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Nottinghams Kaderplaner Syrianos - vom VfB nach England

Vom VfB nach England: Interview mit Forest-Kaderplaner Syrianos

"Wir wollten Nottingham zur schnellsten Mannschaft umbauen"

In den Stadien dieser Welt zu Hause: Forest-Kaderplaner Georgios Syrianos.

In den Stadien dieser Welt zu Hause: Forest-Kaderplaner Georgios Syrianos. privat

Im Winter 2017 kam Georgios Syrianos zum damaligen Zweitligisten VfB Stuttgart. Sportchef Jan Schindelmeiser holte den Datenspezialisten zu den Schwaben, unter Trainer Hannes Wolf sollte er seine analytischen Fähigkeiten einbringen, um bei der Kaderplanung bessere Entscheidungen treffen zu können.

Syrianos hatte sich an der Columbia University in New York in die Welt der Daten gegraben, in der Praxis stellte er seine Expertise den Stuttgartern beim Scouting und der Spielanalyse zur Verfügung. Im Mai 2021 folgte der Lockruf aus England - allerdings nicht aus der schillernden Premier League, sondern aus der zweiten Liga.

Nottingham: Mehr Europapokalerfolge als Meisterschaften

Nottingham Forest, ein stolzer Verein mit glorreicher Vergangenheit, der häufiger den Europapokal der Landesmeister gewann (1979 und 1980, gegen den HSV) als die englische Meisterschaft (1978), holte Syrianos als Kaderplaner. Seit 2008 spielt Nottingham nun schon in der Championship, das Sehnsuchtsziel aller 24 Mannschaften dort ist klar umrissen: die prall gefüllten Fleischtöpfe der Premier League. Aktuell liegt die Elf von Trainer Steve Cooper knapp außerhalb der vier Play-off-Plätze, die am Ende der Saison neben den beiden Direktaufsteigern einen weiteren Klub ins "gelobte Land" nach oben schicken. Syrianos will mithelfen, dieses Ziel zu erreichen. Über das wie sprach er mit dem kicker.

Herr Syrianos, von Stuttgart nach Nottingham. Was hat Sie bewogen, diesen Schritt zu gehen?

Stuttgart war ein unfassbar interessantes Projekt. Ich konnte mithelfen, eine junge, entwicklungsfähige Mannschaft aufzubauen. Die Zeit beim VfB war sehr prägend, lehrreich, am Ende auch erfolgreich (Stuttgart stieg 2017 auf und wurde im Folgejahr Siebter, Anm. d. Red.). Der unbekümmerte Spielstil des VfB wurde auch in England zur Kenntnis genommen - so landete ich in Nottingham.

Viele Vereine schreiben rote Zahlen, handeln teils sehr unwirtschaftlich, weil alles dem Aufstieg untergeordnet wird.

Georgios Syrianos

Was sind Ihre Aufgaben bei Nottingham Forest?

Der Verein wollte den Recruitmentbereich langfristig verbessern und eine strategische Neuausrichtung entwickeln - jungen, entwicklungsfähigen Spielern eine Bühne geben, um sportlichen Erfolg auf einer wirtschaftlich gesunden Basis erzielen zu können. Gleichzeitig wollte Forest einen analytischeren und prozessorientierteren Weg gehen - einen Weg, der zuvor Brentford, Brighton und auch Leeds in die Premier League geführt hat.

Klingt für einen Kaderplaner theoretisch reizvoll. In der Praxis steht der sportliche Erfolg über allem. Wie groß ist das Ziel Aufstieg?

Mittelfristig ist der Aufstieg von Nottingham Forest in die Premier League unser großes Ziel. Aber das wollen nicht nur wir, sondern jeder Klub in der Championship. Viele Vereine schreiben rote Zahlen, handeln teils sehr unwirtschaftlich, weil alles dem Aufstieg untergeordnet wird. Ich glaube, dass das oftmals an strategischen Entscheidungen liegt - wichtig ist, die Balance und Verhältnismäßigkeit von kurzfristigen zu langfristigen Entscheidungen in Einklang zu bringen. Sportlicher Erfolg ist nur auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis nachhaltig - das muss sich auch in der Strategie rund um die Kaderplanung widerspiegeln.

Seit 2008 spielt Nottingham in der Championship, war zuletzt Tabellensiebzehnter. Was hat Sie gereizt, diesen Schritt zu gehen, zumal VfB-Sportdirektor Sven Mislintat Ihre Datenanalysen sehr schätzte?

Ich wollte eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Vereinsstrategie bei einem Traditionsverein wie Forest einnehmen. Die unmittelbaren Resultate in der Vorsaison spielten dabei weniger eine Rolle, zumal Forest im Jahr zuvor noch Siebter geworden ist. Aktuell wollen wir alle Nottingham neu ausrichten und sehen uns mittelfristig auf dem richtigen Weg, um sportliche Resultate zu liefern, die diesem Klub und dem Investment der Familie Marinakis gerecht werden. Die Liga ist sportlich unfassbar herausfordernd, weil alle Mannschaften den ersehnten Aufstieg in die Premier League im Blick haben.

Apropos sportliche Resultate. Der Start ging komplett daneben, der erste Sieg gelang am 8. Spieltag. Woran lag's?

Wir haben im Sommer zehn Spieler mit einem Durchschnittsalter von 30 Jahren abgegeben und zehn neue Jungs mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren dazugeholt. Die Eingewöhnung erfordert Zeit, aber wir haben bewusst diesen Weg gewählt und wussten, dass dieser Prozess von Schmerzen begleitet werden könnte. Der Weg mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern ist für aufstrebende Vereine wie uns fast alternativlos. Intern war der Start eine große Herausforderung, weil die Erwartungen von uns allen andere waren.

Der Neuaufbau wurde nach sieben sieglosen Ligaspielen gestoppt, Trainer Chris Hughton entlassen. Wie passt das in Nottinghams neues Konzept?

Auch wenn wir an die internen Prozesse glauben, sind wir natürlich erfolgsabhängig. Ein Neuaufbau ist ein kontinuierlicher Prozess und diese strategischen Veränderungen erfordern manchmal auch konsequentes Handeln, deshalb mussten wir diesen Schritt gehen. Egal, wo du auf diesem Planeten professionell Fußball spielst: Ergebnisse entscheiden.

Der Turnaround ist vor allem sein Verdienst.

Georgios Syrianos über Steve Cooper

Seit der neue Cheftrainer Steve Cooper am 9. Spieltag übernahm, holte Nottingham die drittmeisten Punkte aller Championship-Klubs und warf Arsenal aus dem FA Cup. War diese Kehrtwende hervorzusehen?

Wir hatten auf diesen Turnaround gehofft, aber erwarten kann man sowas nicht. Mit dem Blick auf unseren Kader kam er aber nicht komplett überraschend. Da wir über eine sehr junge, athletische Mannschaft verfügen, sind wir in vielerlei Hinsicht immer in der Lage, unsere Gegner vor taktische und individuelle Probleme zu stellen. Unser Ziel im Sommer war es, den Kader zu einer der schnellsten und athletischsten Mannschaften der Liga umzubauen - dies sollte uns sowohl in längeren Ballbesitzphasen als auch in Konterphasen gegen stärkere Teams helfen.

Nottinghams Trainer Steve Cooper

Bracht Forest auf Kurs: Nottinghams Trainer Steve Cooper. imago images/Pro Sports Images

Welchen Anteil hat Steve Cooper am Aufschwung?

Das neue Trainerteam hat zuvor sehr erfolgreich mit jungen Spielern zusammengearbeitet. Cooper hatte in Swansea (2019-2021, Anm. d. Red.) eine junge Mannschaft, 2017 gewann er mit der englischen U 17 die WM. Der Turnaround ist vor allem sein Verdienst. Besonders der entstandene Glaube an sich selbst ist in jedem Spiel spürbar. Trotz der jüngsten Ergebnisse wollen wir intern zwar weiterhin maximal ambitioniert sein - dies jedoch in aller Bescheidenheit und Demut. Denn der Anfang der Saison hat uns gezeigt, wie überraschend der Fußball doch sein kann.

Lassen Sie uns über das sprechen, was man nicht an der Tabelle ablesen kann oder auf dem Platz direkt sieht - Ihre Daten. Wie werden diese eingesetzt?

Entscheidungen im Fußball sind oft risikoreich - Daten und statistische Modelle helfen uns, das Risiko zu minimieren. Wir entwickeln eine objektivere Sichtweise auf den Fußball, aber auch auf die Spieler, die wir in der Vorauswahl viel zielgerichteter sondieren. Gleichzeitig können wir Prognosen zur Qualität unseres Kaders abgeben - objektive Ansichten, die uns dabei helfen, fundierte Entscheidungen treffen zu können. Natürlich sind wir in diesem Prozess nicht einzigartig - jeder erfolgreiche Klub macht sich heutzutage die gleichen Überlegungen.

Unserer Meinung nach können wir nur Wettbewerbsvorteile entwickeln, wenn wir eigene Lösungen entwickeln.

Georgios Syrianos

Datenanbieter gibt es en masse auf dem Markt. Gibt es einen "Krieg" der Daten unter den Klubs?

Viele Vereine verlassen sich in der Datenanalyse auf vorhandene Produkte am Markt. Unserer Meinung nach können wir nur Wettbewerbsvorteile entwickeln, wenn wir eigene Lösungen entwickeln. Schließlich hast du als Verein keinen Wettbewerbsvorteil, wenn deine Konkurrenten dieselben Produkte verwenden wie du. Sie eröffnen eine einfachere, weil digitale Verbesserung der Prozesse, aber eben nicht einen echten sportlichen Vorteil.

Nottinghams Fans jubeln nach dem Sieg gegen Arsenal - und träumen vom Aufstieg.

Nottinghams Fans jubeln nach dem Sieg gegen Arsenal - und träumen vom Aufstieg. imago images/Colorsport

Wie schaffen Sie es, diesen Vorteil herzustellen?

Wir kaufen Rohdaten, die mit Hilfe eines von mir mitentwickelten Modells verwertet und dann von einer eigens konzipierten App für alle Entscheidungsträger dargestellt werden. Das gilt für das Scouting von Spielern als auch für die statistische Bewertung von Trainern. Wir können intern mittel- und langfristige Prognosen über Spieler und ihre Leistungen erstellen. Bei Trainern können wir beurteilen, ob sie die Erwartungen an ihren Kader untertreffen, erfüllen oder übertreffen - gleichzeitig können wir den Trainermarkt auf Basis der verschiedenen Spielstile sondieren. Schlussendlich muss jedes Konzept jedoch praxisnah angewandt werden. Theoretische Vorteile helfen dir nicht, wenn sie nicht umgesetzt und angewandt werden - wir wollen schließlich in der Praxis bessere Entscheidungen treffen und nicht nur in der Theorie.

Sportdirektoren wie Mislintat gibt es im englischen Fußball kaum. Haben Sie bei Nottingham als Kaderplaner die Aufgaben eines Managers?

Nein - das Organigramm vieler englischer Vereine unterscheidet sich vom klassischen Organigramm eines Bundesligavereins. Die wahren "Manager" heißen Klopp, Hasenhüttl, Arteta und Rodgers. Bei Forest werden die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt. Kyriakos Dourekas ist ein sehr erfahrener Direktor Profisport, in meinem Bereich konzentrieren wir uns stark auf den Kader in Abstimmung mit Geschäftsführer Dane Murphy, der alle Abteilungen und Prozesse überblickt. Alle Transferentscheidungen werden gemeinsam getroffen und verantwortet. Aber bei allen Prozessen: Der Spagat zwischen kurzfristigem Erfolg und einer finanziell gesunden Basis bleibt für uns die herausforderndste Aufgabe.

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