Champions League

Watzke: "Hätten deutlicher den Anspruch erheben müssen, das Spiel unbedingt zu gewinnen"

BVB-Boss über das Champions-League-Finale 2013

Watzke: "Hätten deutlicher den Anspruch erheben müssen, das Spiel unbedingt zu gewinnen"

Auf der Tribüne von Wembley: Die BVB-Bosse Hans-Joachim Watzke (li.) und Reinhard Rauball.

Auf der Tribüne von Wembley: Die BVB-Bosse Hans-Joachim Watzke (li.) und Reinhard Rauball. imago sportfotodienst

Mehr als vier Jahre danach ist Hans-Joachim Watzke wieder in Wembley. September 2017, erneut wegen einer Champions-League-Verpflichtung, diesmal gegen Tottenham. Aber der Boss von Borussia Dortmund fühlt sich fremd in der Kathedrale des englischen Fußballs, die Räumlichkeiten, die Wege - er kann sich an sich nichts erinnern. Dass er im Mai 2013 hier mit Borussia Dortmund im Finale der Königsklasse gegen den FC Bayern München vom großen Coup träumte: einfach weg. Wie von einer Festplatte gelöscht.

"Ich weiß auch nicht, was ich in den Stunden nach dem Abpfiff gemacht habe", sagt er, "die Erinnerung setzt erst am folgenden Abend wieder ein. Da haben wir - Jürgen Klopp, Michael Zorc, ein paar Spieler und ich - in einem Restaurant richtig einen draufgemacht." Watzke hat sich immer wieder vorgenommen, die 90 Minuten von Wembley noch einmal im Fernsehen anzuschauen, bei einer der vielen Wiederholungen in der Weihnachtszeit, doch dazu fehlt ihm die Energie. Die Wunde, die dieses hochdramatische Match gerissen hat, sie ist noch nicht vernarbt. Im größten Spiel unter seiner Führung mussten die Westfalen ihre "schlimmste Niederlage" einstecken. Watzke gesteht: "Ich bin da nie so richtig drüber weggekommen."

Von "Ground Zero bis Wembley"

Zwei Wochen vor dem historischen Finale erklärt der Geschäftsführer des vom englischen Magazin "FourFourTwo" zum "heißesten Klub Europas" gekürten BVB 160 Journalisten aus allen Kontinenten den Dortmunder Weg von "Ground Zero bis Wembley". Es ist die Geschichte des Vereins, der hoch verschuldet in den Abgrund blickte, auf einem "Trümmerfeld" (Watzke) stand und eine märchenhafte Entwicklung nahm. "Wir haben keinen Druck im Endspiel", versichert der Boss, "ob wir am Ende gewinnen oder verlieren, ist nicht das Entscheidende. Wir müssen nur nach dem Finale sagen: Wir als Borussia Dortmund haben alles aus uns herausgepresst."

Bayerns Vorsprung wäre kleiner geworden.

Hans-Joachim Watzke über einen möglichen Dortmunder Finalsieg

Mit dem Wissen um die Ereignisse im Jahrzehnt nach Wembley würde Watzke diese Aussage mittlerweile nicht mehr treffen. "Vielleicht", betont er heute, "vielleicht hätten wir noch deutlicher den Anspruch erheben müssen, das Spiel unbedingt zu gewinnen." Das, meint Watzke, wäre "die ultimative Möglichkeit gewesen, die Kräfteverhältnisse im deutschen Fußball in eine andere Richtung zu schieben. Das haben wir damals nicht in dieser Schärfe erkannt." Aber niemand habe 2013 vor einer Hegemonie in Deutschland gewarnt, "für den Fall, dass wir verlieren". Wegen eines Dortmunder Sieges in London hätte man die Geschichte des deutschen Fußballs nicht gleich neu schreiben müssen. Die Bayern hätten weiter einen Vorsprung besessen, "aber dieser Vorsprung", vermutet Watzke, "wäre kleiner geworden. Borussia Dortmund hätte ganz andere Ansprüche erheben - und diesen Triumph ökonomisch ausnutzen können."

Das deutsche Finale 2013

Dass die Bundesliga vor zehn Jahren in jeder Hinsicht (sportliche Qualität, solides Wirtschaften, Pflege der Fußballkultur) Vorbild gewesen sei, mag Watzke "so nicht sagen". Er spricht nur von "einer Phase" mit Wembley als Höhepunkt, geprägt von zwei Klubs mit höchst unterschiedlichen Philosophien. Hier die Bayern, die ihren Antrieb aus der Wut über die Schmach des titellosen Jahres 2012 bezogen. Dort die Borussia, die aus dem Nichts eine Mannschaft ohne Angst entwickelte und von Jürgen Klopp zu Höchstleistungen animiert wurde. Wie sich diese Klubs befehdeten, begünstigte den WM-Gewinn 2014, glaubt der BVB-Chef: "Es ist kein Zufall, dass wir ein Jahr später Weltmeister wurden. In Brasilien stießen wir auf den maximalen Respekt der anderen Länder, und das hat nun einmal Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg."

Schon mutmaßten internationale Medien, dass sich das "Kräfteverhältnis im europäischen Fußball von Spanien nach Deutschland verschoben" habe ("The Independent", England). "Spanier und Engländer müssen schleunigst die Bundesliga studieren, um etwas über Tempo und direktes Angriffsspiel zu lernen", empfahl "Ekstra Bladet" (Dänemark). Und der Kuchen zum 150. Geburtstag des englischen Verbandes FA, der deshalb den Zuschlag fürs Finale erhielt, sei wohl eine Schwarzwälder Kirschtorte, wie L'Equipe (Frankreich) launig anmerkte.

Zu viele Leistungsträger gingen zu schnell weg

Warum Deutschlands Fußball aber schließlich doch keine Ära in Europa prägte mit den Bayern und der Borussia als ihren Protagonisten? "Dafür", argumentiert Watzke, "hätte unter anderem Bayern München uns unsere Spieler lassen müssen. Wenn so eine Mannschaft wie unsere zusammenbleibt, kannst du auch eine Periode von vier, fünf Jahren gestalten." Doch nach Shinji Kagawa (2012, Manchester United) folgten Mario Götze (2013) und Robert Lewandowski (2014), später auch Mats Hummels (2016), dem Lockruf aus München. "Auf Dauer", sagt Watzke, "wäre es für den deutschen Fußball besser gewesen, wenn sich zwei Vereine einigermaßen auf Augenhöhe befunden hätten."

Eine Portion Wehmut, deutlich vernehmbar, mischt sich in diese Worte. Auch wenn der Konjunktiv der Feind jedes Fußballers ist, erliegt Watzke manchmal der Versuchung, sich die Zeit nach 2013 in Gedanken auszumalen, "wenn sich diese Mannschaft mehr Zeit gegeben und noch eine gewisse Zeit zusammengeblieben wäre. Dann wären Riesendinge möglich gewesen. Ein Sieg in Wembley wäre ein totaler Kontra-Indikator gewesen." In München, darauf verweist Watzke abschließend, hatten sie das Glück, dass die erste Serie großer Erfolge in den 70er Jahren mit dem Hattrick im Europapokal der Landesmeister in nahezu unveränderter Formation errungen wurde: "Wenn sich nach einem Jahr bei den Bayern Franz Beckenbauer und nach dem zweiten Jahr Gerd Müller verabschiedet hätte, hätte ich gerne erlebt, wie es weitergegangen wäre. Stattdessen haben sie die Mannschaft zusammengehalten und immer weiter verbessert."

Das hätte er mit der Elf von Wembley zu gern auch getan.

Thomas Hennecke

13 verschiedene Klubs, zwei deutsche: Alle Champions-League-Sieger seit 1993