Tennis

Ultimate Tennis Showdown (UTS) 2023 in Frankfurt: Als würde man Tennis neu erfinden

UTS: Zeitdruck, Bonuskarten und Technomusik

Als würde man Tennis noch mal neu erfinden

Nicht so getragen wie im "normalen" Tennis: Andrey Rublev, Grigor Dimitrov, Casper Ruud und Gael Monfils (v. li.) beim UTS in Frankfurt.

Nicht so getragen wie im "normalen" Tennis: Andrey Rublev, Grigor Dimitrov, Casper Ruud und Gael Monfils (v. li.) beim UTS in Frankfurt. UTS

Den anstrengendsten Job hat hier der DJ. Nach jedem Punkt spielt er für wenige Sekunden ein neues Lied an, die Bässe rumsen bis zu dem Moment, in dem der Ball für den nächsten Aufschlag in die Luft steigt. Idealerweise soll das sogar noch zu dem Spieler passen, der gerade gepunktet hat. Und wenn es einen Netzroller gibt, kommt binnen Sekundenbruchteilen "Lucky Day" von Sasha. Stressig, das alles.

Nur: Für "The Thunder", "Rublo" oder "La Monf" ist es nicht wirklich entspannter. So heißen Jan-Lennard Struff, Andrey Rublev und Gael Monfils hier, in der brüllend warmen Frankfurter Ballsporthalle. Es fühlt sich eher wie eine Techno-Party an als ein Profisport-Event. Ultimate Tennis Showdown, kurz UTS, heißt das Turnier, das nach dem Saison-Debüt in Los Angeles im Juli nun am Main Station gemacht hat.

Zwischen Ballwechseln gibt es maximal 15 Sekunden Pause

Vier Viertel à acht Minuten dauert ein Match, die Zählweise ist linear wie im Tie-Break. Sobald die Zeit abläuft, braucht der Führende noch genau einen Punkt. Steht es dann also beispielsweise 14:10, geht es bis 15. So ist die Restchance für eine späte Aufholjagd immer gegeben. Wer schließlich drei Viertel gewinnt, hat das Match in der Tasche. Bei 2:2 entscheidet ein rabiat kurzer Sudden Death: Wer zwei Punkte hintereinander holt, gewinnt. Nach spätestens einer Dreiviertelstunde steht der Sieger fest. Ist das überhaupt noch Tennis? Oder nur in neue Form gegossen?

Damit man überhaupt ins acht Spieler starke Teilnehmerfeld geladen wird, braucht es ein gewisses Spektakel im Spielstil. Monfils, Diego Schwartzman oder auch Benoit Paire: Sie sind wie geschnitzt für dieses Format. Ein Publikum mitzureißen, schaffen sie sogar bei einem getragenen, "normalen" Tennisturnier. Normal ist das alles hier allerdings nicht.

Schwartzman, durch seinen Auftritt in Los Angeles schon UTS-erfahren, nimmt das auffallend junge Publikum deswegen an die Hand: "Ich weiß, dass die Regeln zu Beginn etwas verwirrend sind", ruft er am ersten Tag den Frankfurtern zu. "Aber das wird ein cooles Wochenende, also genießt es."

Diego Schwartzman

Kleingewachsen, große Schläge: Diego Schwartzman (1,70 Meter) kann ein Publikum mitreißen. UTS

Wenn die Profis den Ball zum Aufschlag hochwerfen, johlen Fans hinein. Zwischen Ballwechseln gibt es maximal 15 Sekunden Pause. Ein Versuch für jeden Aufschlag - statt zwei. Und einmal je Viertel kann ein Spieler eine Bonuskarte einsetzen: Holt er den darauffolgenden Punkt, zählt dieser dreifach.

Man möge sich das in Wimbledon vorstellen. Mit dem feinen, weißen, leisen Tennis hat das nicht mehr viel zu tun. Und das ist Absicht. Nichts anderes als ein provozierter Kulturbruch.

"Wir sind mit der Idee gestartet: Wenn wir Tennis heute erfinden würden, wissend, wie die Menschen konsumieren, wie würde das aussehen?", sagt Patrick Mouratoglou. "Und die Antwort darauf war: Es wäre kurz und sehr schnell, da das Unterhaltungsangebot mittlerweile so groß ist, dass die Menschen nach kurzer Zeit direkt etwas Neues machen."

Monfils mit Tanzbattle und unmöglichem Winner

Der 52 Jahre alte Mouratoglou hat jahrzehntelange Erfahrung im Spitzentennis, coachte Serena Williams, Simona Halep oder Stefanos Tsitsipas. Dann rief er den UTS ins Leben. Und tatsächlich: Das Konzept passt bestens zu der Generation, die sich nicht lange auf eine Sache konzentrieren, die nicht lange stillsitzen will oder kann. Die Generation Second Screen. Die während eines normalen Tennis-Matches 81 WhatsApp-Nachrichten schreibt, 14 Instagram-Stories hochlädt und 26 Mal durch TikTok scrollt.

Hier können die Zuschauer sich das nicht leisten. Jeder Aufschlagfehler ist direkt ein Punkt für den Gegner. Vorbei die Zeit der Aufschlagriesen, deren erster Service kaum zurückzubringen war und die sich kaum breaken ließen. Vorbei die Zeit der Asse? Außer, man heißt Gael Monfils und lässt sich von einem Zuschauer auf der Tribüne erfolgreich genau dazu anstacheln.

Der 37 Jahre alte Franzose ist Gold wert für den UTS. Mal fordert er Rublev zu einem Tanzbattle auf, mal prügelt er einen Lustschlag-Slice aus unmöglicher Position am Netz vorbei zu einem Winner. Der Russe auf der anderen Netzseite fasst sich ungläubig mit beiden Händen an den Kopf, die Arena kocht - und diesmal nicht nur wegen der drückenden Hitze. Monfils lacht über seinen neu geschaffenen Schlag so sehr, dass er den folgenden Ballwechsel abbrechen muss und das Viertel verliert.

Monfils

Zauber-Schlag des Jahres von Monfils - inklusive Jubeltänzchen

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"Wenn ich das versuchen würde, träfe ich irgendwen auf der Tribüne", sagt Rublev in der nächsten Viertelpause. Minuten später probiert er es bei hohem Vorsprung tatsächlich - und verfehlt einen Zuschauer nur um Zentimeter. Weil der UTS auf die Doppelfelder verzichtet und auch das eigens produzierte Netz entsprechend schmaler ist, sind spektakuläre Schläge ums Netz herum viel leichter.

Rublev gegen Monfils, Casper Ruud gegen Grigor Dimitrov: Was für jedes Turnier auf der ATP-Tour Highlight-Matches sind, setzt sich der UTS als Standard. In einem schon bis zum Bersten gefüllten Tenniskalender lockt man diese Namen aber nicht nur mit neuen Regeln und lauter Technomusik. Satte Preisgelder sind im Spiel - die wieder eingespielt werden wollen.

Kein nordischer Gott, nur ein Tennisprofi: Andrey Rublev gewann das UTS-Turnier in Frankfurt.

Kein nordischer Gott, nur ein Tennisprofi: Andrey Rublev gewann das UTS-Turnier in Frankfurt. UTS

"Sie zahlen gutes Geld", gibt Rublev, der spätere Sieger des Turniers, zu. "Also spielen wir natürlich ernst." Von umgerechnet mehr als 1,5 Millionen Euro Preisgeld schrieb die "Los Angeles Times" über das UTS-Debüt in Kalifornien. Rund 100.000 Euro würden je Match ausgeschüttet, 70 Prozent gingen an den Sieger, 30 Prozent an den Verlierer. In ähnlichen Regionen dürfte sich das Salär in Frankfurt bewegen. 

Mit dem Ernstspielen, das Rublev anspricht, handhabt das aber jeder anders. Einmal, bei gegnerischem Matchball, übergibt Showmaster Monfils seinen Schläger an ein Ballmädchen und übernimmt dafür dessen Rolle. Beim UTS geht es weniger verbissen zu, mit mehr Grinsen, ohne hadernde Selbstgespräche. Zwischen den Vierteln werden die Spieler interviewt, was für zusätzliche Unterhaltung sorgt. Ein paar Spitzen austauschen, ein bisschen Smalltalk in drei Minuten. Keine Analyse, sondern Entertainment.

GER, Ultimate Tennis Showdown, Frankfurt am Main, 15.08.2023, 1. Runde Qualifikation Gael Monfils (FRA) gegen. Diego Schwartzman (ARG), 

Foto: Eibner-Pressefoto/Florian Wiegand

Monfils entspannt: Franzose überlässt Ballkind den Schläger

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"Es wird beim UTS genau in die Kerbe geschlagen, die dem Tennissport im Moment ein wenig fehlt und auch ein Problem ist", sagt der Frankfurter Cheforganisator Lars Zimmermann. "Ich liebe ja das Wort 'Tennistainment'. Und mit dem UTS kommen wir diesem Begriff schon sehr nah."

Das sonst verpönte Coaching? Explizit erlaubt. Nicht umsonst sitzen die Trainer auf einem weißen Sessel in der Ecke und rennen nach starken Ballwechseln zum Gratulieren auf den Platz.

Als Paire sein erstes Viertel gegen Struff gewinnt, wird er nach seinem Befinden gefragt: "Mir geht's gut. Tut mir nur leid für 'The Thunder'", sagt der bärtige Franzose, winkt und ruft ein langgezogenes "Sorryyyy" in Richtung der anderen Ecke. "Er ist ein feiner Kerl", antwortet Struff und dreht sich um: "Ich mag dich auch, Benoit."

Benoit Paire (li.) und sein Trainer Xavier Moureaux

Coaching auf dem Platz? Ist genauso möglich wie eine Glückwunschfaust nach einem starken Ballwechsel - hier bei Benoit Paire (li.) und seinem Trainer Xavier Moureaux. UTS

20 Sekunden vor Ende des zweiten Viertels liegt Struff 12:15 hinten, scheinbar aussichtslos. Dann nutzt der Deutsche seine Extra-Karte, gewinnt den Punkt und gleicht aus. Als die Zeit abläuft, führt Struff mit 16:15. Heißt: Wer zuerst 17 Punkte hat, gewinnt das Viertel - am Ende ist das Paire. Solche Verläufe wünscht sich Erfinder Mouratoglou.

"Dieser Modus macht das Spiel für uns viel intensiver, und es ist der einzige Wettbewerb, den ich im Tennis kenne, der auf Zeit ist", sagt der Norweger Ruud, UTS-Debütant und ehemaliger Weltranglisten-Zweiter. "Ich musste mich daran gewöhnen, dass man die Fans, die Musik und all die Sounds während des Spiels viel hört. Das ist natürlich ein Unterschied."

Los Angeles, Frankfurt, Seoul - und dann der Mittlere Osten

Der Samstag in Frankfurt geht als meistbesuchter Tag in die blutjunge UTS-Geschichte ein, insgesamt kamen nach Angaben der Veranstalter rund 12.500 Fans an den drei Tagen in die 5000 Menschen fassende Ballsporthalle. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Der Finaltag war nicht annähernd ausverkauft.

Für die UTS-Premierensaison hat Mouratoglou noch ein Turnier in Seoul Anfang Dezember geplant und ein Saisonfinale, irgendwo im Mittleren Osten. Offizielle Pläne zu einem großen Damen-Wettbewerb existieren noch nicht.

Nach sechs Matches an einem Wettkampftag schwirrt dem Beobachter der Kopf - ob der Dichte der Eindrücke oder der Dichte der Hallenluft. Sollte dieser ultimative Showdown, nein, diese ultimative Reizüberflutung mal der neue Standard im Tennis werden? Das werden die kommenden Monate zeigen.

Wäre jeder Profi mit dem Showtalent eines Gael Monfils ausgestattet, läge die Antwort vielleicht sogar auf der Hand.

Paul Bartmuß