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Alex Megos oder wie einer mit seiner Kletter-Karriere pokerte

Olympia im Fokus - eine Medaille ist kein Ziel

Alex Megos oder wie einer mit seiner Kletter-Karriere pokerte

Stellte seine Leidenschaft hintenan, weil Olympia lockte: Alex Megos.

Stellte seine Leidenschaft hintenan, weil Olympia lockte: Alex Megos. imago images

In der Anbahnungsphase eines Gesprächstermins sah sich Alexander Megos mit der Information konfrontiert, für welches Medium das geplante Interview geführt werden soll. Seine Antwort war trocken und triefte von mittelprächtiger Begeisterung. "Der kicker? Oh Gott, bloß nichts mit Bällen."

Vor allem nicht mit Fußbällen. Denn der gebürtige Erlanger befand sich in den vergangenen Jahren auf Kriegsfuß mit dem Volkssport Nummer eins, boykottierte ihn regelrecht. Warum? "Alle vier Jahre, wenn WM ist, dreht die ganze Nation durch, hängt sich Fahnen an die Autos, bemalt sich und rennt wie irre durch die Stadt. Und wenn das Turnier dann vorbei ist, interessiert sich wieder keiner mehr für diesen Sport. Außer die, die sich vielleicht wirklich für Fußball interessieren." Aha?!

An dieser Stelle hätte man seine vorbereiteten Fragen wieder einpacken können. Und am besten auch gleich die ganze Geschichte in die Tonne getreten, denn offensichtlich lebt dieser 26-Jährige auf einem anderen Planeten - einem ohne Fussball. Letzten Endes tut er das auch. Im "Kosmos Vertikal" zum Beispiel, denn wie sonst hätte er zu einem der weltbesten und bekanntesten Kletterer aufsteigen können.

Die größte Leidenschaft hat Pause - wegen Olympia

Wie er das wurde, ist eine andere Geschichte - Google hilft unter dem Stichwort "Estado Critico" und dem Datum 24. März 2013 weiter. Hier soll es darum gehen, wie Megos in den letzten zwei Jahren seiner großen Leidenschaft teilweise den Rücken kehrte, um dabei zu sein, wenn das Sportklettern bei den Spielen 2020 in Tokio seine olympische Premiere feiert.

Seine Leidenschaft, das war und ist das Felsklettern. Also diese Form des Kletterns, die man im herkömmlichen Sinne noch darunter versteht. Ein Mensch steht unten an einer Wand und will nach oben. Gesichert von einem Seil, versucht er bestenfalls in der fantastischen Abgeschiedenheit einer monströs schönen Bergwelt eine Route zu durchsteigen. Rund 2500 bewältigte Routen ab dem zehnten Schwierigkeitsgrad aufwärts hat Megos handschriftlich dokumentiert. Kurzum: Bei dieser Art der vertikalen Fortbewegung gehört er zu der Kategorie Lionel Messi.

Naturtalent, Zauberer, "Holzfäller"

Ein Naturtalent - was an seinen Genen bezüglich Statur, Beweglichkeit und Muskeln liegt. Ein genialer, explosiver Zauberer - was seinen Stil betrifft, auch wenn er ihn selbst mit einem Augenzwinkern mal "Holzfäller-Stil" nannte. Und er ist auch ein extrem harter Arbeiter - was seine Trainingsumfänge und Belastbarkeit angeht. Und doch hat er sich aus dieser Komfortzone, die angesichts der schieren Brutalität seiner bisherigen Kletterprojekte natürlich keine solche ist, herausgewagt. Denn nun soll am oberen Ende der Wand, wenn der letzte Haken geklickt wird, nicht nur tiefe Zufriedenheit wie sonst beim erfolgreichen Abschließen von Kletterprojekten warten, sondern im besten Fall olympisches Edelmetall.

Was sich nicht besonders spektakulär anhört, ist es aber. Denn betrachtet man sich den Modus, der aus Sportkletterern im kommenden Sommer Olympioniken macht, dann wäre das etwa so, als würde man Argentinien bei einer Fußball-WM nur mitmachen lassen, wenn Messi in der Vorrunde als Torwart eingesetzt werden dürfte und ab der unwahrscheinlichen K.-o.-Phase als Innenverteidiger.

Der besagte Modus nennt sich "Olympic Combined" und ist eine Mischung aus den drei Disziplinen Speed, Bouldern und Lead. Megos ist Lead-Kletterer durch und durch. Beim Bouldern sammelte er einige Überraschungserfolge (Vize-Europameister 2017), aber er würde sich nicht als Spezialist in dieser akrobatischen Disziplin bezeichnen. Und das Speed-Klettern kannte er vom Hörensagen. Soll heißen: Als sich Megos vor rund zwei Jahren entschied, auf die Karte Olympia zu setzen, spielte er auch Poker mit seiner Karriere als Ausnahmekletterer am Fels.

Dass ich der erste Deutsche bin, ist mir egal, dass ich jetzt schon sicher dabei bin, ist einfach nur cool.

Alex Megos

Denn in Tokio dürfen nur 20 Athleten pro Geschlecht starten und nur 18 Plätze davon werden aufgrund sportlicher Leistungen vergeben. Die Neuausrichtung des Trainings und die Wettkämpfe der vergangenen beiden Jahre, all das hätte sich im Falle einer Nichtqualifikation für Olympia im ersten Moment wohl wie ein Sturz ohne Seil angefühlt. Hätte, denn es kam anders. Megos nutzte die erste von drei Chancen und sicherte sich schon Mitte August bei der WM in Hachioji (Japan) als erster deutscher Sportkletterer sein Olympia-Ticket. "Dass ich der erste Deutsche bin, ist mir egal, dass ich jetzt schon sicher dabei bin, ist einfach nur cool."

Ehrgeiz oder pure Lust? Beides!

Bis zum Sommer 2020 will er "nicht um die Welt jetten, um möglichst viel Wettkampferfahrung im neuen Modus zu sammeln". Olympia bleibt ein Fokus, aber Megos vermittelt durchaus das Gefühl, dass diese Spiele noch sehr weit weg sind. Er sagt auch, dass "das Erringen einer Medaille kein Antrieb" sei. Wenn Megos klettert, sprüht er vor lustvollem Ehrgeiz, aber mittlerweile ist er auch ein extrem ehrgeiziger Lustkletterer.

Dass man Dinge nicht erzwingen kann, dass das von ihm "gehasste" Scheitern ein integraler Bestandteil ist, musste er schmerzhaft lernen. Und auch, dass das Klettern nicht der alleinige Fokus sein darf, um Topleistungen abrufen zu können. Nach dem Motto: Der stärkste Muskel beim Klettern sitzt zwischen den Ohren.

Enttäuschungen gehören dazu: Alex Megos bei der Kletter-WM in Hachioji.

Enttäuschungen gehören dazu: Alex Megos bei der Kletter-WM in Hachioji - ein Griff fehlte zu Gold im Lead. imago images

Ablenkung und neue Inspirationen gehören dazu. Gerade erst hat er ein fast zweijähriges Filmprojekt abgeschlossen, das er zurzeit auf Vortragsreisen vorstellt. Auch in den USA, wo dann trotz des lädierten Fingers auch wieder die eine oder andere Felswand auf ihn wartet. Patrick Matros, zusammen mit Ludwig "Dicki" Korb einer seiner beiden langjährigen Trainer, ist froh, dass es für Megos nach seiner Fingerverletzung nun wieder rausgeht. "Hätte er sich schlimmer verletzt und müsste er wochenlang pausieren, hätten wir uns schon ein bisschen um seine Psyche gesorgt."

Nach Tokio "werden die Karten komplett neu gemischt"

Was nach Tokio kommt, dazu will sich Megos nicht allzu viel entlocken lassen. Immerhin sagt der 26-Jährige, dass "man beim Wettkampfklettern seine Topform länger konservieren kann, weil vieles von Erfahrung und mentaler Stärke abhängt".

Für Trainer Matros "werden die Karten nach Olympia komplett neu gemischt. Aber wenn er in Tokio eine Medaille holt, kann ich mir schon vorstellen, dass er im nächsten Jahr auch Weltmeister werden oder es sogar 2024 bei den Spielen in Paris wieder probieren will. Ich würde es jetzt nicht in Stein meißeln, dass er nach den Spielen mit dem Wettkampfklettern wieder aufhört."

Die Popularität wächst: Zuletzt war Alex megos zu Gast im Aktuellen Sportstudio.

Die Popularität wächst: Zuletzt war Alex Megos zu Gast im Aktuellen Sportstudio. imago images

Klar scheint aber auch, dass man sich auf diesem Spitzen-Niveau tendenziell einen Schwerpunkt suchen muss. Auf der ganzen Welt in den höchsten Schwierigkeitsgraden am Fels zu klettern und gleichzeitig einen gefüllten Wettkampfkalender unter einen Hut zu bringen, scheint logistisch und inhaltlich ein nicht realisierbares Unterfangen zu sein. "Der Wettkampfkletterer orientiert sich am Wettkampfkalender, die Termine, an denen die Athleten hundertprozentig fit sein müssen, sind klar vorgegeben. Am Fels aber muss man auf seine Chance warten können, man ist abhängig von vielen Faktoren, etliche davon kann man nicht beeinflussen", erläutert Matros und in seinem Gesicht lassen sich große Zweifel ablesen, ob Megos diese doppelte Herausforderung angehen wird.

Auf höchsten Niveau hält die Haut das Felsklettern und das Wettkampfklettern nicht aus.

Trainer Patrick Matros

Zumal laut Matros auch noch "banalere Gründe" dagegen sprechen. "Die in den Wettkämpfen verwendeten Griffe schleifen die Haut extrem ab, bei jedem Versuch. Einer zu viel und die Fingerkuppen beginnen zu bluten. Am Fels aber brauchst du eine Art Panzerhaut, damit man die Finger in die Felsen reinpressen kann. Auf höchsten Niveau hält die Haut das Felsklettern und das Wettkampfklettern nicht aus."

Ob die Haut von Megos' Fingern das auch so sieht?

bst