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Matthias Sammer im Interview: "Ärgert mich kolossal, dass man auf diese Expertise nicht zurückgreift"

Experte über Matthäus, Völler, Ballack, Lahm, Schweinsteiger

Sammer: "Ärgert mich kolossal, dass man auf diese Expertise nicht zurückgreift"

Traut der DFB-Elf viel zu: Matthias Sammer

Traut der DFB-Elf viel zu: Matthias Sammer IMAGO/ULMER Pressebildagentur

Im großen Interview in der kicker-Printausgabe am Montag (oder ab Sonntagabend als eMagazine) spricht Matthias Sammer über die Bundesliga, Borussia Dortmund und auch den FC Bayern. Hier äußert sich der frühere Nationalspieler, langjährige Funktionär und aktuelle Berater der Chefetage des BVB zum DFB und zur Nationalmannschaft.

Herr Sammer, wie blicken Sie kurz vor der WM auf das deutsche Team?

Wenn man die Mannschaft durchgeht, sind wir gut aufgestellt, vielleicht fehlt nur ein klassischer Mittelstürmer. Ich habe Vertrauen in Hansi Flick und ich glaube, dass wir eine sehr gute, interessante und konkurrenzfähige Mannschaft haben. Und wenn ich die Konkurrenz betrachte, sehe ich keine, die erheblich besser ist als wir.

Sie trauen dem Team alles zu?

Keine Frage, vor allem wenn sie weiter zusammenwächst und die Handschrift von Flick klar erkennbar ist. Am Anfang war sie das, zuletzt in der Nations League weniger, wenn man das Spiel gegen Italien ausklammert. Ich weiß immer noch nicht, was die Italiener da gemacht haben... Deutschland wird bis zur WM stark sein, ich sehe alle Möglichkeiten.

"Wer sich dem verschließt, der muss reich an Wissen sein"

Brauchte die Mannschaft nach so vielen Jahren unter Löw einen neuen Impuls?

Der Respekt des deutschen Fußballs gebührt Joachim Löw, aber alles im Leben hat seine Zeit. Es war wichtig, dass Jogi erkannt hat, dass eine Veränderung notwendig war, und dass er reagiert hat. Hansi kennt die Nachwuchsarbeit, er war Sportdirektor, er kennt die Nationalmannschaft, er kennt den Verband. Ich würde aber auch ihm wünschen, dass neben Oliver Bierhoff noch weitere Erfahrung in Form von Ex-Profis im Verband wäre. Wer sich dem verschließt, der muss reich an Wissen sein.

Die kommende Saison wird außergewöhnlich, im Winter wartet eine dreimonatige Unterbrechung wegen der WM. Was wird das für die Vereine und die nicht-nominierten Spieler bedeuten?

Sie brauchen eine gute Organisationsform. Dieses Turnier ist schon länger vergeben und terminiert. Ich war oft in Katar, neben allen berechtigten und richtigen moralischen Bedenken: Es tut mir leid, ich freue mich auf die WM.

Wären Privatturniere eine Lösung, um währenddessen im Rhythmus zu bleiben?

Die Leistungssteuerung muss so sein, dass die Körperlichkeit nicht unter der langen Pause leidet: Ruhe und Regeneration, dann rechtzeitiges Beginnen. Denn die Spieler, die nicht bei der WM sind, müssen im Januar in Top-Form sein.

Auch im Unterbau tut sich viel. Begrüßen Sie in Sachen Nachwuchsarbeit das "Projekt Zukunft" von DFB und DFL?

Ich bin zu weit weg, um das in der letzten Kommastelle zu beurteilen. Wir müssen anerkennen, dass die Zusammenarbeit zwischen Klubs und dem DFB Gemeinsamkeiten braucht, dass wir auf dem Spielfeld in klaren Hierarchien denken, dass wir Führungsspieler frühzeitig an ihre Aufgaben binden, dass wir Teamplayer verstärken, das zu unterstützen, und den Individualisten Raum für ihre Entwicklung geben. Wir müssen in Lösungen diskutieren, in den letzten Jahren habe ich gefühlt aber nur resignative Töne gehört.

Wir schaffen es nicht, alters- und entwicklungsgerechte Schwerpunkte zu setzen und den eigenen Spielern mehr Möglichkeiten zu geben. Es geht immer um die großen Linien, nicht um die dritte Stelle nach dem Komma. Und die steht leider beim DFB im Moment im Vordergrund, da geht es um Eitelkeiten, um Positionen, weniger um Kompetenz und in der Führungsetage gibt es keinen Ex-Fußballer. Das kann doch nicht sein. Wir haben jetzt einen neuen Präsidenten. Ich hoffe, dass mit ihm Kontinuität hereinkommt. Auch Aki Watzke ist in neuer Funktion. Da sind gute Leute, aber ich hätte gerne jemanden da, der aus der Praxis weiß, wie es geht und riecht, der selbst mal Weltmeister oder Champions-League-Sieger war.

Was ist Ihre Lösung?

Ich freue mich, dass Lothar Matthäus fantastisch analysiert. Aber wäre er nicht wichtiger in einer Stelle beim DFB? Rudi Völler hat jetzt aufgehört und könnte das, auch wenn er mich jetzt vielleicht anruft und beschimpft. Was ist mit Michael Ballack, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger? Das sind alles Leute, die müssen beim DFB nicht Präsident werden, aber warum schafft man nicht eine Stelle als Vize-Präsident, um Ausdruck, Gesicht und Haltung zu bekommen. Es ärgert mich kolossal, dass man auf diese Expertise nicht zurückgreift.

Wenn Sie Matthäus und Völler ein wenig in die Pflicht nehmen: Warum bieten Sie sich nicht dem DFB an?

Ich habe meinen Nachweis gebracht. Ich war über sechs Jahre im Verband, da dürfen mal andere ran.

Welche Chancen Matthias Sammer Borussia Dortmund in der neuen Saison ausrechnet, wie er die vielen Veränderungen im Sommer betrachtet, ob er an eine Schwäche von Serienmeister Bayern München glaubt und was er sich von Youssoufa Moukoko erhofft, lesen Sie in der Print-Montagsausgabe des kicker oder im eMagazine.

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