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Salzburg-Sportdirektor Freund über Haaland, Rangnick und Red Bull

Interview über Red Bull, Leipzig und Scouting

Salzburg-Sportdirektor Freund: "Bei Haaland hat nicht alles so gut ausgesehen"

Brauchte in Salzburg etwas Anlaufzeit: Erling Haaland.

Brauchte in Salzburg etwas Anlaufzeit: Erling Haaland. imago images

Herr Freund, wenn Sie jetzt an die letzten fast 15 Jahre bei Red Bull Salzburg zurückdenken - was fällt Ihnen als Erstes ein?

2012 vermutlich.

Und zwar?

Da haben wir den Strategiewechsel vollzogen und im Verein eine ganz neue Richtung eingeschlagen.

Das heißt?

Wir wollten auch vorher schon so erfolgreich wie möglich Fußball spielen, wer nicht? Wir sind Meister geworden in Österreich, aber es war ganz anders. Wir hatten bis dahin Spieler geholt, die, wie ein Alexander Zickler oder Niko Kovac, teilweise schon am Ende ihrer Karriere waren. Große Namen, gute Fußballer. Aber das haben wir 2012 radikal verändert. Auch in der Art, wie wir Fußball spielen.

Sie sind damals vom Teammanager zum Sportkoordinator an der Seite von Ralf Rangnick aufgestiegen.

Sportdirektor Christoph Freund

Seit 2006 in Salzburg tätig: Sportdirektor Christoph Freund. imago images

Richtig, mit Ralf kam der Umbruch. Wir haben den Ansatz entwickelt, dass wir nur noch junge und hochtalentierte Spieler holen und entwickeln wollten. Sie sollten nach Salzburg kommen und bei uns die ersten Schritte im Profifußball in Europa machen.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit Ralf Rangnick?

Sehr eng, intensiv und vertrauensvoll, drei Jahre immer an seiner Seite. Da konnte ich sehr viele neue Einblicke gewinnen.

Ab 2015 konzentrierte sich Rangnick ausschließlich auf RB Leipzig, Sie stiegen vom Sportkoordinator zum Sportdirektor auf. Was hat sich verändert?

Es waren große Fußstapfen, aber der Übergang hat gut funktioniert. Ich hatte mir bei Ralf viel aneignen und mitnehmen können. Ich war von der Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollten, total überzeugt. Deshalb änderte sich in diesem Bereich gar nicht so viel. Die letzten fünf Jahre haben wir das, würde ich meinen, gut hinbekommen, weil es für einen Verein in Österreich der vernünftigste Weg ist. Es macht einfach Spaß.

Wie sieht eigentlich ein normaler Arbeitstag als Sportdirektor in Salzburg aus?

Ein normaler Arbeitstag? Schwierig.(grinst) Die Arbeit ist sehr umfangreich und sehr abwechslungsreich, gerade das macht es ja so spannend. Alleine im Fußballgeschäft zu arbeiten ist doch für jeden, der Fußball mag, ein Traum. Ich führe am Tag viele Gespräche mit unseren Trainern, Scouts und Akademieverantwortlichen. Da gibt es einen permanenten Austausch, wie wir gewisse Mannschaften oder Spieler entwickeln wollen. Oder wie die Kader in den nächsten sechs bis 18 Monaten aussehen sollen. Auch mit Spielerberatern gibt es regelmäßig Gespräche. Es wird nicht langweilig!

Der Salzburger Weg, junge Talente früh zu holen und teuer zu verkaufen, scheint gut zu funktionieren. Auf was achten Ihre Scouts besonders?

Wir haben Kontakte in ganz Europa, sehr gute Kontakte nach Afrika oder Südamerika. Grundsätzlich gibt es bei uns klare Richtlinien für unsere Scouts, was wir suchen, welche Art von Spieler und in welchem Alterssegment. Das ist ein ganz entscheidender Faktor. Es gibt so viele Spieler, deshalb wollen wir uns auf den Bereich zwischen 17 und 19 oder 20 Jahren fokussieren. Die Spieler müssen zu unserem Fußball passen, sprich: schnelles Spiel, schnell umschalten, aggressiv, Power-Fußball. Wir wissen genau, wonach wir suchen.

Wir nehmen mal das Beispiel Dayot Upamecano, der als 16-Jähriger aus der U 19 von Valenciennes kam. Wie läuft in so einem Fall der Entscheidungsprozess ab?

Erstmals aufmerksam wurden unsere Scouts auf "Upa" bei Länderspielen der französischen U-17-Nationalmannschaft. Sie hatten ihn vier-, fünfmal beobachtet und sehr gute Berichte geschrieben. Unsere Scouts sind angehalten, Alarm zu schlagen, sobald sie einen Spieler sehen, der auffällige Fähigkeiten hat, die in unser Konzept passen könnten. Dies war bei Dayot der Fall. Für uns geht es dann darum, schnell zu sein. So viele detaillierte Informationen wie möglich einholen, viele Videos anschauen und den Jungen kennenlernen. Und das alles, bevor die ganz großen Vereine Ernst machen. Im Fall von "Upa" haben wir uns sehr schnell bemüht und auch große Konkurrenz bekommen. Bayern München und Manchester City wollten ihn haben.

Und er entschied sich für Salzburg.

Für einen Jungen aus Frankreich war Salzburg wahrscheinlich nicht das Wunschziel. Aber wir haben ihm aufgezeigt, was wir ihm bieten konnten, beispielsweise regelmäßige Einsatzzeit im Profi-Bereich. Wir konnten ihm versichern, dass Salzburg die beste Wahl war, bevor er dann bei Manchester City oder Bayern oder Leipzig den nächsten Schritt gehen konnte.

Upamecano war also im Endeffekt kein großes Geheimnis mehr. Aber wie schaut es denn aus, wenn Sie einen Patson Daka aus Sambia verpflichten, gehört da viel Glück zu?

Patson Daka

Salzburgs nächstes Top-Talent: Patson Daka. imago images

Ein bisschen Glück gehört immer dazu. Wir haben uns in Afrika gute Kontakte aufgebaut und sehr gute Erfahrungen gemacht. Beispielsweise mit "Dudu" (Amadou, d. Red.) Haidara, Diadie Samassekou, Sekou Koita, Mo Camara, Enock Mwepu oder eben Patson Daka. Wir haben ein gutes Integrationsnetzwerk entworfen und können die Jungs vorher kennenlernen. Wenn sie zu uns kommen, dann kümmern wir uns richtig um sie, auch außerhalb des Platzes mit unseren Integrationsmanagern. Es geht nicht darum, zehn zu holen, damit es einer schafft. Der Markt ist sehr interessant für uns, und wir haben uns schon ein bisschen darauf spezialisiert.

Salzburg hat in den letzten Jahren einige Spieler hervorgebracht, die, wie etwa Sadio Mané, in die Weltklasse-Kategorie vorgeprescht sind. Gibt es Jungs, auf die Sie im Nachhinein besonders stolz zurückblicken?

Es gibt so viele Jungs, die mir da einfallen. Aber besonders stolz bin ich auf die, die es aus unserer eigenen Akademie geschafft haben. Ein Xaver Schlager, Konni Laimer, Stefan Ilsanker, Martin Hinteregger, Hannes Wolf, Valentino Lazaro oder Stefan Lainer. Sadio war damals einer der ersten Jungs, die wir nach unserem Strategiewechsel geholt haben. Er ist natürlich jetzt der spektakulärste Name. Oder Erling Haaland.

Haben Sie diesen steilen Aufstieg kommen sehen, als er im Januar 2019 aus Molde kam?

Nicht in der Form, das muss ich ehrlich sagen. Wir hatten Erling schon lange verfolgt, seit er 15 wurde. Er ist in diesen Jahren extrem gewachsen, und das hat nicht immer alles so gut ausgesehen. Der entscheidende Aspekt war für uns: Mentalität schlägt Talent, obwohl er natürlich auch viel Talent mitbrachte. Aber diese unglaubliche Mentalität war bei ihm sofort erkennbar.

Er hat ja auch das erste halbe Jahr unter Marco Rose kaum gespielt.

Aber gerade da hat sich sein besonderer Charakter gezeigt. Wie er jeden Tag im Training Vollgas gegeben und nicht einmal einen Schmollmund gezogen hat. Dieser unbändige Wille und Hunger, wie er über das Spielfeld springt, auch wenn ihm nicht immer alles gelingt. Zum Glück konnte man das damals noch nicht sofort sehen.

Zum Glück?

Sonst wäre Dortmund oder irgendein anderer großer Klub viel früher eingesprungen und hätte ihn uns damals weggeschnappt. (grinst)

Ganz frisch ist mit Dominik Szoboszlai der 18. Spieler direkt von Salzburg nach Leipzig gewechselt. Können Sie die Kritiker verstehen, die Leipzig wegen Red Bull einen Wettbewerbsvorteil vorwerfen?

Sportdirektor Christoph Freund verabschiedet Dominik Szoboszlai

Sportdirektor Christoph Freund verabschiedet Dominik Szoboszlai. imago images

Nein, nicht wirklich. Wir entscheiden doch nicht, wo jemand hingeht, das macht immer der Spieler selbst. Wenn Erling nach Leipzig gewollt hätte, wäre er zu Leipzig gewechselt. Er hat für sich entschieden, dass Dortmund der richtige Schritt war. Wenn Dominik Szoboszlai von Milan überzeugt gewesen wäre, wäre er zu Milan gewechselt. Er hatte alle Optionen offen, er hatte es in der Hand. Natürlich verfolgen Salzburg und Leipzig eine ähnliche Philosophie und einen ähnlichen Spielstil. Spieler wissen also, was dahintersteht. Entscheidend ist, dass im Endeffekt immer der Spieler gemeinsam mit seiner Familie und seinem Management die Entscheidung trifft, wohin er wechseln möchte.

Zumindest das Netzwerk wird Leipzig doch aber nicht schaden?

Vielleicht ist es so, dass Leipzig die Spieler schon länger und intensiver kennt und verfolgt als andere Vereine. Aber es geht auch anders - siehe Haaland. Auch viele weitere unserer Spieler sind zu anderen internationalen Top-Mannschaften gewechselt und nicht nach Leipzig.

Hat RB Salzburg auch den Anspruch, mal Top-Spieler aus Leipzig zu verpflichten, oder wird das aufgrund der österreichischen Liga schlicht nie möglich sein?

Wir wollen Spieler zu uns holen, die noch keinen großen Namen und in keiner großen Liga gespielt haben. Es wäre aus meiner Sicht nicht der gesunde nächste Schritt, aus einer großen Liga nach Österreich zu wechseln.

Mit Ihren Trainern passiert im Grunde das gleiche wie mit den Top-Talenten, auch sie machen sich in Salzburg einen Namen und gehen dann, wie zum Beispiel Marco Rose, in die Bundesliga.

Ich finde es cool, was mit unseren Trainern so passiert und welchen erfolgreichen Weg sie gehen. Auch ein Adi Hütter, Roger Schmidt oder ein Oliver Glasner (war Co-Trainer in Salzburg, d. Red.) sind gute Beispiele. Marco war vier Jahre Trainer in unseren Jugendmannschaften und 2017 die logische Wahl. Er hat den Fußball, für den wir stehen, total verkörpert. Natürlich können wir auch ihm oder anderen aufzeigen, was man hier erreichen kann. Hier können Trainer Erfolg haben, mit einer jungen Mannschaft arbeiten und auch international spielen.

Apropos international. Ihren jetzigen Trainer, Jesse Marsch, haben vor allem Bayern-Fans in der Champions-League-Gruppenphase intensiv erleben dürfen. Agiert er auch im täglichen Miteinander so emotional?

Sportdirektor Christoph Freund mit Trainer Jesse Marsch

Sportdirektor Christoph Freund mit Trainer Jesse Marsch. imago images

Er sprüht vor Energie, so tickt er einfach. Es macht Spaß, wenn man ihn morgens am Trainingsplatz trifft.

Wird auch Marsch bald in die deutsche Bundesliga wechseln?

Jesse ist sehr ehrgeizig, hat eine klare Vorstellung, wie er Fußball spielen will. Er hat sich definitiv einen Namen gemacht in den letzten anderthalb Jahren hier in Salzburg. Er wird seinen Weg als Cheftrainer in Europa machen.

Elfmal hatte Salzburg bis 2019 die Champions League verpasst. Muss es jetzt auch mal mit dem Achtelfinale klappen, um einen Haaland oder Szoboszlai länger zu halten?

Der Weg, den wir gehen, macht uns großen Spaß. Es gibt keinen Plan, wann wir es wohin schaffen müssen. Wir haben uns in dieser Saison in der Champions League gegen Bayern oder Atletico richtig gut präsentiert, aber auch Lehrgeld bezahlt. Das gehört dazu. Dass Erling Haaland nur so kurz da war, war natürlich speziell, weil er unglaublich explodiert ist. Das ist eigentlich nicht der normale Weg. Üblicherweise spielt man schon zwei oder drei Jahre bei uns. Erling war durch diese spektakuläre Art und Weise nicht mehr aufzuhalten. Aber wenn einer so spielt, darf uns das gerne alle paar Jahre mal passieren. (grinst)

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