EM

EM 2024 im Blick: Kostas Konstantinidis im kicker-Interview

Ehemaliger Bundesliga-Spieler im kicker-Interview

"Nicht nur als Tourist nach Deutschland": Konstantinidis denkt schon an die EM 2024

Kostas Konstantinidis, hier am Ball beim Abschiedsspiel von Per Mertesacker im Jahr 2018.

Kostas Konstantinidis, hier am Ball beim Abschiedsspiel von Per Mertesacker im Jahr 2018. imago/Joachim Sielski

Die WM in Katar steht vor der Tür. Wie werden Sie sie verfolgen, Herr Konstantinidis?

Bei aller berechtigten Kritik: Jeder, der sich mit Fußball beschäftigt, wird sich mehr oder weniger für die WM interessieren. Natürlich muss ich das, als ein in der Fußballbranche Beschäftigter, auch tun.

Was erwarten Sie in den nächsten Wochen?

Das Besondere ist, dass die meisten Spieler jetzt, im Winter, ganz anders vorbereitet in das Turnier gehen - sie sind mitten in der Saison, mit allen Vor- und Nachteilen. Deshalb werden wir vielleicht Überraschungen erleben.

Können diese Überraschungen sogar bis zur Titelvergabe andauern?

Am Ende wird sich die Qualität durchsetzen. Nach der Gruppenphase normalisiert sich das. Vielleicht gibt es dann noch einen, zwei Außenseiter. Aber zum Gewinn der Weltmeisterschaft reicht es für sie am Ende nicht.

Wer wird Weltmeister?

Es gibt mehrere Favoriten. Ich will mich nicht festlegen und bin selbst gespannt. Die Fragen werden sein: In welcher Verfassung sind die Spieler? Diesmal gab es fast keine Vorbereitungszeit. Im Vorteil sind die Teams, die schon längere eine geschlossene, eingespielte Einheit bilden.

In Griechenland geht der Blick schon zur Qualifikation für die EM 2024: Neben Gibraltar und Irland müssen Sie gegen die Niederlande und Frankreich antreten. Sehen Sie den Traum von der Teilnahme in Ihrem Geburtsland gefährdet?

Für uns war das ganz klar das schlechteste Los. Eine richtige Hammer-Gruppe. Wir können nicht planen und rechnen, sondern werden jedes Spiel einzeln angehen müssen. Gegen Gegner, die traditionell stark sind. Aber wir stellen uns der Herausforderung.

Macht Ihnen das gute Abschneiden mit Griechenland zuletzt in der Nations League Mut?

Der Gruppensieg eröffnet uns ja auch die zweite Chance auf das Ticket nach Deutschland. In den Play-offs, die wir durch unseren ersten Platz in Liga C erreicht haben, können wir nun in gut einem Jahr auf Kasachstan, die Türkei und Georgien treffen. Als Sieger aus diesem Quartett wären wir bei der EM dabei, wenn wir uns zuvor nicht über die normale EM-Qualifikationsgruppe einen Startplatz für das Endturnier gesichert haben.

Welchen Eindruck hat Ihre Nationalmannschaft auf Sie in der Nations League gegen Kosovo, Nordirland und Zypern gemacht?

Nun, wir sind seit dem Achtelfinal-Aus 2014 in Brasilien nicht mehr bei einem großen Turnier dabei gewesen. Als ich 2019 hier als Technischer Direktor anfing, haben wir einen Umbruch eingeleitet. Es kamen neue, junge Spieler dazu. Wir wollten, dass sie die Nationalmannschaft als eine Art Familie sehen. das kommt allgemein gut an. Natürlich gibt es eine Hierarchie. Aber jeder, der dabei ist, fühlt sich wohl und nimmt unsere Regeln und unsere Denkweisen an. Mit unserem neuen Trainer Gustavo Poyet spielen wir auch mehr ergebnisorientiert. Das erste Ziel, den Spitzenplatz in der Nations League, haben wir 2022 erreicht.

... Wenn wir an Mavropanos in Stuttgart denken, Stafylidis und Lampropoulos in Bochum, Saliakas bei St. Pauli - das sind schon einige, die für uns wichtig sind. Die Anzahl an griechischen Klassespielern insgesamt ist ja nicht so groß.

Kostas Konstantinidis

Weshalb eignet sich Ex-Premier-League-Profi Gustavo Poyet, der vor einem Jahr auf den Niederländer John van't Schip folgte, für die von Ihnen beschriebene Mission?

Er ist sehr akribisch, ein echter Arbeiter. Er will, dass sich alles auf dem hohen Niveau abspielt, das er selbst als Fußballer einst erreicht hat. Er ist ein Winner. Und er kennt die Mentalität und die Liga hier aus seiner Zeit als Trainer bei AEK Athen 2015/16.

In Deutschland ploppt beim Thema Euro und Griechenland unweigerlich der Triumph 2004 mit Trainer Otto Rehhagel und dem Ex-Bundesligastürmer Angelos Charisteas auf. Wie präsent ist dieses Ereignis in Ihrem Land heute noch?

Rehhagels Arbeit wird immer noch landesweit hoch angesehen. Es war vorbildlich, was man nicht nur mit Qualität, sondern auch mit Willen und Einsatz erreichen kann. Es ist eine Geschichte wie ein Märchen. Ob wir das noch einmal so erleben werden? Ich weiß es nicht... Es war ein echtes Heldenstück.

Wie steht es aktuell insgesamt um den griechischen Fußball?

Es gibt in der griechischen Liga viele Vereine, die Talente gut ausbilden. Aber zu wenige spielen dann auch dauerhaft in der 1. Liga. Oft geht der Blick zu schnell in Richtung Ausland, wo aber viele Faktoren zusammenkommen müssen, damit man dort als junger Spieler auch funktioniert. Deshalb ist es unser wichtigster Ansatz, den heimischen Spielern Einsatzchancen in unserer eigenen Profiliga zu eröffnen. Damit fängt es an und damit hat letztlich auch die Nationalmannschaft eine Chance, sich nachhaltig zu entwickeln. Natürlich ist es dann auch hilfreich, wenn gestandene Nationalspieler in internationalen Klubs spielen und ihrer Erfahrung wiederum bei uns in der Auswahl einbringen.

In Deutschland gibt es sicher einige Akteure, auf die Sie hierbei bauen.

Ja, wenn wir an Mavropanos in Stuttgart denken, Stafylidis und Lampropoulos in Bochum, Saliakas bei St. Pauli - das sind schon einige, die für uns wichtig sind. Die Anzahl an griechischen Klassespielern insgesamt ist ja nicht so groß. Aber noch einmal: Viel mehr ist es von Bedeutung, dass sich unsere künftigen Nationalspieler erst einmal in Griechenland in den Klubs durchsetzen, bevor sie in einer großen Liga wie der Bundesliga anheuern. Wenn sie dann dort anklopfen, müssen sie funktionieren, sonst macht es keinen Sinn. Das Talent als Basis ist dafür bei vielen Spielern da.

International schied Olympiakos Piräus zuletzt in der Europa League in der Freiburg-Gruppe enttäuschend aus... Wie geht es den Vereinen und der Liga in Griechenland?

Die Vereine haben ihre eigene Philosophie. Die jüngste Bilanz im Europacup liegt tatsächlich weit unter dem Niveau. Alle sind gescheitert, das ist natürlich traurig. Ich denke aber, dass sich die Verantwortlichen in den Vereinen gerade nach diesem Tiefschlag besonders viele Gedanken machen werden und es dann im nächsten Jahr schon wieder ganz anders aussieht. Ich muss auch hier wieder betonen: So lange es keine Basis aus dem eigenen Unterbau gibt, bleibt es schwierig. Ausländische Top-Spieler sind zudem nur von Nutzen, wenn sie lange bleiben. Kommen sie und gehen sie schnell wieder, dann ist das für die Mannschaft selbst, für die griechischen Spieler im Team und somit insgesamt für den Fußball des Landes nicht gut.

Sie selbst haben die Manager- der Trainerkarriere vorgezogen. Warum?

Ich habe am Anfang durchaus auch im Kopf gehabt, Trainer zu werden. Als Trainer hat man einen Job, der sehr schnelllebig und ergebnisorientiert ist. Das macht es extrem schwierig, je höher man kommt. Man muss viele Gaben haben und sitzt dennoch immer auf einem Schleudersitz. Das Pendel ist dann in die andere Richtung ausgeschlagen. Der Job eines Technischen Direktors beim Verband ist allerdings ganz anders als das Manageramt in einem Klub, wo man auch oft sehr kurzfristig von Ergebnissen gelenkt wird, Transfers tätigen muss. Im Verband gibt es andere Zeitachsen.

Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit im griechischen Verband?

Grundsätzlich liebe ich es, Lösungen zu finden, eine klare Linie zu haben, langfristig zu arbeiten, nachhaltig zu denken und mit den Mitarbeitern an einem Strang zu ziehen. Das halte ich für sehr wichtig und das geht in meiner jetzigen Position eben vielleicht etwas besser als in einem Klub. Wir, die Trainer und ich, versuchen stets, alles im Auge zu haben. Wir haben jeden Sonntag ein Treffen, tauschen uns aus, was übers Wochenende passiert. Auch die Ärzte, Physios, Fitnesscoaches stehen immer bereit, erst recht vor Nominierungen, um früh zu erkennen, welcher Spieler Hilfe braucht. Und es geht ja nicht nur um das A-Team.

Was kommt noch hinzu?

Wir haben wie gesagt eine ehrgeizige Aufbauarbeit begonnen. Das bezieht vor allem den U-Bereich mit ein. Wir sehen uns als eine große, komplette Einheit. Deshalb sind die Trainer aller Mannschaften, etwa von der U 21 über die U 19 bis zu U 17, immer in alles eingebunden. Der Trainer eines jeden Jahrgangs ist natürlich für sein Team verantwortlich, nominiert es. Wenn aber zum Beispiel die U 19 zusammenkommt, ist auch der U-17-Trainer bei den Trainingseinheiten dabei, sozusagen als zusätzlicher Co-Trainer. Umgekehrt ist auch der U-19-Coach bei Maßnahmen der U 17 eingebunden. Zusammenarbeit und Austausch sind unter den Kollegen sehr eng, alles ist verzahnt.

Von wem haben Sie selbst sich am meisten abgeschaut - von Ihrem Trainer Ralf Rangnick in Hannover vielleicht, oder von Ihrem ehemaligen Mitspieler Fredi Bobic?

Von jedem, der mir in der Karriere begegnet ist, habe ich versucht etwas mitzunehmen. Und sei es, dass ich mir vorgenommen habe, Dinge ganz bestimmt einmal nicht so zu machen, wie sie dieser Trainer oder Manager vielleicht gerade gemacht hat. Aber ich habe viele tolle Menschen getroffen. Ralf Rangnick habe ich kürzlich bei der EM-Auslosung in Frankfurt gesehen. Mit Fredi habe ich noch Kontakt, auch mit Michael Preetz, meinem Weggefährten aus der Zeit bei Hertha.

Ihr Vertrag beim Verband läuft bis 2024, die Option des Trainers reicht ebensolang. Was könnten Sie sich in fernerer Zukunft einmal vorstellen? Auch ein Engagement in Deutschland?

Auch wenn diese Erkenntnis jetzt nicht neu oder überraschend klingt: Im Fußball kannst du niemals "nie" sagen. Das geht uns allen so in diesem Geschäft. Fußball ist ein Bewegungssport, so bewegt sich auch die Branche. Warten wir es ab. Jetzt konzentriere ich mich voll und ganz darauf, dass ich mich als Technischer Direktor Griechenlands im Jahr 2024 in Deutschland wohl fühle. Nicht nur als Tourist, um es einmal so zu formulieren...

Michael Richter