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Rettigs Wunschlösung: Weiter mit "Glücksfall" Völler

DFB-Geschäftsführer über die EURO, Nagelsmann und die Zukunft

Rettigs Wunschlösung: Weiter mit "Glücksfall" Völler

Sperach viele Themen an und hat klare Vorstellungen: DFB-Geschäftsführer Sport Andreas Rettig beim Redaktionsbesuch in der kicker-Zentrale.

Sperach viele Themen an und hat klare Vorstellungen: DFB-Geschäftsführer Sport Andreas Rettig beim Redaktionsbesuch in der kicker-Zentrale. Sportfoto Zink / Wolfgang Zink

Als eine der ersten Maßnahmen unter seiner Ägide als DFB-Geschäftsführer "haben wir das Organigramm im sportlichen Bereich deutlich verändert", erklärt Andreas Rettig. So wurde innerhalb der drei von Rudi Völler (Männer), Nia Künzer (Frauen) und Hannes Wolf (Nachwuchs, Training und Entwicklung) verantworteten Direktionen die Führungsebene der Bereichsleiter generell gestrichen.

Deshalb werde der Posten des ausgeschiedenen DFB-Akademieleiters Tobias Haupt nicht neu besetzt. Zudem sei innerhalb der Direktionen jeweils "eine vertikale Entscheidungskompetenz" geschaffen worden. Bedeutet: Auch das Stellenprofil des zuvor für den männlichen Nachwuchs wie für die Frauen als "Sportlicher Leiter Nationalmannschaften" zuständigen Joti Chatzialexiou existiert nicht mehr.

"Wir wollen mehr Rhein-Main verkörpern und weniger Silicon Valley"

Chatzialexious Abschied vom DFB allerdings "habe ich sehr bedauert", betont Rettig. "Wir haben Joti auch innerhalb der neuen Struktur ein konkretes Angebot mit Personalverantwortung für 70 Mitarbeitende gemacht. Es war seine Entscheidung, dass er sich darin nicht wiederfand." Dass Personalverschlankung unterdessen auch zur Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen des wirtschaftlich in Schieflage geratenen Verbands passt, kann Rettig nicht bestreiten. Trotzdem gelte der Grundsatz: "Sparen heißt sinnvoll investieren."

Im Zuge dessen könnte "auch die Nutzung des Campus noch aufgabengerechter angepasst" werden. Generell stehe über allem: "Wir wollen Fußballentwicklung künftig ganzheitlicher betrachten. Und dabei ein bisschen mehr Rhein-Main verkörpern und weniger Silicon Valley."

Künstliche Intelligenz kann ein Hilfsmittel sein. Aber wichtiger ist die emotionale Intelligenz.

Andreas Rettig

Ein deutlicher Hinweis darauf, dass offenbar auch für Rettigs Geschmack beim DFB in jüngerer Vergangenheit eine übermäßige Verwissenschaftlichung und Theoretisierung Einzug gehalten hat. Speziell mit Blick auf die Ausbildung von Spielern und Trainern. Seine Forderung: "Wir wollen akademisches Wissen greifbarer und verständlicher machen. In der Akademie wurden und werden sehr viele sehr gute Dinge erarbeitet. Unser Auftrag lautet jetzt, die Transformation auch auf die Basis besser zu gewährleisten. Um es plakativ auszudrücken: Künstliche Intelligenz kann ein sehr sinnvolles Hilfsmittel sein. Aber wichtiger als diese ist die emotionale Intelligenz. Es geht hier vorrangig um Menschen."

"Vorfreude ungebrochen, egal was passiert": Rettig über die EM

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Tests vor der EM: "Was ist los, wenn wir beide putzen?"

Der bevorstehenden Europameisterschaft im eigenen Land blickt Rettig nach eigener Aussage "erwartungsfroh" entgegen. Denn: "Unsere A-Nationalmannschaft der Männer ist immer noch die Mannschaft mit der höchsten Aufmerksamkeit in Deutschland. Wir sind im Positiven wie im Negativen emotional aufgeladen. Aus meiner Wahrnehmung ist die Identifikation mit der Nationalmannschaft, um mal Rudi Völler zu zitieren, nicht an einem tiefsten Tiefpunkt angelangt."

DFB-Spiele im März

Das Risiko einer Negativ-Dynamik im Fall von Testspiel-Niederlagen gegen die Hochkaräter Frankreich und Niederlande im März hält er zudem für gering: "Für mich stellt sich die Frage anders: Was ist in Fußball-Deutschland los, wenn wir beide putzen? Wenn du gegen Gibraltar oder Malta gewinnst, bewirkt das nichts. Aber 100 Tage vor der EM einen der beiden Top-Gegner zu schlagen, kann etwas auslösen."

"Nagelsmann gibt uns allen ein gutes Gefühl"

Doch auch andernfalls habe Bundestrainer Julian Nagelsmann "nichts zu befürchten". Denn, so Rettig: "Ich habe die ersten Länderspiele unter Julian auf der USA-Reise miterlebt, war nach Rücksprache mit ihm auch bei den Mannschaftssitzungen dabei. Dabei hat mich Julian erstens nicht überfrachtet (lacht), und zweitens hat er eine unglaublich positive und begeisterungsfähige Art. Außerdem lässt er die Nähe von Rudi Völler zu und ist bereit zu reflektieren, ohne seinen eigenen Weg zu verlieren. Das gibt uns allen ungeachtet vom Spielausgang ein gutes Gefühl. Meine Vorfreude auf die EM ist ungeteilt."

Eine Doku wie 'All or nothing' bei der WM in Katar hätte ich nicht akzeptiert.

Andreas Rettig

Ausgeschlossen sei unterdessen eine TV-Doku nach dem Vorbild des Amazon-Werks "All or nothing" während der WM in Katar, das ein verheerendes Bild vom Innenleben der Nationalmannschaft zeichnete:  "Eine solche Doku hätte ich nicht akzeptiert", stellt Rettig klar. "Jetzt saß ich mit am Tisch, auf dem wieder lukrative Angebote für die EM lagen. In Absprache mit Rudi und der Mannschaft haben wir abgelehnt. Ich bewerte den Schutz unserer Spieler und Mitarbeiter höher als den Euro, den wir vielleicht mehr verdienen können. Trotz strukturellen Defizits. Können wir nicht entscheiden, was gezeigt wird und was nicht, machen wir es nicht."

"Rudi ist ein Glücksfall": Direktorenfrage soll vor EM-Start geklärt sein

Unterdessen plant Rettig selbstredend auch schon perspektivisch über das Turnier hinaus. Dabei soll die künftige Besetzung des Sportdirektoren-Postens für die Nationalmannschaft "schon vor der EM geklärt" werden. "Sie sollte auch nicht vom Turnierergebnis abhängen."

Andreas Rettig, eingerahmt von kicker-Reportern Matthias Dersch (li.), Oliver Hartmann  und Thiemo Müller (re.).

Besuch in Nürnberg: Andreas Rettig, eingerahmt von kicker-Reportern Matthias Dersch (li.), Oliver Hartmann und Thiemo Müller (re.). Sportfoto Zink / Wolfgang Zink

Rettigs Wunschlösung wäre dabei offenbar eine Vertragsverlängerung mit Rudi Völler, auch wenn dieser schon mehrfach seinen Abschied angekündigt hat: "Ich halte Rudi tatsächlich für einen Glücksfall. Ich habe jahrelang bei Bayer Leverkusen Tür an Tür mit ihm gearbeitet und vertraue ihm. Wir haben verabredet, uns zusammenzusetzen und über seine Pläne zu reden. Ich habe einen klaren Wunsch, aber den werde ich nicht jetzt und hier äußern", erklärt Rettig im Interview vielsagend.

Wie Geschäftsführer Rettig außerdem zu einem wieder bodenständigeren Image des Verbands beitragen will, was er Deutschlands Nachwuchstrainern und den U-17-Weltmeistern ins Stammbuch schreibt, warum man deren Erfolgscoach Christian Wück auch mit einem Einjahres-Vertrag gerecht werden könnte und warum er den Abgang von Ex-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ganz anders bewertet als große Teile der Öffentlichkeit, lesen Sie in der aktuellen Print-Ausgabe des kicker am Montag oder ab Sonntagabend im eMagazine.

Thiemo Müller

Toni Kroos of Real Madrid CF Real Madrid v Villarreal, La Liga, Football, Santiago Bernabeu Stadium, Madrid, Spain - 17 Dec 2023 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxGRExMLTxCYPxROUxBULxUAExKSAxONLY Copyright: xRubenxAlbarran Shutterstockx 14261348fr

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