Int. Fußball

Stahl im Interview: "Kein Kind abstrafen, weil es leiser ist"

Deutscher Trainer in der "Young Bafana Academy"

Stahl im Interview: "Kein Kind abstrafen, weil es leiser ist"

Basti Stahl blüht auf: "Die Young Bafana Academy ist wie ein Zufluchtsort, weg von der Kriminalität."

Basti Stahl blüht auf: "Die Young Bafana Academy ist wie ein Zufluchtsort, weg von der Kriminalität." Sebastian Stahl

Basti Stahl unterrichtet in Frankfurt an der Carlvon-Weinberg-Schule, einer Eliteschule des Sports, und war zudem Jugendtrainer im NLZ des FSV Frankfurt. Er erweitert seinen persönlichen und fußballerischen Horizont durch Kurse an der "Young Bafana Academy" nahe Kapstadt in Südafrika, auch mit Besuchen vor Ort.

Herr Stahl, worin liegt Ihre Motivation für die Mitarbeit in Südafrika?
Ich möchte mich als Mensch und Trainer weiterentwickeln, über den Tellerrand schauen, nicht in meinem Kosmos bleiben. Wie wird Fußball woanders gespielt, gelebt? Zudem möchte ich das Team unterstützen und schauen, wie ich mit meiner Philosophie dort andocken kann.

Wie sieht die genau aus?
Es geht darum, dass die Kinder reflektieren: Welche Persönlichkeit bringe ich mit, wie kann ich die auf dem Platz ausleben und wie sieht ein individuell durch Persönlichkeitsmerkmale geprägtes Spiel aus?

Können Sie Beispiele nennen?
Ja. Wenn ein Kind von sich behauptet, es ist mutig und liebt es, riskante Dinge zu machen, dann soll es auch so spielen: Dribblings, Eins-gegeneins, Finten. Wenn jemand zurückhaltender ist, kann er erst mal lernen, sich auf dem Platz zu artikulieren, und dann seine Stärken einbringen. Manche brauchen eben länger.

Sie beißen sich durch, um zu überleben. Das sieht man.

Basti Stahl

Also die Schüchternen mit einbinden.
Absolut. Wir müssen dahin kommen, dass jedes Kind gebraucht wird, und es nicht dafür abstrafen und links liegen lassen, nur weil es leiser ist. Wer bin ich denn? Genau das fehlt in Deutschland: dass sich heimliche Lenker des Spiels entfalten können. Und den Druck lade ich lieber auf mich als auf das Kind.

Was geben Sie an Trainer weiter?
Mir ist wichtig, eine kraftvolle, persönliche Coaching-Sprache zu entwickeln. Sie sollte reich sein an Metaphern, zu meinen Spielern passen.

Das bedeutet konkret?
Dass ich mit einem Coaching-Schlagwort nicht nur ein Spielprinzip fördere, sondern eine Verhaltensweise auf dem Platz, auch ohne Ball. Nehmen wir: "Boss". Der führt sein Team nichts ins Verderben, sondern darf als Leader Fehler zugeben. Das lässt sich gut in Spielformen aufzeigen.

Was ergibt sich daraus?
Für ein gutes Training braucht man nicht viel, man muss nur gut arbeiten. Wir in Deutschland würden den Platz der Akademie als uneben bezeichnen, meckern. Konträr dazu trainieren die Jungs und Mädels dort barfuß, ohne Fußballschuhe. Das ist für uns eine Hürde, aber ich drehe es um.

In einen Vorteil.
Richtig. Wenn der Platz krumm und schief ist, muss ich mich technisch und physisch eben darauf einstellen und kann lernen, mich differenziert zu verhalten, Ballgefühl wird geschult. Genau das würde uns guttun.

Können wir Dankbarkeit lernen, wenn man sieht, wie sich die Kinder dort freuen, überhaupt kicken zu dürfen, und sei es mit "Bällen", die aus Plastiktüten zusammengebunden wurden?
Ich denke schon. Die Menschen dort sind dankbar, lebensfroh. Ich musste mir immer wieder die Lebensgewohnheiten und die Umgebung vor Augen führen, denn im Umgang hat man die verzweifelte Situation, in der viele stecken, nicht gemerkt. Sie beißen sich durch, um zu überleben. Das sieht man auch auf dem Platz.

Fredi Bobic

Verfolgt das Geschehen im deutschen Fußball ganz genau: Fredi Bobic. IMAGO/Matthias Koch

Passt dazu als Kontrast, was Fredi Bobic neulich im kicker kritisierte, dass hierzulande den Talenten vielleicht zu viel abgenommen wird?
Das kann man verbinden. Das ist auch mein Anliegen. Für eine gute Ausbildung, nicht nur im Fußball, müssen wir uns fragen: Ist es von Vorteil, wenn wir ihnen alles abnehmen? Oder ist es besser, die Hindernisse im Weg zu lassen oder sogar aufzustellen, dann aber natürlich begleitend zur Seite zu stehen? Das gilt auch für manche Vereine: Brauche ich wirklich den fünften Rasenplatz noch?

Haben wir uns alle - Eltern, Trainer, Lehrer, Kinder - nicht schon zu tief in unserem Wohlstand eingenistet?
Wir müssen das im Fokus haben und zu schätzen wissen, wie gut es uns geht im Vergleich zu anderen. Das sollte dann unser Antrieb sein.

Was konnten Sie aus Deutschland für die fußballerische Ausbildung dort gut importieren, was nehmen Sie mit?
Es hapert dort am Abschluss, viele sind zu ballverliebt. Das kann ich ihnen abgewöhnen, das kann ich aber auch als Chance sehen: Ich lasse ihnen die Stärke lieber. Mein Ansatz ist nicht: Was können die Kinder nicht? Sondern: Was können sie? Und darin bestärken! Nicht alle gleichmachen.

Die WM in Südafrika liegt 13 Jahre zurück. Hätte die FIFA für mehr Nachhaltigkeit dort sorgen können?
Da würde ich gerne die Gründer von Young Bafana zitieren: Sie sagen mir, dass die Akademie mehrere Anträge über Hunderte Seiten an die FIFA geschickt hat zwecks Unterstützung, nach der WM. Leider ist kein einziger davon beantwortet worden, soweit ich weiß.

Interview: Thomas Böker