinand.

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Oliver Birkner/Thomas Böker