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Warum Chelsea für Timo Werner eine gute Wahl ist - und umgekehrt

Über den neuen Klub des Nationalstürmers

Warum Chelsea für Werner eine gute Wahl ist - und umgekehrt

Neu für eine große Zukunft? Frank Lampard baut auf Timo Werner und Hakim Ziyech.

Neu für eine große Zukunft? Frank Lampard baut auf Timo Werner und Hakim Ziyech. imago images

Jürgen Klopp war in letzter Zeit wieder etwas mehr Erfolgstrainer als zur Schau gestellter Menschenfänger, oder vielleicht auch Erfolgstrainer, weil Menschenfänger. Gefangen hatte er jedenfalls auch Timo Werner.

Der Noch-Leipziger, so heißt es, war nach zwei Treffen und vielen WhatsApp-Chats mit dem Liverpool-Trainer so verblieben, ab der kommenden Spielzeit das Trikot des englischen Meisters zu tragen.

Das Problem: Auch Klopp hat Vorgesetzte, und diese Vorgesetzten - die Oberen der Fenway Sports Group - sollen ihrem Trainer mitgeteilt haben, dass im Jahr 2020 angesichts der Corona-Pandemie kein "großer Transfer" möglich sein werde. Werner, so berichten es englische Medien, habe die Absage mit Fassung getragen und nach wie vor ein gutes Verhältnis zu Klopp.

Nachdem Liverpool raus war, rief Lampard Werner direkt an

Also kam der FC Chelsea wieder ins Spiel, der im Januar schon Trainer Frank Lampard und Sportdirektor Petr Cech nach Leipzig entsandt hatte, um Werner West-London schmackhaft zu machen. Als die Tür nun fünf Monate später plötzlich wieder aufging, griff Lampard zum Hörer und versicherte Werner, dass er, also Lampard, die Gewissheit der Führungsetage habe, Zeit für "sein Projekt" und den Aufbau einer neuen goldenen Generation zu bekommen (das ist mindestens untypisch für Roman Abramovich).

Und Werner, das ist schon mal der große Unterschied zu Liverpool, soll ein ganz zentraler Baustein dieser Mannschaft sein. Anders als in Liverpool, wo weder Mohamed Salah noch Roberto Firmino oder Sadio Mané aus der Startelf wegzudenken sind, kann Werner bei Chelsea in jeder denkbaren Formation auflaufen.

Ohne Eden Hazard und ohne echten Neuzugang (Stichwort: Transfersperre) hatte Lampard die schwere Aufgabe bei seinem Herzensverein im vergangenen Sommer übernommen und gleich gezeigt, dass der Erfolg, den die Chelsea-Ikone im Jahr zuvor mit Zweitligist Derby County hatte, auch auf die oberste Etage übertragbar war.

Lampard vertraut der eigenen Jugend und wird oft belohnt

Lampards energischer, offensiver Ansatz mit hohem Pressing passte und passt gut zu einer jungen Mannschaft, die in diesem Sommer wohl noch jünger wird. Im zunächst aufgebotenen 4-2-3-1-System hatte Lampard den Eigengewächsen Tammy Abraham (als Stürmer) und Mason Mount (auf der Zehn) das Vertrauen geschenkt. Abraham zahlte es mit Toren zurück und Mount vor allem mit intensiver Arbeit gegen den Ball.

Mason Mount und Tammy Abraham

Eigengewächse im Höhenflug: Mason Mount und Tammy Abraham. imago images

Weil die Balance zwischen Defensive und Offensive fehlte und Chelsea gleich in den ersten zwei Ligaspielen fünf Gegentreffern kassierte, probierte es Lampard mit dem 4-3-3 von Vorgänger Maurizio Sarri mit dessen Ziehsohn Jorginho als alleinigem Sechser. Mount wiederum rückte von der Zehn auf den linken Flügel.

Im 4-3-3 aber fehlte Mount mit seiner Dynamik im Zentrum, sodass Lampard schon am fünften Spieltag in Wolverhampton die dritte unterschiedliche Formation aufbot, diesmal in Antonio Contes 3-4-3. Das brachte Marcos Alonso als linken "Flügelverteidiger" zurück ins Aufgebot und Mount wieder hinter Abraham.

Lampard wechselte im Laufe der Spielzeit weiter munter zwischen den verschiedenen Formationen und kann das auch mit Werner und Hakim Ziyech (27) weiter tun. Der ebenfalls schon feststehende Neuzugang aus Amsterdam könnte im 4-2-3-1 beispielsweise als Pendant von Werner auf dem rechten Flügel beginnen. So würde Abraham, dessen Vertragsverlängerung noch nicht durch ist, als klassischer Stoßstürmer bleiben und Mount, Christian Pulisic oder Callum Hudson-Odoi als Zehner agieren.

Die verschiedenen Formationen, in denen Werner für Chelsea auflaufen könnte

Für Werners potenziellen Konkurrenten Michy Batshuayi (26) ist die Zeit an der Stamford Bridge wohl ebenso abgelaufen wie die von Pedro (32) und Willian (31), deren Verträge ziemlich sicher nicht verlängert werden.

Denkbar ist ebenso, dass Werner im 4-3-3 zwar auf dem linken Flügel beginnt, durch das Vorrücken des Linksverteidigers bei eigenem Ballbesitz aber mehr als zweite Spitze neben Abraham ins Zentrum rückt. Aus dem 4-3-3 würde dann im Angriff ein 3-2-5 mit dem Linksverteidiger (Chelsea wirbt intensiv um Leicesters Ben Chilwell) auf dem Flügel, Werner und Abraham in der Mitte, Ziyech auf rechts und Mount/Pulisic/Hudson-Odoi dahinter. Gegen den Ball bildet sich ein 4-4-2 mit Werner und Abraham als erste Pressing-Optionen.

Chelsea will Platz vier übers Ziel bringen - und dann angreifen

Sollte Lampard Werner tatsächlich als alleinige Spitze aufbieten, zum Beispiel im 4-2-3-1 oder 4-3-3, hätte das vermutlich zur Folge, dass Ziyech und Pulisic/Hudson-Odoi eher die Halbräume bedecken als an der Außenbahn zu kleben. Bei allen erkennbaren Stärken Werners - seiner Geschwindigkeit, den Läufen in die Tiefe und seinem Abschluss - gehört das Spiel als klassischer Neuner eher nicht dazu. Demzufolge wäre auch ein 4-4-2 wie in Leipzig, als Doppelspitze mit Patrik Schick oder Yussuf Poulsen, eine denkbare Option.

Timo Werner

Ausrufezeichen in London: Timo Werner schoss Leipzig bei Tottenham zum Sieg. imago images

Chelsea hat durch die frühzeitigen Verpflichtungen von Werner und Ziyech zwei Ausrufezeichen gesetzt, bevor die Premier-League-Konkurrenz überhaupt sagen kann, wie viel Budget sie im kommenden Transferfenster zur Verfügung hat.

Mit Liverpool hätte Werner wohl garantiert wieder um die Meisterschaft mitgespielt, vermutlich aber nur in einer Nebenrolle. In London geht er nun den nächsten Schritt, kann zum Dreh- und Angelpunkt in Lampards System(en) werden und zumindest ein Wort in Sachen Titel mitreden. Für die Blues geht es nach dem Re-Start zunächst mal darum, den Champions-League-Platz vier bei drei Punkten Vorsprung auf Manchester United zu verteidigen.

So überraschend die Wahl für Chelsea zunächst erschien, so gut durchdacht kann sie auch sein. Und zehn Millionen Euro im Jahr als Belohnung sind ja auch nicht so schlecht.

Mario Krischel

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