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Cherundolo: "Bale gehört nicht zu den Top-Verdienern"

LAFC-Trainer über zwei neue Stars und seine Karriere

Cherundolo im Interview: "Bale gehört bei uns nicht zu den Top-Verdienern"

96-Rekordspieler und LAFC-Coach Steven Cherundolo (Mi.) trainiert nun die Weltstars Giorgio Chiellini (re.) und Gareth Bale (li.).

96-Rekordspieler und LAFC-Coach Steven Cherundolo (Mi.) trainiert nun die Weltstars Giorgio Chiellini (re.) und Gareth Bale (li.). Getty Images (2)/imago images

Nach dem 2:0-Sieg gegen die New York Red Bulls führt der Los Angeles FC weiterhin die Western Conference der Major League Soccer an. Verantwortlich auf der Trainerbank: Steven Cherundolo, Bundesliga-Rekordspieler (302 Einsätze) von Hannover 96. Seit Januar zählt Eintracht-Frankfurt-Idol Oka Nikolov (48) als Torwarttrainer ebenfalls zum Stab.

Gegründet wurde der LAFC im Jahr 2014 und startet erst seit 2018 in der MLS. Für weltweites Aufsehen sorgte der junge Klub dieser Tage mit zwei spektakulären Verpflichtungen: Nach Europameister Giorgio Chiellini (37) von Juventus Turin kommt auch noch Gareth Bale (32) von Real Madrid. Im kicker-Interview spricht Chefcoach Cherundolo über die beiden Coups, die eigene steile Karriere und die verschiedenen Fußballkulturen.

Nachdem der LAFC im Vorjahr die Playoffs verpasst hat, steht der Verein mit Ihnen als neuem Trainer nach 16 Spielen in der Western Conference ganz oben. Schweben Sie gerade auf Wolke 7, Mr. Cherundolo?

(lächelt) Nein, sicher nicht. In LA sind die Ansprüche immer maximal, egal in welcher Sportart. Wir leben und arbeiten in einer absoluten Sportstadt. Unabhängig vom Tabellenstand gehört hier der Sieg im nächsten Spiel zum Selbstverständnis. Da bleibt mir als Trainer keine Zeit zum Schweben.

Aber der Kontrast zum Vorjahr ist doch enorm. Und Platz 1 würde am Ende die Direkt-Qualifikation fürs Conference-Halbfinale bedeuten.

Okay, nach der Vorsaison konnte man nicht unbedingt erwarten, dass es gleich so gut läuft. Die Fans dürfen ja auch träumen. Doch für uns macht es keinen Sinn, so weit vorauszublicken. Die Saison hat 34 Spiele ...

Galaxy? Es gibt nur einen Verein in der Stadt!

Steven Cherundolo

LA Galaxy besitzt den eindeutig größeren Namen. Wer ist aber momentan faktisch die Nummer 1 in der Stadt?

Um genau zu sein: Es gibt nur einen Verein in der Stadt (lacht). Galaxy trägt zwar das LA im Namen, ihre Heimat ist allerdings 35 Kilometer außerhalb in Carson. Aber klar: Galaxy besteht seit 1995, sie sind Gründungsmitglied der MLS, waren fünf Mal Meister. Diese Tradition können wir so schnell nicht aufholen. Trotzdem bewegen wir uns sportlich, würde ich sagen, auf Augenhöhe.

Auch beim Zuschauerschnitt führt Galaxy mit rund 24.000 nur knapp.

Mit 23.500 Plätzen ist unser Stadion um einiges kleiner und häufig ausverkauft. Die Dauerkarten sind deshalb der noch bessere Indikator: Da liegen wir deutlich vorne …

Lebt man die Rivalität so verbissen wie bei Hannover gegen Braunschweig?

Von der Emotion her auf jeden Fall, obwohl die Geschichte ja viel jünger ist als zwischen 96 und Peine-Ost (schmunzelt). Im Pokal haben wir Ende Mai 1:3 gegen Galaxy verloren, danach haben schon einige Fans auf uns gewartet und waren sauer.

Die von NFL-Spielen abgeleitete Vorstellung, dass Profisport vom US-Publikum generell eher als Familien-Happening kultiviert wird, bei dem am Ende alle feiern, trifft also nicht zu?

Bei unseren Fans jedenfalls nicht. Die sind voll dabei und definieren sich komplett über Erfolg oder Misserfolg. Und genau in einer solchen Atmosphäre fühle ich mich pudelwohl.

Giorgio ist ein Typ, der auch mit fast 38 Jahren seinen Horizont noch erweitern will.

Steven Cherundolo

Mit der spektakulären Verpflichtung von Giorgio Chiellini und Gareth Bale hat der LAFC zuletzt globale Schlagzeilen gemacht. Wie kommen solche Transfers zustande?

Giorgio hatte bereits länger den Plan, eine Zeit lang in den USA zu leben und das möglichst noch mit seiner Karriere als Fußballer zu verbinden. Unser General Manager Will Kuntz pflegt davon unabhängig schon seit etlichen Jahren guten beruflichen Kontakt mit Giorgios Zwillingsbruder, Claudio (Sportdirektor beim Serie-B-Verein AC Pisa, Anmerkung d. Red.). Nachdem Italien die WM-Qualifikation verpasst hatte, reifte bei Giorgio der Entschluss, den Schritt schon in diesem Sommer zu gehen. Und aufgrund der bestehenden Verbindung zu seinem Bruder hatte der LAFC natürlich eine Top-Position.

Im Fall von Gareth stand unser Co-Präsident John Thorrington in engem Kontakt mit dem Berater. Am Ende war Gareth bereit, zu kommen, obwohl er bei uns nicht zu den Top-Verdienern gehört. Sonst wäre der Transfer auch nicht mehr möglich gewesen.

Sind mit solchen Stars dann nicht auch automatisch Titelerwartungen verknüpft?

Von außen vielleicht. Für mich ändert sich nichts - ich will immer jedes Spiel gewinnen.

Aber wird es für Sie als Trainer im internen Umgang komplizierter angesichts so großer Namen?

Das erwarte ich nicht. Ich habe mit beiden intensiv telefoniert, beide sind sehr offen und kommunikativ. Dabei kam rüber: Es sind Top-Spieler, die weiterhin Lust auf Fußball und Erfolge haben - bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit kann es doch nicht geben. Gareth hat die WM mit Wales als ein großes Ziel vor Augen. Ich war als Spieler dreimal bei einer WM, da kann ich ihm also vielleicht helfen.

Giorgio ist ein Typ, der auch mit fast 38 Jahren seinen Horizont noch erweitern will. Was den Fußball angeht, aber auch darüber hinaus. Zugleich ist er ein absoluter Teamplayer und wird unseren Jungs sehr viel vermitteln können, insbesondere dank seiner wahnsinnigen taktischen Erfahrung. Für mich als Trainer ist es ein Privileg, solche Spieler zu coachen. Ich freue mich sehr, die beiden bald auf dem Trainingsplatz dabei zu haben. Giorgio kommt diese Woche, Gareth dann in der nächsten.

Ab wann können Sie beide dann einsetzen?

Unser Transferfenster öffnet offiziell am 7. Juli. Ab da sind sie spielberechtigt.

Die internationalen Top-Transfers des Sommers

Also pünktlich zum Duell mit Galaxy in der Nacht auf den 9. Juli ...

Schau’n wir mal. Das wäre natürlich ein Timing …

Worauf werden sich Chiellini und Bale sportlich einstellen müssen?

Auf jeden Fall auf eine sehr athletische Liga. Die Bedingungen sind aus europäischer Sicht extrem. Zu Auswärtsspielen fliegen wir alle zwei Wochen eine Strecke wie von Lissabon nach Moskau. Ein Spiel bei 39 Grad und 75 Prozent Luftfeuchtigkeit in Houston mag dann langsam aussehen - aber es verlangt den Spielern unheimlich viel ab.

Welche Art Fußball prägt die MLS?

Gerade wegen der Bedingungen sind die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen größer, das Spiel ist nicht so kompakt wie in der Bundesliga. Der Einzelne muss dadurch oft weitere Wege gehen, die individuelle Zweikampfstärke bekommt eine noch größere Bedeutung.

Wie ist das Niveau im Vergleich zu Deutschland einzuordnen?

Die MLS-Topvereine könnten vielleicht in der 2. Liga eine gute Rolle spielen. Aber letztlich lässt es sich kaum vergleichen, weil das Spiel eben anders ist. Aus deutscher Perspektive wird die MLS gerne unterschätzt. Auch ein Chicharito oder Douglas Costa bei Galaxy tun sich nicht gerade leicht. Es gab auch schon einige Anfragen von Bundesligaspielern, die gerne zu uns kommen würden. Doch wenn ich das Profil dieser Spieler sehe, muss ich sagen: Sorry, unter bestimmten Aspekten reicht das leider nicht.

Ihr eigener Werdegang klingt fast ein bisschen nach Hollywood: Vergangene Saison waren Sie mit Las Vegas Lights, der zweiten Mannschaft des LAFC, Letzter in der 2. Liga geworden. Trotzdem durften Sie das A-Team übernehmen und stehen nun ganz oben.

Mein Team vergangene Saison hatte ein Durchschnittsalter von 20 Jahren, inklusive eines 36-Jährigen. Das ist so, wie wenn du mit einer A-Jugend in der 3. Liga oder in der Regionalliga gegen gestandene Männerteams antrittst. Rein von den Resultaten her wirst du da überrannt. Aber es ging letztlich nicht um Ergebnisse, sondern um die Ausbildung der Spieler.

Man ist hier etwas offener für Entwicklung.

Steven Cherundolo

In Deutschland wäre Ihre Beförderung in dieser Konstellation trotzdem kaum vorstellbar gewesen. Herrscht in den USA ein anderer Blick auf das, was einen guten Trainer ausmacht?

Man ist hier etwas offener für Entwicklung, das stimmt. Aber es herrscht nicht weniger Druck. So häufig zu verlieren, war nicht einfach, weder für mich noch für die Spieler. Umso bemerkenswerter finde ich, dass wir unsere Ausbildungsziele erreicht haben. Wir haben drei Spieler aus der zweiten Mannschaft in die MLS abgegeben, mehr als jeder andere Zweitligist. Und: Innenverteidiger Mbacke, ein Senegalese, ist mit 19 Jahren jetzt auch beim LAFC Stammspieler.

War Ihr persönlicher Aufstieg schon im Frühjahr 2021 im Hinterkopf?

John Thorrington holte mich für die Zweite Mannschaft "mit der Perspektive auf mehr". So schnell war das allerdings keinesfalls geplant. LAFC wurde ja von meinem ehemaligen Nationaltrainer Bob Bradley gecoacht, den ich sehr schätze. Er war mit ein Grund, dass ich überhaupt gekommen bin, weil ich hier sehr eng mit ihm zusammenarbeiten durfte und viel lernen konnte. Dass Bob und der Klub sich nach der Saison getrennt haben, fand ich deshalb schade. Das Management hat sich dann mit vielen Trainern beschäftigt - und am Ende blieb ich übrig.

Waren Sie davon überrascht?

Ich fand es nicht selbstverständlich. Aber ich war schon selbstbewusst genug, um zu sagen: Ich traue es mir zu. Die Verantwortlichen hatten vor Ort gesehen, dass ich ausbilden konnte. Als Co-Trainer in Hannover und Stuttgart habe ich aber auch die Erfahrung auf Profiebene gesammelt, wo Ergebnisse die absolute Priorität haben. Letztlich sind es zwei verschiedene Jobs - die ich beide ausfüllen kann.

In Deutschland bekamen Sie nach der Ausbildung zum Fußballlehrer 2020 trotzdem keine Chance.

In Hannover war das definitiv so. Ich glaube aber nicht, dass der Markt für mich komplett zu gewesen wäre. Doch wegen des Angebots aus LA habe ich mich gar nicht weiter damit beschäftigt. Für mich und die Familie war es der richtige Zeitpunkt, das zu versuchen. Wir fühlen uns sehr wohl hier. Und es war objektiv gut, auch mal Abstand zu gewinnen.

Inwiefern?

Wenn du 20 Jahre lang immer nur für denselben Klub spielst und arbeitest, so wie ich für 96, bist du irgendwann in deinen Ansichten und bei deinen Entscheidungen emotional befangen. Du denkst, dass dein Verein der Nabel der Fußballwelt ist, so wie viele andere das tun in Hannover und anderswo. Jetzt merke ich, dass es so viel mehr gibt. Das tut gut - ohne dass die Verbundenheit zu Hannover und 96 je verloren gehen wird.

In der Bundesliga haben zuletzt wieder sieben Vereine den Trainer gewechselt, teils nach nur einer Saison oder noch weniger. Wie bewerten Sie das?

Diese Fluktuation nervt tatsächlich. Unter einem Aspekt ließe es sich theoretisch positiv sehen: Man hat entschlossen gehandelt, statt die Entscheidung hinauszuzögern, bis es gar nicht mehr anders geht. Wirklich positiv ist ein solches Vorgehen aber nur dann, wenn ein Trainer zuvor tatsächlich die Zeit bekommen hat, etwas zu entwickeln.

In den USA bekommt man diese Zeit als Proficoach eher?

Ja. Das Management und die Eigner werfen ihre Überzeugung von einem Trainer hier nicht so schnell über Bord.

Ist eine Rückkehr als Bundesliga-Trainer trotzdem Ihr Ziel?

Ich habe prägende Jahre bei 96 verbracht, meine Frau kommt aus Hannover, die beiden Kinder sind dort geboren. Es wäre naheliegend, irgendwann auch mal wieder in Deutschland zu arbeiten.

Und es wäre der nächste Aufstieg in Ihrer Trainerkarriere.

So sehe ich das nicht. Es geht mir nicht um die Qualität der Liga oder der Spieler, mit denen ich arbeite. Sondern um das Projekt, die Leidenschaft, mit der es betrieben wird. Das kann auch eine Jugendmannschaft sein. Erfolg als Trainer bemisst sich für mich darin, das vorhandene Potenzial maximal auszuschöpfen. Das kann auf Platz eins der Fall sein, aber auch auf Platz zehn.

Interview: Thiemo Müller

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kicker-News vom 01.10.2023, 00:00 Uhr
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