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Sarpei im Interview: "Das Problem war, dass Suarez das geklaute Tor vor der ganzen Welt gefeiert hat"

Rückblick auf das legendäre Spiel gegen Uruguay bei der WM 2010

Sarpei im Interview: "Das Problem war, dass Suarez das geklaute Tor vor der ganzen Welt gefeiert hat"

Eine Parade, die in die Geschichte einging: Uruguays Luis Suarez klärt mit der Hand, Hans Sarpei war mit dabei.

Eine Parade, die in die Geschichte einging: Uruguays Luis Suarez klärt mit der Hand, Hans Sarpei war mit dabei. imago images (2)

Herr Sarpei, bei der WM 2010 war ich WM-Tourist, wir bekamen Viertelfinaltickets zugelost. Die Partie Ghana gegen Uruguay riss uns ehrlich gesagt im Vorfeld nicht vom Hocker, doch dann wurde es ein unvergessliches Spiel. Sie standen damals in der Startelf Ghanas. Was waren Ihre Gedanken vor der Partie?

Dass wir mit Uruguay einen starken Gegner bekommen haben, aber nicht so stark, dass man sagt: Da haben wir gar keine Chancen. Wir dachten uns: Okay, die können wir packen und ins Halbfinale kommen.

Blicken wir nochmal zurück auf die Höhepunkte. Kurz vor der Pause stellte Sulley Muntari mit einem Hammer aus gut und gerne 35 Metern auf 1:0. Wissen Sie noch, wie Sie reagierten?

WM 2010, Viertelfinale

Es war natürlich Begeisterung da. Wir wussten: Jetzt brauchen wir nur kein Tor mehr kassieren und wir sind weiter. Es war auch nicht so, dass Uruguay uns so auseinandergespielt hat, dass wir hätten Angst haben müssen. Man dachte: Jetzt sind wir mit einem Schritt im Halbfinale.

Muntari, Kevin-Prince Boateng und Sie legten danach ein flottes Tänzchen hin.

Ganz genau. Wir waren bei der WM lange im Camp zusammen. Da entstand auch dieser Tanz, den wir da aufgeführt haben.

Der Torwart half allerdings auch ein wenig mit. Genauso wie bei Diego Forlans Freistoß zum Ausgleich in der 55. Minute, oder?

Ja, bei unserem Treffer macht der Keeper bei Muntaris Schuss einen Schritt in die andere Richtung, das war schon ein Torwartding. Beim Ausgleich genauso. Ich dachte: Wie ist der Ball reingegangen? Ich habe es nicht verstanden. Der Ball ist schon geflattert, aber eben nicht in eine Ecke, sodass man ihn nicht halten kann.

Es gab Verlängerung, in der 119. Minute setzte Kevin-Prince Boateng einen Kopfball knapp neben das Tor. Das hätte schon der Sieg sein können.

Generell waren wir, vor allem in der zweiten Hälfte, in der Verlängerung am Drücken. Wir hatten bessere Chancen, Uruguay war auch irgendwie platt. Prince hätte auch schon mit etwas Glück das Tor machen können. Und dann kam ja die Szene …

Eine Szene für die WM-Geschichtsbücher. Luis Suarez klärte Sekunden vor Abpfiff gegen Stephen Appiah mit dem Fuß auf der Linie, beim folgenden Kopfball von Dominic Adiyiah nahm Suarez dann die Hand zur Hilfe. Rote Karte für Suarez, Elfmeter für Ghana. Wie haben Sie die Szene erlebt?

Ich war etwas weiter hinten. Ich habe nur gesehen: Wir schießen, da blockt einer ab. Wir köpfen, da blockt einer ab. Ich dachte: Das darf nicht wahr sein, warum will der Ball nicht rein? Dann haben alle "Hand, Hand" gerufen, das habe ich direkt nicht gesehen. Dann Elfmeter, da ist man erst mal überglücklich. Asamoah Gyan hatte ja schon zwei Elfmeter im Turnier reingemacht. Und wenn er den trifft, dann pfeift der Schiedsrichter nicht mehr an. Wir sind durch, du freust dich schon. Den macht er jetzt rein, und dann ist Ende. Und dann - bäm! Latte.

Gyan galt als sicherer Schütze, neben seinen zwei Elfmetertoren hatte er auch im Achtelfinale gegen die USA entscheidend getroffen. Er war bis dahin ja regelmäßig der Matchwinner für Ghana.

Absolut. Es hat alles danach geschrien, dass er ihn reinmacht. In der Zeit, in der ich mit ihm gespielt habe, war es der einzige Elfmeter, den er verschossen hat. Eigentlich wollte ja auch Appiah schießen.

Irgendwas stimmt nicht, dachte ich. Der Schiedsrichter muss irgendwas sagen, damit wir den nochmal schießen können.

Hans Sarpei über Asamoah Gyans verschossenen Elfmeter

Tatsächlich?

Ja, er kam von der Bank, weil er angeschlagen war, er war eigentlich unser Kapitän. Wenn er gespielt hat, war er der Elfmeterschütze. Es gab dann so eine kleine Diskussion. Vielleicht hat die dafür gesorgt, dass Gyan nicht getroffen hat.

Während Suarez draußen vor Freude ausrastete, ließen sich bei Ghana viele Spieler enttäuscht auf den Rasen fallen. Sie auch?

Umgefallen bin ich nicht, aber man konnte und wollte es nicht glauben. Irgendwas stimmt nicht, dachte ich. Der Schiedsrichter muss irgendwas sagen, damit wir den nochmal schießen können. Danach war klar, dass es Elfmeterschießen gibt, und mir klar: Wir gewinnen das Ding nicht. Alle waren niedergeschlagen, wir haben irgendwie danach schon gedacht, dass wir verloren haben. Wir mussten uns wieder aufrappeln, aber die Luft war raus.

Es war aber eng. John Mensahs Schüsschen hätte Uruguays Keeper Muslera fast mit dem Fuß stoppen können, Uruguays Maxi Pereira ballerte den Ball danach allerdings meilenweit über das Tor.

Mensah hatte von uns die meiste Kraft und die Power, fest zu schießen. Da hat man auch gemerkt, dass er mental durch war. Nach Pereiras Fehlschuss war Hoffnung da, aber wir waren einfach nicht so fokussiert. Vielleicht hätten wir Elfmeterschießen auch vorher nochmal trainieren sollen.

Der verhinderte Matchwinner Adiyiah verschoss danach, Sebastian Abreu packte anschließend den Panenka-Gedächtniselfmeter aus und lupfte das Leder beim entscheidenden Elfmeter frech in die Mitte. Ganz schön mutig, oder?

Das hab ich gar nicht mehr im Kopf, da war ich schon raus. Das Elfmeterschießen habe ich mir auch nie mehr im Fernsehen angeschaut. Nur die Szene von Suarez, wie er den Ball mit der Hand hält.

Wenn ich das auf der anderen Seite gemacht hätte, dann hätten mich die Ghanaer auch gefeiert.

Hans Sarpei über Suarez' Handspiel

Bei Ghana brachen viele Spieler weinend zusammen. Waren Sie einer von denen, der getröstet hat oder der getröstet werden musste?

Ein bisschen von beidem - es war einfach Leere da. Wir haben es erst später in der Kabine und im Bus mit Musik versucht, alles positiver zu sehen. Im Hotel hat man uns beklatscht. Aber dann bist du im Zimmer und denkst wieder: Es kann gar nicht sein, dass wir kein Halbfinale spielen.

Der damalige Ajax-Stürmer Suarez wurde für die Aktion kritisiert, er selbst sagte: "Jeder Spieler an meiner Stelle hätte genauso gehandelt wie ich." Stimmen Sie dem zu?

Es war nicht die Schuld von Suarez. Aber das Problem war, dass er nur ein Spiel Sperre bekommen hat. Am Ende war es die Bestrafung, und dass man gesehen hat, wie er vor der ganzen Welt feiert, dass er uns das Tor geklaut hat - wie er da rumgesprungen ist. Das tat noch mehr weh. Dafür wurde er eigentlich kritisiert. Aber das Handspiel hätte jeder gemacht. Wenn ich das auf der anderen Seite gemacht hätte, dann hätten mich die Ghanaer auch gefeiert.

Kamerun 1990, Senegal 2002 und Ghana 2010 - nur dreimal hat eine afrikanische Mannschaft ein WM-Viertelfinale erreicht. Geht bei dieser WM mal mehr?

Das hoffen wir bei jeder WM, aber da gehört natürlich auch Glück dazu.

Wäre Ghana ein Kandidat? Die Mannschaft hat das niedrigste Durchschnittsalter aller WM-Teilnehmer.

Manchmal braucht man auch die Erfahrung, aber die junge Mannschaft hat gezeigt, dass sie Gas geben kann. Wenn du die Gruppe überstehst und im Achtelfinale bist, dann kann alles passieren. Dann ist es immer hopp oder top. Und man braucht eben auch ein wenig Glück, so wie wir es mit den Gegnern 2010 hatten.

Ghanas Trainer Otto Addo sprach von einer "Schande", dass nur fünf von 32 Plätzen für Teams vom zweitgrößten Kontinent der Welt vorgesehen sind. Was sagen Sie dazu?

WM 2022, Gruppe H

Die Leute fragen immer: Warum war noch nie eine afrikanische Mannschaft im Halbfinale? Warum noch nie eine Weltmeister? Früher waren es sogar nur drei Mannschaften. Wie groß ist Afrika? Wie groß ist Europa? Wie groß ist Südamerika? Von dort kommen zehn Mannschaften! Alle sagen, dass die besten bei der WM dabei sein sollen. Dann muss man es aber auch gerecht machen. So fallen Mannschaften wie Algerien, Nigeria oder Ägypten mit Mo Salah weg, die auch dazu gehören. Man stelle sich vor, in Europa fahren nur fünf Mannschaften zur WM - dann wäre Deutschland auch ab und zu nicht dabei. Da muss sich etwas ändern, es muss ausgeglichener werden. Ansonsten braucht man auch die Diskussion nicht mehr führen, wann eine afrikanische Mannschaft Weltmeister wird, wenn viel weniger Teilnehmer dabei sind.

Ghana kann am Freitag schon mal ins Achtelfinale einziehen, ausgerechnet Uruguay steht wieder im Weg. Wie geht's aus?

Ich finde es gefährlich, dass wir unentschieden spielen könnten und auch weiter wären. Deswegen bin ich gar nicht darauf aus und tippe ein 2:1 für uns. Ich gehe davon aus, dass Otto fast die gleiche Mannschaft auflaufen lässt. Vielleicht lässt er vorne Inaki Williams spielen.

André Ayew ist der einzige aus dem Kader von 2010, der immer noch dabei ist. Haben Sie ihm schon viel Erfolg gewünscht?

Ja, aber vor der WM. Sonst versuche ich, mich ein wenig rauszuhalten. Vielleicht schreibe ich ihm heute oder morgen mal, aber ansonsten machen die Jungs das schon.

Interview: Christoph Laskowski