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Causa Lineker: Die BBC hat das größte Eigentor geschossen

Kommentar von kicker-Chefredakteur Jörg Jakob

Causa Lineker: Die BBC hat das größte Eigentor ihrer Geschichte geschossen

Hat sich mit der BBC politisch überworfen - und hat deswegen bei "Match of the Day" gefehlt: Gary Lineker.

Hat sich mit der BBC politisch überworfen - und hat deswegen bei "Match of the Day" gefehlt: Gary Lineker. IMAGO/PA Images

Aus dieser zur nationalen Angelegenheit gewordenen Dissonanz spricht, welche Bedeutung "Match of the Day" und seine Ableger auf der Insel haben, somit der Fußball, speziell die Premier League. Es zeigt auch, welche Instanz der frühere Torjäger Gary Lineker mit 8,8 Millionen Followern alleine auf Twitter heute darstellt.

Der 62-Jährige, für seine geistreichen Formulierungen als Ausdruck von Meinungsstärke bekannt, kann der Institution BBC die Stirn bieten und sich gleichzeitig riesiger Unterstützung sicher sein. Die Solidarität von TV-Kollegen und Ex-Profis wie Alan Shearer und Ian Wright, Medienmenschen aus allen Ressorts sowie Trainern und Spielern der englischen Topligen ist erstaunlich.

Für einen derartigen Zusammenhalt waren bisher weder der Spitzenfußball, ein Haifischbecken, noch die Medienbranche, gewöhnlich ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, bekannt.

Die Grenzen des Erlaubten sind auf Twitter weiter gezogen

Der aktuelle Konflikt spiegelt die Gegensätze in der Asyldebatte wider, die im Vereinigten Königreich tobt. Er wirft ebenso ein bezeichnendes Licht auf die erneut beschädigte Unabhängigkeit der BBC, deren Nähe zur konservativen Regierungspartei mittlerweile nicht mehr zu leugnen ist aufgrund personeller Verquickungen. Das ist umso bemerkenswerter, da sich die BBC-Redaktionen in der Vergangenheit dem Vorwurf ausgesetzt sahen, durch eher linksliberal gefärbte Brillengläser auf die Welt um sie herum zu schauen.

Diskussionen, die in Deutschland durchaus nicht unbekannt sind, gerade auch hier in Debatten über die öffentlich-rechtlichen Anstalten und ihre Haltung zur Aufnahme von Geflüchteten und Asylsuchenden. Darf sich ein selbstständiger Moderator, der als Anchorman der bedeutendsten Sportsendung der BBC berühmt ist, in privaten Posts bis an die Grenze des rhetorisch Vertretbaren äußern, also so wie Lineker? Die Antwort muss eindeutig Ja heißen.

Denn: Die Grenzen des Erlaubten sind auf Twitter weiter gezogen, als sie es für eine Hauptnachrichtensendung sein dürften. Wer derartige, oft auch asozial genutzte Plattformen nutzt oder auch nur liest, weiß das. Zumal, wenn er professionell im Journalismus tätig ist. Oder gar verantwortlich, wie Linekers Arbeitgeber von der BBC.

Kein moralischer Kompass mehr bei der BBC

Die Einlassung Linekers war - selbst mit dem Vergleich mit dem Deutschland der 1930er-Jahre - eine im Social-Media-Rahmen und im Wissen um eine in England noch gern gebrauchte Rhetorik mit Nazi- und Weltkriegsbezügen durchaus vertretbare Äußerung. Im Sinne der Menschenrechte, gegen einen zweifelhaften Kurs von Brexit-Britain.

Den Moderator dafür arbeitsrechtlich einzubremsen, deckt eine Doppelmoral klar auf: Gegen die WM in Katar wohlfeile Zeichen zu setzen und gar die Berichterstattung in Teilen zu boykottieren, dann aber bei Menschenrechtsfragen im eigenen Land so über zu reagieren, verrät, dass die BBC keinen stabilen moralischen Kompass mehr hat.

Mit der Causa Lineker schoss sie das größte Eigentor, das "Match of the Day", gestartet am 22. August 1964, jemals ausgestrahlt hat.

Jörg Jakob

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