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Von Melle nach Tod des Partners: "So konnte ich ohne Vorwürfe oder Wut auf ihn abschließen"

Höhen-Bergsteigerin über den Verlust ihres Mannes

Von Melle nach Tod des Partners: "So konnte ich ohne Vorwürfe oder Wut auf ihn abschließen"

2014 im ersten Hochlager am Makalu - das einfache Leben am Berg haben Alix von Melle und ihr verstorbener Mann Luis Stitzinger geliebt.

2014 im ersten Hochlager am Makalu - das einfache Leben am Berg haben Alix von Melle und ihr verstorbener Mann Luis Stitzinger geliebt. Archiv von Melle

Auf sieben Gipfeln der weltweit vierzehn Achttausender hat es die gebürtige Hamburgerin bereits geschafft. In den letzten Jahren war es ein wenig still geworden um sie und ihren Mann Luis Stitzinger, mit dem sie viele dieser Begehungen durchgeführt hatte. Im großen ALPIN-Interview (Heft 10/2023) spricht die Wahl-Füssenerin kurz nach dem tragischen Tod ihres Mannes am Kangchendzönga (8586 m).

Seit dem 25. Mai steht Alix von Melles Welt Kopf. Fast nichts ist mehr so, wie es vorher war. Denn an diesem Donnerstag war ihr Mann und langjähriger Bergpartner Luis Stitzinger nach seinem Gipfelerfolg am Kangchendzönga (8586 m) nicht wie verabredet am frühen Morgen noch im Lager IV angekommen. Stitzingers Ziel war eine Besteigung des Berges (ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff) und wenn möglich die anschließende Skiabfahrt zurück ins Basislager. Zwei Tage nach seinem Verschwinden wurde der 54-Jährige auf rund 8400 Meter Höhe tot aufgefunden.

"Mich hat diese Frage total bewegt"

Wie viele andere auch stellte sich Alix von Melle nach dieser Hiobsbotschaft die Frage, ob er falsche Entscheidungen getroffen hatte. Von Melle: "Mich hat diese Frage total bewegt. Darum habe ich mein Umfeld mit Fragen genervt, bis wir die Puzzleteile vom Gipfeltag zusammen hatten. Ich wollte das ganz genau wissen, weil ich im ersten Moment auch gedacht habe: Scheiße, hat der im Dunkeln seine Ski angezogen und ist vielleicht gestürzt, weil er unbedingt diese Skiabfahrt machen wollte."

Hat er nicht. Stitzinger war mit Steigeisen an den Füßen gefunden worden. "Er ist wohl bereits im Aufstieg höhenkrank gewesen oder hat die Krankheit dort entwickelt und war einfach schon nicht mehr Herr seiner Sinne." Nach der Autopsie und vielen Gesprächen mit Medizinern, Psychologen und anderen Höhenbergsteigern sei sie nun ganz im Reinen mit dieser Expedition, sagt von Melle. "Als ich Luis im Krankenhaus nochmal gesehen habe, sah er wirklich so aus, als ob er total erschöpft und höhenkrank eingeschlafen ist. So konnte ich damit gut abschließen, ohne Vorwürfe oder Wut auf ihn. Er hat eben einfach Pech gehabt", resümiert die Bergsteigerin traurig.

"Wir haben für uns alle Entscheidungen richtig getroffen"

Auf die Frage, ob sie denn jetzt rückblickend etwas an ihrem Leben verändern wollen würde, antwortet sie mit einem klaren Nein: "Wir haben für uns alle Entscheidungen richtig getroffen. Und letztendlich waren wir uns auch des Risikos bewusst." Die größte Herausforderung nach der Nachricht von Luis Tod sei ihre Reise nach Kathmandu gewesen, wohin man die Leiche Stitzingers nach der teuren Bergung (66.000 US-Dollar - refinanziert durch Spenden und mit Hilfe des Heckmair-Fonds) gebracht hatte, erzählt von Melle im Interview und beschreibt, dass diese Reise für sie die "Hölle" gewesen sei. Ab Istanbul begleitet von ihrem Bruder Philip sei dann aber "alles gut" gewesen: "Kathmandu war natürlich trotzdem schwierig. Aber diese Reise war ganz, ganz wichtig für mich. Auch dass ich den Luis noch mal sehen konnte."

Dabei habe die 52-Jährige nie befürchtet, dass ihr Mann einmal nicht mehr von einer Expedition zurückkehrt. Viel eher habe sie die Sorge gehabt, "dass Luis etwas beim Gleitschirmfliegen passiert oder alleine auf Skitour." Dankbar ist von Melle vor allem für die Unterstützung durch Familie und Freunde in der schweren Zeit nach dem Tod, versteht aber auch, dass die Hilfsbereitschaft irgendwann weniger wird. "Das ist ganz normal. Für die anderen geht das Leben ja weiter, nur für mich steht die Welt still", ist sich die Alpinistin sicher.

Alpin

Das sieht man unter anderem an Kristin Harila. Die Norwegerin feierte ihre Besteigung aller vierzehn Achttausender in Rekordzeit während von Melle um ihren Mann trauert. Mithilfe eines großen Teams, Flaschensauerstoff, Helikopterflügen und sonstiger Logistik-Unterstützung. Wie von Melle  das findet? "Luis und ich sind mit unserer Bergsteigerei so weit weg von ihr, dass ich mir fast schwertue, das nachzuvollziehen." Das sei zwar logistisch und sportlich gesehen eine Leistung, "alpinistisch ist das allerdings keine", urteilt sie. Es will schon etwas heißen, wenn Deutschlands erfolgreichste Höhenbergsteigerin sagt, dass sie den Trend zur Rekord-Jagd an Achttausendern "sehr seltsam und befremdlich" findet. Einer der Gründe, warum es in den letzten Jahren stiller war um Alix von Melle und die Achttausender.

Weitere Gründe nennt sie im großen ALPIN-Interview (Heft 10/2023) und außerdem, wie sie mit ihrem Mann über den möglichen Tod sprach, warum sie sich gegen Kinder entschied und wie die Alpinistin heute ihre Zukunft in den Bergen sieht.

Andreas Erkens