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Brdaric vor Liga-Start in Indien: "Zwei übermächtige Gegner"

Trainer im kicker-Interview

Brdaric vor Liga-Start in Indien: "Zwei übermächtige Gegner: Cricket und das Wetter"

War bis 2019 für knapp anderthalb Jahre Trainer von RW Erfurt: Thomas Brdaric.

War bis 2019 für knapp anderthalb Jahre Trainer von RW Erfurt: Thomas Brdaric. imago images/Karina Hessland

Es ist bereits seine fünfte Station im Ausland, vielleicht aber die bisher spektakulärste: Beim Chennaiyin FC, einem Klub an der Ostküste, beginnt für Ex-Nationalspieler Thomas Brdaric (47) in diesen Tagen die Indische Super League (ISL). Der Trainer hat klare Vorstellungen.

Wie groß ist Ihre Anspannung vor dem Liga-Start mit Ihrem Team Chennaiyin FC am kommenden Montag bei ATK Mohun Bagan, Herr Brdaric?

Anspannung ist da, vor allem aber Vorfreude, dass es nach drei Monaten Vorbereitung jetzt endlich losgeht. Dieses erste Spiel in Kalkutta ist schon einmal ein guter Gradmesser, auf den wir uns hier am Strand sehr gewissenhaft vorbereiten.

Am Strand?

Ja, aber es ist anders, als Sie vielleicht vermuten. Bei fast 15 Millionen Menschen in der Stadt sind Hitze und Smog ein großes Problem. Wir haben am Morgen ein gezieltes Krafttraining absolviert und sind dann ans Meer gefahren, um uns weiter bestmöglich einzustimmen - hier ist es etwas entspannter.

Projekt Chennai mit altem Wegbegleiter: "Natürlich helfen uns solche Spieler"

Was erwartet Sie am Montag beim Spiel in Kalkutta?

Darauf sind wir natürlich selbst gespannt. Wir haben einen sehr interessanten Kader zusammengestellt. Zuletzt kam mit Nasser El Khayati noch ein Top-Stürmer dazu. Er ist unser sechster und letzter Ausländer, der beispielsweise schon in den Niederlanden seine Qualitäten in der Offensive bewiesen hat.

Brauchen Sie diese Hilfen aus Europa?

Natürlich helfen uns solche Spieler, wie etwa auch Petar Sliskovic im Angriff. Dazu Verteidiger Fallou Diagne, der mich schon nach Vllaznia in Albanien begleitet hat und so etwas wie meine rechte Hand auf dem Platz ist. Oder auch Julius Düker, der in Havelse gestrandet war und jetzt - so wie ich - hier eine große Herausforderung sieht. Aber wir können und dürfen uns schon vom Reglement her nicht allein auf die Ausländer verlassen.

Warum nicht?

Die Statuten der ISL schreibt vor, dass maximal sechs Ausländer im Kader und vier von ihnen in der Mannschaft stehen dürfen. Das ist gut so, denn so will man die einheimischen Spieler fördern. Von denen haben wir auch einige im Aufgebot und führen zu einem sehr guten Mix in unserem Aufgebot. Mittelfeldspieler Anirudh Thapa zählt schon fest zur Nationalmannschaft Indiens, Stürmer Rahim Ali steht dort im Fokus. Das sind nur zwei von vielen jungen Talenten, die wir hier weiterbringen wollen.

Wenn Sie "Wir" sagen - wer gehört dazu?

Alle! Wir haben hier in Chennai vortreffliche Bedingungen. Mit meinem Assistenten Matko Djarmati, einem Kroaten mit albanischen Verbindungen, arbeite ich schon seit Jahren gut zusammen. Dazu haben wir einen weiteren Co-Trainer, der selbst Profi in Chennai war, einen Torwarttrainer, Videoanalysten, Physios. Wenn wir reisen, dann schon mal mit einem Tross von 40 bis 50 Personen. Der Klub wird zudem ausgezeichnet geführt, und unter anderem mit Asian Paints, einem internationalen Unternehmen aus Mumbai, gibt es einen starken Sponsor.

Das klingt europäisch, nicht wahr? Und dennoch ist alles anders.

Thomas Brdaric über den Fußball in Indien

Wie schätzen Sie allgemein Niveau und Stellenwert der ISL ein?

Da ist vergleichsweise von der deutschen 1. bis zur 3. Liga alles dabei. Übrigens auch, was die Verdienstmöglichkeiten angeht. Alle hoffen, dass der Fußball nach der Pandemie einen guten Re-Start hinlegt und die Leute anspricht. Die Stadien lassen einen guten Zuspruch zu. In Kalkutta passen 100 000 Menschen in die Arena, in unserer sind es 45 000. Der Klub rechnet zur Heimpremiere gegen Bengaluru am nächsten Freitag wohl mit rund 25 000 Fans. Das klingt europäisch, nicht wahr? Und dennoch ist alles anders.

Konkret?

Nehmen Sie allein die Entfernungen. Wenn wir hier in der Liga reisen, dann ist das ungefähr so, als wenn man in Europa ständig zwischen Köln, Madrid, Moskau oder Istanbul pendelt. Wenn hier ein Derby gespielt wird, dann liegen zwischen den Gegnern mitunter immer noch so viele Kilometer wie zwischen München und London.

Wie steht es um die Nationalmannschaft dieses riesigen Landes?

Igor Stimac, ebenfalls ein Kroate, leistet hier als Auswahltrainer gute Arbeit. Er hat schon viel bewegt und junge Spieler herangeführt. Mit ihm habe ich einen engen Draht. Aber noch fehlen einfach die Resultate. Gerade gab es zwei recht unbefriedigende Spiele in Singapur und Vietnam, unter schwierigen Bedingungen allerdings.

Von März an steigen die Temperaturen stetig auf bis zu 50 Grad. Bis dahin müssen wir mit unseren 20 Spielen durch sein.

Thomas Brdaric

1:1 und 0:3 hieß es gegen diese Gegner…

Ja, das klingt erst einmal enttäuschend. Aber in den Ländern in diesem Teil der Welt entwickelt sich auch überall der Fußball. Die Malediven kennen viele nur vom Urlaubmachen - sie haben eine eigene Liga dort. Oder nehmen wir Sri Lanka. Dazu gibt es die Großen: Japan, China, Australien, Indonesien, Thailand und die Staaten in der arabischen Region und den Iran. Indien hat großen Nachholbedarf. Ein Vergleich: Nur acht Prozent aller möglichen internationalen Turniere seit Weltkriegsende hat das Land erreicht - Südkorea 98 Prozent. Da sieht man den Unterschied. Über unsere Liga wollen wir diesen verkleinern.

Wie soll das gelingen?

Zum Beispiel mit uns ausländischen Trainern, etwa aus Spanien, Deutschland oder vom Balkan, und ihrem Knowhow. Die englische Premier League fördert die als Franchise-Projekt gestaltete Liga, die mehr und mehr ausgebaut werden soll. Nachdem zwei Jahre lang während der Pandemie alle Spiele ausschließlich in der Region Goa ausgetragen wurden, gibt es wieder echte Heim- und Auswärtsspiele. Elf Klubs nehmen teil. Ein Spieltag zieht sich über fünf Tage, jeden Tag findet eine Partie statt. Mit Star Sports gibt es einen Pay-TV-Sender, der überträgt. Alles in allem geht es für die ISL jedoch gewissermaßen gegen zwei übermächtige Gegner…

Cricket

Auch in Chennai: Cricket ist in Indien deutlich populärer als Fußball. imago sportfotodienst

Welche sind das?

Zum einen Cricket als traditionelle, äußerst populäre Sportart. Dieser Konkurrenz müssen wir mit unserem Spielplan aus dem Weg gehen. Und dann ist da das Wetter. Gewöhnlichen Winter- oder Sommerbedingungen kommt man hier mit modernen Anlagen und Kunstrasen sehr gut bei. Aber der Monsun… Er zieht das gesamte Jahr lang über das Land. Von März an steigen außerdem die Temperaturen stetig auf bis zu 50 Grad. Bis dahin müssen wir mit unseren 20 Spielen durch sein. Zumal im März und April auch noch der Supercup ausgespielt wird.

Wie hoch ist die Bedeutung dieses Wettbewerbs?

Es ist ein krönender Abschluss, denn die sechs Bestplatzierten der ISL nehmen teil. Und der Supercup-Sieger sichert sich, wie der Meister, einen von zwei indischen Startplätzen in der asiatischen Champions League. Gerade wird darum gekämpft, dass wie einen dritten bekommen.

Werden Sie mit Chennai dort nächstes Jahr vertreten sein?

Mein Anspruch, ganz oben dabei zu sein, ist wie immer da, sicher. Aber wir sind nicht im engsten Favoritenkreis vertreten. Es geht darum, Widrigkeiten stets als Herausforderung zu sehen und dem Team eine gewisse Wettbewerbsmentalität zu vermitteln. Dann ist bestimmt einiges möglich.

Wie kommen Sie persönlich mit den wieder einmal völlig neuen Lebensbedingungen klar?

Man muss grundsätzlich herausfinden, wo man glücklich ist und auf gutem Niveau seinem Job nachgehen kann. Das tue ich hier. Meine Erfahrung hilft mir und macht alles etwas leichter. Das Hotel-Leben, das wir hier führen, hat seine guten Seiten, klar. Aber es ist zugegeben auch manchmal recht einsam, weil es einem nicht die Wohlfühloase wie in einem richtigen Zuhause bieten kann.

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