Int. Fußball

Rüdiger-Berater Senesie im Interview: "Die Strategie war, ruhig zu bleiben"

Einblicke zum Wechsel, Ansichten zur Branche

Rüdiger-Berater Senesie im Interview: "Die Strategie war, ruhig zu bleiben"

Transfer in der Königsklasse: Antonio Rüdiger, Real-Präsident Florentino Perez und Sahr Senesie (v.li.).

Transfer in der Königsklasse: Antonio Rüdiger, Real-Präsident Florentino Perez und Sahr Senesie (v.li.). Helios de la Rubia/Real Madrid

Am Mittwoch, um 4.30 Uhr unserer Zeit, wird Antonio Rüdiger in San Francisco sein zweites Testspiel für Real Madrid bestreiten, auf der US-Vorbereitungstour geht es gegen Club America. Bevor der deutsche Nationalspieler vom Klubweltmeister FC Chelsea zum Champions-League-Sieger nach Spanien wechselte, gab es viele spannende Momente rund um diesen Transfer. Im Interview gibt Sahr Senesie (37), Rüdigers Berater und Halbbruder, Einblicke in die Abläufe, Hintergründe und spricht ebenso über Emotionen sowie seine konkrete Arbeit und seine Branche im Allgemeinen.

Herr Senesie, wenn Sie mitten in den Gesprächen plötzlich die Falschmeldung lesen, dass in Italien der Wechsel Ihres Klienten Antonio Rüdiger zu Juve perfekt sei - sorgt das für ein Schmunzeln, Schweißausbrüche oder Wut?

Wütend war ich nicht, aber verwundert. Ich habe mich gefragt, woher das kommt. Und ich bekam natürlich Anrufe deswegen. Juve war zwar einer der Vereine, mit denen ich gesprochen hatte, aber es lag zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Angebot vor, entsprechend war es de facto nicht möglich, sich zu einigen ….

Letztlich wurde es Real - mit langem Anlauf. Bevor wir zur emotionalen Seite eines Transfers kommen, welche Schritte müssen chronologisch gegangen werden, bevor so ein großer Deal eingetütet ist?

Am Anfang steht die Kontaktaufnahme seitens des Klubs, es werden Informationen ausgetauscht. Daraufhin sprechen die entscheidenden Leute des Klubs intern darüber. Beim zweiten Mal hinterlässt er dann sein Interesse und fragt, ob der Spieler auch Interesse hätte …

… der wird aber nach dem ersten Schritt hoffentlich auch informiert?

Ja, klar, da geht es auch um gegenseitiges Interesse. Im besagten zweiten Schritt könnte dann auch schon über Zahlen gesprochen werden, was man sich vorstellt. Das kann man beantworten oder auf ein Gespräch an einem Tisch warten und dies dort aushandeln.

Wenn ich wieder anrufe, sollen die Leute gerne wieder ans Telefon gehen.

Sahr Senesie

Wie ist Ihre Vorgehensweise?

Nichts überstürzen. Wichtig ist, dass man Gespräche mit einem guten Gefühl verlässt. Wenn ich wieder anrufe, sollen die Leute gerne wieder ans Telefon gehen. Weiter geht’s dann jedenfalls mit der Einbindung des Trainers, wenn ein Gespräch mit dem Spieler erwünscht ist, findet es statt. Schließlich folgt die juristische Komponente.

Da wird das Ganze dann finalisiert?

Genau. Da sind dann auch die Klubverantwortlichen gar nicht mehr involviert. Dann geht der Daumen hoch, und die Sache ist durch.

Und wenn nicht - wie knifflig sind die juristischen Feinheiten, wie oft kommt es vor, dass zwischen Ihnen und dem Verein alles klar ist, dann aber bei den Anwälten wieder neue Hürden auftauchen?

Das kann passieren, war hier aber nicht der Fall. Es kamen nur noch Detailfragen auf, zum Beispiel wegen der Imagerechte, aber das ist meist nichts Unüberwindbares.

Die Wechselgedanken gab es ja schon länger bei Toni Rüdiger. Wie muss man sich die ersten Schritte vorstellen? Man erstellt eine Liste mit Champions-League-Klubs und wägt dann sportliche, finanzielle und familiäre Punkte ab, bis zwei oder drei Favoriten übrigbleiben?

Der Fall war anders gelagert: Die Wechselgedanken gab es nur in der Phase, als der Spieler, hier mein Bruder, auf der Tribüne saß. Doch da kam letztlich kein Wechsel zustande. Unter Thomas Tuchel besserte sich bekanntlich alles. Dennoch wollten wir auch ohne konkrete Wechselabsicht nicht einfach einen neuen Vertrag unterschreiben, denn es sind ja immer noch dieselben handelnden Personen im Verein dabei. Nach der schwierigen Phase für Toni wollten wir erst einmal die Situation weiter beobachten.

Wozu haben Sie Antonio buchstäblich geraten?

Die einzige Strategie war immer, ruhig zu bleiben und Top-Performance abzuliefern. Ich habe ihm gesagt, ich kläre alles im Hintergrund. Er sollte auf dem Platz funktionieren, für die Mannschaft da sein.

Wir standen quasi seit 2016 mit dem Klub in Kontakt. Bereits 2019 wurde das Interesse auch schon einmal konkreter.

Sahr Senesie über Real

Mitten in der - nennen wir sie Überlegungsphase - begann Putin den Angriffskrieg, bei Chelsea überschlugen sich die Ereignisse, der Klub war quasi handlungsunfähig. War die Option des Verbleibs damit gestrichen, war Toni gewillt, weiterhin abzuwarten, oder war da schon entschieden, dass er gehen wollte?

Wir verfolgten zunächst weiter die Strategie des Abwartens. "Bleib ruhig und spiel gut Fußball", habe ich ihm gesagt. Aber nach zwei Monaten der Ungewissheit, auch mit Blick auf etwaige neue Eigner des FC Chelsea und deren Vorstellungen, drängten dann auch zwei, drei europäische Spitzenklubs auf eine Entscheidung. Also mussten wir die Situation, die Toni übrigens noch nicht kannte, neu bewerten. Er hat dann letztlich ganz sauber seinen Coach Thomas Tuchel informiert, dass er gehen möchte, nachdem er sich zwischen weiterem Warten mit viel Ungewissheit, bis vielleicht in den Juni hinein, und einem Wechsel zu Real entscheiden musste.

In dem Fall war klar, dass er ablösefrei gehen darf. Erleichtert das die Verhandlungen, weil ein Posten entfällt, oder werden sie erschwert, weil dadurch andere Modalitäten wie Handgeld oder Boni noch mehr in den Mittelpunkt rücken?

Das Verhandeln zwischen den Klubs fiel weg, das machte es schon ein Stück weit einfacher. Jedoch zwischen dem Spieler und dem aufnehmenden Verein ist es tatsächlich schwieriger, weil man mehr Punkte einbeziehen muss.

Beschreiben Sie doch mal bitte die emotionale Achterbahn: Gab es Momente, in denen alles klar schien, das Blatt sich aber wendete oder auch freudige Überraschungen?

Es war schon schwierig, es gab Wendungen. Aber die hatten auch mit sportlichen Ergebnissen zu tun, zum Beispiel sahen Vereine nach Erfolgen in der K.-o.-Phase der Champions League keinen Bedarf mehr, sich zu verstärken. Das hat nichts mit dem Spieler selbst zu tun. Aber anders herum fördern schlechte Resultate auch mal Aktionismus und neue Interessenten zutage. Bei Real traf beides nicht zu, der Verein hat gedacht: Diese Qualität bekommst du nicht wieder ablösefrei.

Kann man Nervenstärke und Geduld erlernen oder ist die Ihnen angeboren?

Natürlich war ich auch mal nervös. Aber das darf ich nicht zeigen. Es ging nur um Leistung, dann konnten wir ruhig bleiben.

Haben Sie mit Florentino Perez verhandelt, oder erledigen das Angestellte bei Real?

Der Kontakt war direkt mit Real, nicht mit ihm, sondern mit der Geschäftsführung. Es war insofern unkompliziert, als dass wir quasi seit 2016 mit dem Klub in Kontakt standen. Bereits 2019 wurde das Interesse auch schon einmal konkreter, bevor dann die Transfersperre für Chelsea kam und Toni auch aus Respekt vor den Verantwortlichen bei Chelsea, keinen Transfer erzwingen wollte. Chelsea hätte damals keinen Ersatz für ihn verpflichten können.

Es gab große Klubs, mit denen man sich ausgetauscht hat, darunter auch Bayern.

Sahr Senesie

Wollte Ihr Bruder vor der Unterschrift mit Carlo Ancelotti sprechen?

Ja. Mit Carlo bin ich seit 2018 im engen Austausch, seit Neapel. Carlo hat ihm erklärt, wie er sich das Ganze sportlich vorstellt. Das hat Toni gefallen. Es war ein sehr harmonisches Gespräch und hat sein gutes Gefühl weiter bestärkt.

Wer gehört denn neben Ihrem Bruder noch zu Ihrer Klientel, den die Fans kennen sollten?

Zum Beispiel Josip Joranovic von Celtic oder Adam Buksa, der aus der MLS zu RC Lens gewechselt ist. Dazu noch einige andere, spannende Talente.

Wie schwer fiel es, die nicht aus den Augen zu verlieren in der entscheidenden Phase des Wechsels Ihres Bruders?

Das war nicht schwierig, weil sich um Toni ein ganzes Team kümmert. Zum Beispiel in juristischen Fragen Alexander Bergweiler, ein Top-Sportrechtler. Ich selbst bin viel unterwegs, kümmere mich um das Pflegen und Aufbauen von Netzwerken.

Was war dran am FC Bayern?

Es gab große Klubs, mit denen man sich ausgetauscht hat, darunter auch Bayern. Aber am Ende kamen nur Chelsea oder Real infrage.

War das buchstäblich Ihr Königstransfer? Was soll jetzt noch kommen, um das zu toppen - und ganz pragmatisch: Was bleibt in dem konkreten Fall zu tun, wenn der nächste Wechsel oder die nächste Vertragsverlängerung erst in drei oder vier Jahren ansteht?

Ich möchte schon noch andere Ziele erreichen: die besagten Talente weiterzubringen und helfen, dass sie im Profibereich Fuß fassen. Dadurch, dass Toni jetzt wirklich erst mal ankommen muss in Madrid, kann ich mich noch mehr um die anderen kümmern.

Die internationalen Top-Transfers des Sommers

Die Antonio-Rüdiger-Stiftung betreuen Sie auch. Was sind die Hauptziele, wie viel Arbeit verwenden Sie darauf?

Sie macht tatsächlich 60 Prozent meiner Arbeit aus. Die Stiftung ist in Sierra Leone, Deutschland und England tätig. Es liegt ihm im Blut, den Menschen, vor allem Kindern zu helfen, die es nötig haben. Er denkt auch an Menschen mit Handicap. Dabei auch für Mädchen und Jungen gleichermaßen gute Voraussetzungen zu schaffen. Ihm geht es sehr gut, davon will er etwas abgeben.

Warum sind Sie eigentlich Berater geworden?

Toni wollte 2014 mit seinem damaligen Management nicht mehr weiterarbeiten und hat mich gefragt. Er kam auf mich, weil er wusste, dass ich das Ganze im Sinne der Familie managen würde. Dass man mit einem so prominenten Spieler starten darf, erschwert und erleichtert das Ganze gleichzeitig. Es werden zwar Türen geöffnet, aber er war gerade Nationalspieler geworden, also ist es auch eine Bürde.

Wenn es um einen Transfer zu einem anderen Klub geht - möchte der Spieler dann mitten in der Saison selbst durch die Welt fliegen und verhandeln? Schwierig.

Sahr Senesie über Spieler ohne Berater

Die Beraterbranche ist nicht die beliebteste. Ist das oberflächlich und ungerecht, oder verstehen Sie diese Sichtweise angesichts des Auftretens mancher Ihrer Kollegen?

Natürlich kann das Verhalten mancher Leute dazu beitragen. Aber: Es wird auch medial zugespitzt, weil es immer nur um diese drei, vier "Big Agents" geht, die dann millionenschwere Provisionen einfahren. Aber es gibt eine Menge an Beratern, die hart arbeiten und einen Top-Job machen, aber medial gar nicht stattfinden, weil sie scheinbar nicht genug polarisieren, um Medienrelevanz zu erzeugen.

Wenn Begriffe wie Piranha fallen, denkt man gleich an einen ganzen Berufsstand. Wie schwierig ist es in dem Kontext für Sie, den Vereinen klarzumachen, dass Sie anders ticken?

Egal, in welches Gespräch ich gehe: Die menschliche Komponente muss über allen stehen. Die Verhandlungen können zäh, hart sein, dennoch ist der Respekt das Wichtigste. Jeder soll das Gefühl haben, gar nicht in einer Verhandlung zu sitzen. Ich bin immer bemüht um die Atmosphäre.

Bekommt ein Berater immer "nur" Provision, wenn etwas fix ist, sprich: Ist auch viel Mühe umsonst? Oder gibt es auch ein festes Gehalt?

Provisionen kommen eben nur zustande, wenn es zu einem Abschluss kommt. Es gehört zum Berufsrisiko, auch mal zehn Gespräche umsonst geführt zu haben. Daran sollte die Öffentlichkeit auch denken, wenn Pauschalisierungen über unsere Branche vorgenommen werden.

Zuletzt wurde diskutiert, ob Spieler-Berater auch von Spielern bezahlt werden sollten oder von Vereinen. Wie stehen Sie dazu und warum?

Ich bin für beides. Man tut ja auch dem Verein etwas Gutes, weil er sich durch den Transfer etwas erhofft: Erfolge, Trophäen, mehr Einnahmen … Und die Spieler sind auch daran interessiert, einen guten Vertrag zu erhalten, von dem sie dem Berater prozentual etwas zugutekommen lassen. In Belgien wird es so gehandhabt, dass der Spieler den Berater zahlt, und da funktioniert es auch. Aber es gibt ja auch ganz klar sehr oft Aufträge eines Klubs, Spieler woanders unterzubringen. Dafür sollte dann wiederum eher der Verein bezahlen.

Podcast
Podcast
Saison 2001/02: Seuchen- oder Traumsaison?
51:48 Minuten
alle Folgen

Kann man das Ganze mit einer Maklertätigkeit bei einem Hauskauf vergleichen?

Den Vergleich lasse ich nur bedingt gelten. Wir reden von Emotionen, das unterscheidet sich von der Immobilie. Wir gehen mit Menschen um, mit Gefühlen. Das ist wichtig, weil alles komplexer ist.

Können Sie nachvollziehen, wenn Topspieler wie Joshua Kimmich oder Hakim Ziyech ihre Angelegenheiten alleine lösen wollen, ohne Berater? Unterschätzen diese Profis Ihre Arbeit?

Ich habe Respekt vor den namentlich genannten Spielern. Aber Joshua Kimmich wusste ja, dass er bleiben wollte. Ich sehe es so: Ein Spieler wird einen Vertrag von 43 Seiten nicht ohne Rückversicherung unterzeichnen, dafür haben sie Juristen. Aber wenn es um einen Transfer zu einem anderen Klub geht - möchte der Spieler dann mitten in der Saison selbst durch die Welt fliegen und verhandeln? Schwierig.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie, wie generieren Sie Klienten und wie stehen Sie zu dem Trend, dass sich immer mehr Agenturen zusammenschließen: Wird es bald keine Einzelkämpfer auf dem Beratermarkt geben, sondern nur noch Mega-Firmen, die mehr als 100 Spieler betreuen?

Wir haben acht Mitarbeiter, ein kleines, aber feines Unternehmen. Und wir wollen das auch bleiben, nicht mit anderen fusionieren. Klienten kommen auf verschiedene Arten, manchmal rufen schon Eltern begabter Kinder an. Aber die vertreten wir nicht vor ihrem 16. Geburtstag.

Interview: Thomas Böker