Int. Fußball

Tomas Zorn: Über die Karriere von Tedecos Chef bei Spartak Moskau

Über die steile Karriere von Tedescos Chef

Tomas Zorn: Wie ein Jura-Student zum mächtigen Mann in Moskau wurde

Der Blick fürs Wesentliche: Tomas Zorn neben Spartak-Trainer Domenico Tedesco.

Der Blick fürs Wesentliche: Tomas Zorn neben Spartak-Trainer Domenico Tedesco. imago images

Plötzlich ist er mittendrin im Business. Im Büro auf der Geschäftsstelle des VfB Stuttgart. Tomas Zorn, damals gerade mal 22 Jahre jung, sitzt mit dem russischen Stürmer Pavel Pogrebnyak gegenüber von Horst Heldt und Jochen Schneider. Die VfB-Verhandlungsführer suchen einen Nachfolger für Mario Gomez, der gerade für rund 30 Millionen Euro zum FC Bayern gewechselt ist. Es ist das Jahr 2009, für Zorn ist es der Startschuss in eine neue Welt. "Es hat mich gereizt, im Sportbereich zu arbeiten." Das, was für viele gilt, hat er einfach getan. Nun, elf Jahre später, ist er Generaldirektor bei Spartak Moskau.

Dort, in der russischen Metropole, beginnen auch das Leben und die Geschichte des Tomas Zorn. Geboren und acht Jahre gelebt in der Hauptstadt, bevor es gemeinsam mit den Eltern nach Deutschland geht. Nach Berlin. Fliegender Wechsel in der Grundschulzeit in das Land seiner Ur-Oma. "Ich hatte schon immer einen Bezug zu Deutschland", berichtet der heute 33-Jährige, dessen Opa für RTL gearbeitet hat. Der aufregende Weg in den Westen, wo Zorn sich bestens zurechtfindet, sein Abitur baut, Jura studiert. Und parallel die Idee entwickelt, ins Fußball-Business einzusteigen. Die eigene Karriere als Kicker sei "nicht erwähnenswert", sagt Zorn - und sie verlief somit weitaus weniger spektakulär als die seines Bruders Daniel. Der zwölf Jahre jüngere Judoka ist Mitglied der deutschen Nationalmannschaft.

Der große Zorn wird 2009 schließlich Teil der Spielerberater-Branche. Parallel zum Studium macht er die DFB-Spielervermittlerlizenz. Warum? "Sport war schon immer ein Teil meines Lebens, auch Fußball. Die Branche ist vielfältig, mein Interesse war groß, ein Teil des Ganzen zu sein." Ein privater Kontakt zu einem Rechtsanwalt, der als Berater arbeitet, öffnet schließlich die Tür. Sie tun sich zusammen, Zorns Verbindungen nach Russland bringen ihm schließlich das Mandat für Pogrebnyak.

Schneider verlässt verärgert den Raum - Pogrebnyak wechselt trotzdem zum VfB

Der Stürmer hat 2008 mit Zenit St. Petersburg den UEFA-Cup gewonnen, nun zieht es ihn ins Ausland. Nach Deutschland. Nach Stuttgart. In das Büro von Heldt und Schneider. An die Seite des jungen Zorn. "Ich hatte das noch nie gemacht, es ging um riesige Summen." Zahlen wurden ausgetauscht, einmal, so erinnert sich Zorn, klappte Schneider seine Mappe wütend zu und verließ verärgert den Raum. Und doch kommt es zum Abschluss. Pogrebnyak wechselt in die Bundesliga. Ein Millionen-Geschäft. Und für Zorn ein guter Anfang. "Klar, das war ein schönes Gefühl", erinnert er sich. "Ich wusste, dass der Weg der richtige ist."

Jedoch: nie ohne Absicherung. Ein Abbruch des Studiums war auch dann kein Thema, als er dabei half, Kevin Kuranyi von Schalke zu Dynamo Moskau zu transferieren oder die ersten Karriereschritte von Jordan Torunarigha (Hertha BSC) zu begleiten. "Der Berater-Job war keine Garantie, etwas Handfestes war mir wichtig. Zudem ist Jura für mich schon immer ein fundamentales Element meiner Arbeit." Und so konnten die Tage des jungen Zorn lang werden. Vorlesungen besuchen, Hausarbeiten schreiben, Fußballspieler betreuen und transferieren.

Er wollte von mir wissen, wie ich sein Team einschätze, welche Potenziale ich sehe.

Zorn über ein erstes Gespräch mit Spartak-Besitzer Leonid Fedun

Zorn eilt durch diese aufgeregte Branche, ohne dabei gehetzt zu sein. Der Wunsch, sich im boomenden Business zu etablieren, treibt ihn an. Unterwegs mit großem Fleiß und dem Gespür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Die Kontakte nach Russland und zu den dortigen Klubs hatte er nach und nach verstärkt, sein Netzwerk erweitert, sich einen Namen gemacht. Als Rubin Kasan 2014 ein Trainingslager im Hotel Klosterpforte in Harsewinkel bei Gütersloh abhält und kurzfristig ein Testspielgegner absagt, kommt Zorn ins Spiel.

Tomas Zorn

Neuer Werbedeal: Tomas Zorn im Moskauer Stadion. imago images

Der Rubin-Manager bittet ihn, sich kurzfristig um Ersatz zu bemühen. Zorn legt los, unentgeltlich, organisiert für den nächsten Tag einen Test gegen Union Berlin und kann parallel für die nächste Länderspielpause auch RB Leipzig als Gegner gewinnen. Es läuft, der Rubel beginnt zu rollen. Zorn macht sich selbstständig, kurze Zeit später ist er nicht mehr nur Berater, sondern auch ein Match Agent mit entsprechender Lizenz. Ein Mann, der Testspiele organisiert, Trainingslager plant. Von der Klosterpforte bis nach Katar.

Die nächste Tür öffnet sich, als im Juli 2015 das Ende von Fabio Capello als russischer Nationaltrainer vollzogen wird und Leonid Slutskiy den Italiener ersetzt. Zorn kennt den Teammanager, gesucht wird jemand, der Testspiele und Trainingslager für die Sbornaja organisiert. EM 2016 sowie die Heimturniere Confed-Cup 2017 und als Höhepunkt die WM 2018 - der nächste Job, der nächste Schritt auf der Karriereleiter, die er steil hinaufklettert. Zorn lernt die Macher kennen, unter ihnen: Leonid Fedun, einer der reichsten Russen, Vize-Vorstand im Öl-Imperium Lukoil und Besitzer von Spartak Moskau.

Als Zorn zu Beginn des vergangenen Jahres in Katar ein Turnier mit Spartak, Lokomotive Moskau, FK Rostow und Zenit St. Petersburg veranstaltet, bittet Fedun freundschaftlich zum Gespräch. "Er wollte von mir wissen, wie ich sein Team einschätze, welche Potenziale ich sehe." Der Oligarch plant den Umbruch bei Rekordmeister Spartak, der sportlich, abgesehen von der Meisterschaft 2017, längst nicht mehr die größte Nummer Russlands ist. Zorn muss Eindruck hinterlassen haben. Im März meldet sich der Vizepräsident, erkundigt sich nach möglichen nicht-russischen Sportdirektoren und bittet auch darum, dass Zorn seine Vita schicken möge. Seit er 20 ist, besitzt er nur noch einen deutschen Pass. "Dort fühle ich mich daheim, aber was ich bin? Ich habe von beiden Seiten etwas."

Zorn konnte das Angebot aus Moskau nicht ablehnen: "Direkt zugesagt"

Ein Leben zwischen Russland und Deutschland. Moskau, Berlin und wieder zurück heißt es dann, als ihn Fedun kurze Zeit später zum Gespräch bittet. Die Verbindung zwischen der deutschen Hauptstadt, wo seine Frau und die beiden Kinder leben, und der russischen ist gut. Fünf Flüge pro Tag, zwei Stunden und 15 Minuten zwischen Job und Familie.

Zorn fliegt zu Fedun und hat einige Stunden später das Angebot auf dem Tisch liegen. CEO, also Generaldirektor, Geschäftsführer und Sportdirektor in Personalunion, soll er werden. "Ich konnte nicht ablehnen", sagt Zorn, "ich habe direkt zugesagt." Als er seinen Vertrag bei Spartak unterschreibt, sitzt er in dreifacher Rolle am Tisch. Er selbst als künftiger Boss, der einzig Fedun unterstellt ist, obendrein ist er sein eigener Berater und Rechtsanwalt, um die vertraglichen Inhalte auszuhandeln und juristisch zu prüfen. Seine Aufgabe ab dem 14. Mai 2019, seinem ersten Arbeitstag, lautet: Umbruch, von den Profis bis zur Akademie. Vom Scouting bis zur medizinischen Abteilung. In zwei Jahren feiert Spartak sein 100-jähriges Jubiläum, bis dahin soll es wieder aufwärtsgegangen sein.

Domenico Tedesco

Von Zorn nach Moskau geholt: Ex-Schalke-Trainer Domenico Tedesco. imago images

Die Bedeutung des Klubs, des FC Bayern Russlands, bekommt Zorn vom ersten Tag an zu spüren. "Das ist Fluch und Segen zugleich", sagt er. Der enorme Druck auf der einen Seite, die große Begeisterung - rund 26 Millionen Anhänger werden dem Verein zugeschrieben - auf der anderen. Der Boss krempelt um, verjüngt den Kader, trennt sich von vielen Meisterspielern und holt im Oktober einen neuen Trainer: Domenico Tedesco, den Ex-Schalker. "Wir ticken ähnlich", stellt Zorn nach dem Kennenlernen fest, bis zur Corona-Unterbrechung geht's von Platz 9 hoch auf Rang 7. Kleine Schritte, große Überzeugung. "Wir sind auf dem richtigen Weg", betont Zorn.

Und was sagt Tedesco, selbst erst 34 Jahre alt, über seinen noch jüngeren Chef? "Tomas hat einen großen Anteil daran, dass ich mich für Spartak entschieden habe. Er hat mir einen klaren Plan aufgezeigt und vom ersten Moment an das Gefühl vermittelt, diesen Plan unbedingt mit mir zusammen umsetzen zu wollen. Die Zusammenarbeit könnte nicht besser sein." Zorn muss jedoch auch harte Entscheidungen treffen. So wie im Fall André Schürrle, den er von Borussia Dortmund auslieh und sich mit ihm nun darauf verständigte, die Zusammenarbeit zu beenden. Dennoch spricht Schürrle durchweg positiv über seinen Vorgesetzten: "Tomas hat klare Ansagen und, so ist mein Gefühl, eine Vision, wo der Verein hinmuss. Diesen Weg geht er. Und für die Verpflichtung von Domenico Tedesco kann man ihn nicht genug loben."

Am 24. November holte Spartak unter dem neuen Coach einen Punkt in Jekaterinburg (0:0). Nichts Spektakuläres, aber: In der 77. Minute betrat Ural-Angreifer Pavel Pogrebnyak das Feld, mittlerweile 36. "Es war schön", sagt Zorn, "ihn mal wiederzusehen." Und sich zu erinnern. An den Tag, an dem alles begann.

Thomas Hiete

Klauß jetzt beim FCN: Was aus den jahrgangsbesten Trainern wurde