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Nüchtern unauslöschlich: Ein Nachruf auf Karl-Heinz Schnellinger

Deutsche Fußballlegende mit 85 Jahren verstorben

Nüchtern unauslöschlich: Ein Nachruf auf Karl-Heinz Schnellinger

Lässiger Wahlitaliener: Karl-Heinz Schnellinger kehrte Deutschland und dem DFB den Rücken.

Lässiger Wahlitaliener: Karl-Heinz Schnellinger kehrte Deutschland und dem DFB den Rücken. IMAGO/Ferdi Hartung

Das Spiel, mit dem sein Name auf ewig verbunden bleibt, war so besonders, dass es als "Jahrhundertspiel" am legendären Aztekenstadion eine Gedenk-Plakette erhalten hat. Karl-Heinz Schnellinger selbst sah Deutschlands WM-Halbfinale 1970 gegen Italien (3:4 n. V.) da deutlich kritischer.

Bis zur Verlängerung sei jenes unvergessliche Jahrhundertspiel vielmehr ein "Scheiß-Spiel" gewesen, meinte der strohblonde Verteidiger einmal, der unverändert einer der deutschen Vorzeige-"Legionäre" bleibt, bis Toni Kroos vielleicht der deutsche Vorzeige-Legionär. Was auch der Nüchternheit zu verdanken war, mit der Schnellinger das Jahrhundertspiel einordnete.

1939 in Düren geboren wurde der wenig verschnörkelte Abwehrspieler noch in Diensten der SG Düren 99 vor der WM 1958 Nationalspieler, wenig später wechselte er zum 1. FC Köln. In der Domstadt reifte nicht nur ein herausragender Fußballer heran, der 1962, obwohl sich Deutschland bei der WM in Chile nicht mit Ruhm bekleckert hatte, bei der Ballon-d'Or-Vergabe Dritter wurde. Als Defensivmann. Sondern auch eine Persönlichkeit, die ihre Meinung, meist nüchtern, nicht hinter vorgehaltener Hand äußerte.

Große Bewunderung im Ausland

Schnellinger übte schon in der Frühphase seiner Karriere offen Kritik daran, dass Deutschland ohne professionelle nationale Spielklasse dem Strom hinterherschwamm. Als die Bundesliga 1963 schließlich in ihre Premierensaison ging, war der Wechsel des Deutschen Meisters und Fußballers des Jahres von 1962 in die beste Liga Europas bereits unter Dach und Fach. Da kannte Schnellinger nichts.

Etwa zur gleichen Zeit wie Nationalmannschaftskollege Helmut Haller setzte sich "Carlo" in Italien durch. Ein Jahr Mantua, ein Jahr Roma, dann neun Jahre Milan. Mit seiner taktisch geschulten, resoluten Art, die in Italien, wo Fußball auch zynisch gespielt wurde, Anklang fand, war dem Dürener die Bewunderung im Ausland schnell gewiss. Meistens als Linksverteidiger, später auch mal als Libero.

In Mailand wurde Schnellinger Meister, mehrfacher Pokalsieger, mehrfacher Europapokalsieger. Oberstes Regal. Nur Weltmeister wurde er nie, obwohl er für den DFB zwischen 1958 und 1970 gleich an vier Endturnieren teilnahm. Also für den Verband, mit dem Schnellinger später beinahe auf Kriegsfuß stand. "Wer kümmert sich im deutschen Fußball schon um die Alten?", klagte er kurz, ehe der Mann, der seinen Lebensmittelpunkt schon lange nach Norditalien verlegt hatte, sich damit abfand und von einer Annäherung seinerseits irgendwann absah.

Karl-Heinz Schnellinger

Das Tor seines Lebens: Karl-Heinz Schnellinger 1970 gegen Italien. imago/Horstmüller

Es wäre kaum authentisch gewesen, wenn Schnellinger ausgerechnet an diesem Punkt von seiner Nüchternheit abgerückt wäre, mit der er 1970 gegen Italien selbst seinen legendären Ausgleichstreffer in der Nachspielzeit bejubelt hatte. Um aus dem vermeintlichen Scheiß-Spiel erst das Jahrhundertspiel werden zu lassen.

Seiner besonderen Rolle in der DFB-Historie grämte sich Schnellinger nicht. Mit dem 1:1 im Aztekenstadion, seinem einzigen Treffer in 47 Länderspielen, hat der Wahlitaliener nie gebrochen. Weil die Geschichte des deutschen Fußballs "ohne dieses Tor nicht erzählt werden kann", weil es seinen Namen darin unauslöschlich verewigt hat - auch ohne WM-Titel. Das gefiel dem "Blonden". Dann lachte er sogar.

Niklas Baumgart

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