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Nasazzi und Varela: Das oberste Regal im Celeste-Olymp

Weltmeister-Kapitäne repräsentieren weiter Uruguays Fußballidentiät

Nasazzi und Varela: Das oberste Regal im Celeste-Olymp

Obdulio Varela (2.v.li.) erhält den Weltpokal 1950 von FIFA-Präsident Jules Rimet (re.).

Obdulio Varela (2.v.li.) erhält den Weltpokal 1950 von FIFA-Präsident Jules Rimet (re.). picture alliance

Es sind die beiden großen Weltmeister-Kapitäne José Nasazzi und Obdulio Varela. Beide haben sie Eingang in die Hall of Fame des internationalen Fußballs gefunden. Jedes Kind in Uruguay kennt ihre Namen, noch heute. Dabei starb "Caudillo" Varela 1996 im Alter von 78, Nasazzi, der "Marschall" bereits 1968 mit nur 67 Jahren.

Preisträger Godin beschwört den Geist seiner Vorgänger

Diego Godin ist der Anführer der aktuellen Celeste, der Kopf der Mannschaft, nicht nur wegen seiner Kopfballstärke, sondern auch wegen seiner Leader-Qualitäten. Dieser Abwehr- und vor allem Mannschafts-Chef erhielt 2016 vom uruguayischen Parlament den Preis "José Nasazzi-Obdulio Varela". Und sagte neben Vokabeln wie "Stolz" und "Dank" vor allem dies: "Die beiden Namensgeber haben nicht nur im Fußball Geschichte geschrieben, sondern generell für unser Land. Ich verspreche und verpflichte mich, in ihrem Sinne weiterzumachen, auf und neben dem Platz."

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Die großen defensiven Anführer haben Tradition in der Celeste. Vor Godin war dies Diego Lugano. Über den sagte einst Diego Forlan, selbst immerhin als bester Spieler der WM 2010 ausgezeichnet, 2005 und 2009 auch Torschützenkönig in Spanien und jeweils sogar Bester Torjäger Europas: Diego Lugano gebe die Richtung vor, er "herrscht bei uns auf und neben dem Platz". Luganos Rolle übernahm Godin. Doch wer auch immer eines Tages auf Godin folgen wird: Sie alle stehen in der Nachfolge von José Nasazzi und Obdulio Varela.

Nach Nesazzi-Ansprache: Uruguay dreht WM-Finale 1930

Psychologen im Stab der Celeste gab es damals noch nicht, diese Rolle übernahm in den Zwanzigern bei den Olympiasiegen 1924 und 1928, aber auch bei diversen Siegen in der Südamerika-Meisterschaft: José Nasazzi. Er dirigierte auf dem Platz und bis in die Köpfe und Psyche seiner Kollegen hinein. Höhepunkt - aus heutiger Sicht - der WM-Sieg 1930. Damals stand vor allem der Sieg im Prestige-Duell im Finale mit Argentinien im Vordergrund. Nasazzi rüttelte die Mannschaft in der Halbzeit wach, aus einem 1:2 wurde ein 4:2.

20 Jahre später war Obdulio Varela der Fels, an dem sich alle aufrichten konnten. Der defensive Mittelfeldspieler war als Mannschaftsführer wortgewaltig, respekteinflößend, aber auch mit der nötigen Empathie ausgestattet, die Kollegen mitzureißen. Vor dem entscheidenden Gruppenspiel im Maracana gegen die Gastgeber nahm er seinen Mitspielern die Angst: "Die da draußen sind Stöcke, mehr nicht." 150.000, vielleicht sogar 200 000? Die Legende lebt, aber Varela wusste schon damals, am 16. Juli 1950 kurz vor 15 Uhr Ortszeit: "Sie spielen nicht mit."

200.000 Zuschauer? Varela: "Augen nur auf Gegenspieler"

All die Zuschauer also im proppenvollen Maracana können der Celeste nichts anhaben. Nur die elf Spieler, die die Seleçao auf den Platz schicke. Und die bekomme man mit Konzentration schon in den Griff. Also: "Die Augen nur auf die Gegenspieler richten."

Obdulio Varela (li.)

Uruguays Weltmeister-Elf von 1950 um Kapitän Obdulio Varela (li.). imago images

So gestärkt führte Varela dann die Celeste auf den Rasen, der "Negro Jefe", der schwarze Chef vorneweg, wie er aufgrund seiner auch afrikanischen Abstammung genannt wurde. Am Vorabend soll er gar noch auf eine Zeitung gepinkelt haben, die schon von Brasiliens WM-Titel schwadroniert hatte. Für einen wie Varela, aufgewachsen in ärmlichsten Suff-Verhältnissen und als Kind selbst Zeitungsverkäufer, war dies nur Antrieb. Selbst schuld, diese Brasilianer.

Es galt, die große Historie der Celeste wieder aufleben zu lassen. Argentinien war in den Vierzigern die dominierende Mannschaft in Südamerika gewesen, Uruguay hatte den Anschluss etwas verloren. Es ging gegen Brasilien, ja, zumal um den WM-Titel. Aber es ging auch um die alte Rivalität vom Rio de la Plata. Und Uruguay triumphierte.

Bier und Frankfurter statt Feier im Hotel

Nach dem "Maracanazo" (im Spanischen mit "z", im Portugiesischen mit "c") hieß es, man solle lieber im Hotel feiern. Ausgehen sei zu gefährlich. Es bestehe Lebensgefahr angesichts der Enttäuschung unter den Millionen Fans in Rio. Die Bosse vom Verband aber gingen in einen Nachtklub, doch die Funktionäre (er)kannte ja auch keiner. Die Mannschaft indes begoss den Sensationserfolg in einem Zimmer des Hotels Paysandu im Stadtteil Flamengo.

Der Boss der Spieler jedoch, so erzählte es auch Siegtorschütze Alcides Ghiggia später, ließ sich nicht einsperren - und ging um die Ecke einen heben. Nur "mit einem Freund", wie Varela einmal erklärte. "Bier und Frankfurter" habe es gegeben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Klare Kante, wie sein Spiel. Wie 1942 beim Sieg in der Südamerikameisterschaft. Oder all den Titeln mit Penarol Montevideo. Auch an jenem Tag im Jahr 1950, als ganz Brasilien weinte, hatte Varela seine Arbeit getan. Als Dirigent im Hintergrund, während die Welt noch heute auf die Tore von Pepe Schiaffino und Alcides Ghiggia guckt.

Uruguay war wieder auf dem Fußball-Thron, und Varela stand als Kapitän in der Nachfolge des großen Nasazzi. Hier Varela, der einstige Heroe von Penarol, dort Nasazzi, der von Nacional. Mehr Ausgewogenheit geht nicht in Uruguays Olymp.

Jörg Wolfrum