Champions League

Ein Angriff, fünf Strafen: Ajax hadert mit irrer Szene

Wie an der Stamford Bridge "die Hölle ausbrach"

Ein Angriff, fünf Strafen: Ajax hadert mit irrer Szene

Vorher - nachher: Ajax spielte an der Stamford Bridge gut 20 Minuten zu neunt, Chelsea bejubelte noch das 4:4.

Vorher - nachher: Ajax spielte an der Stamford Bridge gut 20 Minuten zu neunt, Chelsea bejubelte noch das 4:4. Getty Images (2)

Tore: acht (vier für Chelsea, vier für Amsterdam).

Eigentore: zwei (eines mit dem Gesicht).

Platzverweise: zwei (für jeden Ajax-Innenverteidiger einer).

Elfmeter: zwei (beide für Chelsea).

Durch VAR aberkannte Tore: eines (es wäre das 5:4 gewesen).

Wofür manchmal ganze Gruppenphasen nicht reichen, das passierte am Dienstagabend an der Stamford Bridge alles auf einmal. Chelsea und Ajax Amsterdam lieferten sich einen Schlagabtausch, wie man ihn in der Champions League lange nicht gesehen hat, also nicht seit den letztjährigen Halbfinals. "Die Hölle ist ausgebrochen", versuchte Gary Lineker die Geschehnisse nach dem 4:4-Endstand im englischen TV zu ordnen. "Es war Wildwest-Fußball."

Es sah aus wie auf dem Schlachtfeld, dann begann Rocchi auszuteilen

Ajax hatte nicht nur zur Pause mit 3:1 geführt, sondern bis zur 62. Minute gar mit 4:1. Doch Chelsea kam zurück und zwar nicht irgendwie, sondern vor allem durch das, was sich in der 68. Minute, kurz nach dem Tor zum 2:4 (63.), ereignete. Aus einem einzigen Angriff wurden fünf K.-o.-Schläge für die Gäste.

Bei einem Zweikampf zwischen Christian Pulisic und Daley Blind kamen beide zu Fall. Der Ajax-Verteidiger rappelte sich auf, kam aber gegen Tammy Abraham zu spät und säbelte ihn um. Schiedsrichter Gianluca Rocchi ließ Vorteil laufen, und als der eingewechselte Callum Hudson-Odoi abzog, blockte Joel Veltman den Ball im Strafraum mit der Hand. Drei Spieler kugelten sich auf dem Rasen, es sah aus wie auf einem Schlachtfeld.

Und Rocchi begann auszuteilen: Gelb-Rot für Blind, Gelb-Rot für Veltman, Elfmeter für Chelsea. Auf einen Schlag verlor Ajax beide Innenverteidiger, und plötzlich stand es 3:4 nach Toren und 11:9 nach Spielern. Chelseas Aufholjagd hatte den entscheidenden Anschub bekommen.

Lampard hat 609-mal Premier League gespielt, aber nicht mal er kann sich an so ein Spiel erinnern

Der zur Pause eingewechselte, 19 Jahre junge Reece James glich zum 4:4 aus (74.), und Azpilicuetas fast minutenlang umjubeltes Tor zum 5:4 (78.) zählte nur nicht, weil der VAR Abrahams minimales Handspiel in der Entstehung regelkonform nicht durchgehen ließ. Michy Batshuayi vergab noch zwei exzellente Chancen (90./90.+4), noch bemerkenswerter aber war, dass der ebenfalls eingewechselte Edson Alvarez auf der anderen Seite das 5:4 genauso auf dem Fuß hatte (86.). Torwart Kepa, vor der Pause noch mit dem Gesicht-Eigentor, parierte stark.

"Ich habe schon viele verrückte und großartige Abende erlebt", staunte Chelsea-Trainer Frank Lampard, der in seiner aktiven Zeit allein 609 Premier-League-Spiele absolviert hat. "Aber ich glaube nicht, dass ich schon mal an so einem Spiel beteiligt war, man kann auch nicht viele damit vergleichen - allein mit dem VAR, diesem neuen Tier, und den Platzverweisen."

Ten Hag ist "stolz": Diese wahnsinnigen Amsterdamer spielten tatsächlich aufs 5:4

Diese konnte auch die Gegenseite nicht fassen. "Für mich ist es ein Foul an Daley Blind, der dann foult, weil er gefoult wurde", haderte Trainer Erik ten Hag nicht ohne Berechtigung. Auch der Handelfmeter sei keiner gewesen. "Es war ein Handspiel, aber was soll er mit seiner Hand machen?"

In einer einzigen Szene sei man "mehrfach bestraft" worden, sagte der Trainer, der mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht wird, und zählte auf: zweimal Gelb-Rot, der Elfmeter, und oben drauf noch zwei Sperren für beide Innenverteidiger; und das in einer Gruppe, in der jetzt drei Teams sieben Punkte haben und Ajax den direkten Vergleich mit Chelsea verloren hat. "Ob ich sauer bin? Eher enttäuscht, enttäuscht vom Ergebnis. Aber auch stolz darauf, wie wir zu neunt gespielt haben." Diese wahnsinnigen Amsterdamer hatten tatsächlich aufs 5:4 gespielt.

Zoumas 70-Meter-Dribbling geht viral und zeigt Chelseas wilden Spirit

Und so durften an einem Abend beide Trainer die Mentalität ihrer Mannschaften feiern. "Es wäre leicht gewesen, nach dem 1:3 aufzugeben, noch leichter nach dem 1:4. Aber das haben wir nie getan", strahlte Lampard, der in seiner Talente-Elf besonders die Erfahrenen hervorhob, die "abgebrühten" Jorginhos, Kovacics, Willians und Azpilicuetas. "Natürlich müssen wir stabiler werden, aber mit diesem Spirit können wir es zu was bringen."

Dieser wilde Spirit, den Kurt Zouma Sekunden nach Wiederanpfiff besonders schön verkörperte und ihn zum viralen Helden machte: Unaufhaltsam dribbelte der Innenverteidiger aus der Tiefe der eigenen Hälfte los, ging über vielleicht 70 Meter an fünf Gegenspielern vorbei, um dann, an der gegnerischen Strafraumgrenze angekommen, vielleicht 70 Meter drüber zu schießen. Lampard konnte auf der Bank gar nicht mehr aufhören zu grinsen.

jpe

Bilder zur Partie FC Chelsea - Ajax Amsterdam