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Wie die UEFA die Stehplätze im Europacup zurückbringt

Offene Fragen um die EM 2024 in Deutschland

Schattenboxen um das Selbstverständliche: Wie die UEFA die Stehplätze im Europacup zurückbringt

Fans von Eintracht Frankfurt tragen beim Europa-League-Spiel gegen West Ham United im vergangenen Jahr Sitzschalen aus der Heimkurve.

Fans von Eintracht Frankfurt tragen beim Europa-League-Spiel gegen West Ham United im vergangenen Jahr Sitzschalen aus der Heimkurve. Getty Images

Fußballverbände und die organisierte Fanszene: Das ist nicht gerade eine Liebesbeziehung. Doch seit einigen Wochen sind vermehrt positive Bewertungen der deutschen Anhänger über den europäischen Kontinentalverband UEFA zu hören - jedenfalls wenn es um die Rückkehr der Stehplätze im Europapokal geht. "Das Fazit ist von Fanseite sehr positiv", sagt etwa Martin Endemann vom Dachverband Football Supporters Europe (FSE).

Es soll wieder gestanden werden dürfen - in Deutschland seit jeher eine Selbstverständlichkeit. Dass nun im Rahmen eines im vergangenen Sommer gestarteten Pilotprojektes zumindest in England, Frankreich und Deutschland auch in Champions League, Europa League und Conference League Stehplätze wieder erlaubt sind, ist ein Erfolg der organisierten Fans. 1998 hatte die UEFA das Verbot für Stehplätze infolge der Hillsborough-Katastrophe mit 97 Toten (einer von ihnen erlag seinen Verletzungen erst Jahrzehnte später) für Europacup- und Länderspiele eingeführt und war damit dem Beispiel des britischen Fußballs gefolgt. In Deutschland blieben die "Steher". Und dieselben Fans, die am Wochenende in den Fankurven der Bundesliga standen, sollten sich im Europapokal unter der Woche hinsetzen.

Zehntausende Euro Kosten pro Umbau

Die UEFA beendete mit der Wiedereinführung im vergangenen Sommer eine organisatorische Sisyphus-Aufgabe für die Klubs. Lagerung, Auf- und Abbau der Sitzschalen per Hand innerhalb weniger Tage haben ihren Preis: 50.000 bis 80.000 Euro etwa kostete allein die Umrüstung der Dortmunder Südtribüne pro Europacup-Spiel. Weil in Sitzplatzbereiche auch weniger Zuschauer passen und der Klub bei seiner Preispolitik bleiben wollte, entgingen dem BVB in der Champions League grob geschätzte 2,8 Millionen Euro Ticketeinnahmen.

Einzigartig in Dortmund: Die "Süd" im Signal-Iduna-Park ist die größte reine Stehplatztribüne Europas. 24.454 Zuschauer finden dort Platz.

Einzigartig in Dortmund: Die "Süd" im Signal-Iduna-Park ist die größte reine Stehplatztribüne Europas. 24.454 Zuschauer finden dort Platz. IMAGO/Kirchner-Media

Die Neuerung stößt mancherorts aber auf weniger Begeisterung als hierzulande. Olympique Marseille und Sporting Lissabon etwa entschieden sich vor ihren Champions-League-Gastspielen bei Eintracht Frankfurt gegen Stehplätze im Auswärtsblock, ebenso Atletico Madrid in Leverkusen - plötzlich mussten wieder Sitzschalen auf den Sichtbeton gebaut werden. 

Um den Wiedereinführungsprozess professionell anzugehen, schickt die UEFA unabhängige Beobachter zu jedem Europacup-Spiel mit Stehplätzen. Das Prozedere erinnert in Deutschland an Schattenboxen: Einen seit Jahrzehnten problemlos laufenden Prozess behandelt die UEFA so, als sei er gerade erst eingeführt worden. Allerdings geht es dabei auch um Haftungsfragen, Polizei und Sicherheitsbehörden mischen mit. Eine komplexe Geschichte, da sind sich Fan- und Klubvertreter einig. Aber eine, die läuft: Seit vorigem Jahr gibt es bei der UEFA erstmals einen festen Ansprechpartner, der sich um Fanangelegenheiten kümmert. Nur eine Person und nicht eine Abteilung, aber immerhin. 

Auch in England wird 34 Jahre nach Hillsborough wieder gestanden. Bei Tottenham, Chelsea, Manchester United und Manchester City gab es Pilotprojekte im Ligabetrieb. Auch beim FC Liverpool soll "Safe Standing" eingeführt werden. Einen öffentlichen Aufschrei gibt es darum nicht.

Kein Aufschrei nach den Auschreitungen von Nizza und Marseille

Das gilt auch für die Bewertung jüngerer Vorkommnisse wie den Ausschreitungen im Rahmen der Aufeinandertreffen von Marseille und Frankfurt, Köln und Nizza oder Dortmund und Kopenhagen. Die unabhängigen Beobachter, so ist aus dem Umfeld der Klubs zu hören, hätten registriert, dass die Krawalle nichts mit Stehplätzen zu tun gehabt hätten.

Schon jetzt sind sich bei den Vereinen und den Fangruppierungen alle sicher, dass die UEFA das Stehplatzprojekt ausweiten wird. Mindestens auf weitere Länder, möglicherweise gleich auf alle Verbände, in denen das die Gesetzeslage zulässt. 

Die komplizierte Frage nach der EM 2024

Bleibt die Frage: Darf auch bei der EM 2024 in Deutschland gestanden werden? Vonseiten der UEFA sind bislang eher verhaltene Töne zu hören. Man prüfe diese Option für die EM, für eine Entscheidung sei es aber noch viel zu früh. Das Problem: Bei Länderspielen werden Ticketkontingente in der Regel paritätisch zwischen den beiden Verbänden der Teams aufgeteilt, Fans sitzen mit ihren Landsleuten zusammen. In Bundesligastadien gibt es aber eine große Heimkurve und einen viel kleineren Auswärtsbereich. Sollen die Stehplätze bei Länderspielen nicht direkt nebeneinanderliegen, ist dieses System nicht mehr umsetzbar.

Eine Lösung wären entweder massive bauliche Veränderungen an den EM-Stadien oder aber eine Auflösung der Kontingent-Politik. Während die Rückkehr der Stehplätze im Europapokal nicht mehr aufzuhalten ist, könnte sie bei großen Turnieren also noch einige Zeit brauchen.

Jim Decker