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Die neue Trainerausbildung: DFB-Akademie-Leiter Haupt im Interview

"Persönliches Gespräch schlägt Taktiktafel"

Neue Wege bei der Trainerausbildung: Akademieleiter Haupt im Interview

Leiter der DFB-Akademie: Tobias Haupt.

Leiter der DFB-Akademie: Tobias Haupt. imago images

Ende des Jahres soll der Bau der DFB-Akademie in Frankfurt abgeschlossen sein, im ersten Quartal 2022 der Betrieb in den neuen Räumlichkeiten starten. Die inhaltliche Arbeit läuft längst. Akademieleiter Tobias Haupt erklärt die neuen Wege.

Herr Haupt, im Viertelfinale der Champions League standen in Person von Hansi Flick, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel und Edin Terzic erstmals vier deutsche Trainer. Zufall oder mehr?

Das war ein schöner Erfolg für den deutschen Fußball. Und ein genereller Beleg für das internationale Topniveau der DFB-Trainerausbildung. Nichtsdestotrotz haben wir Reformbedarf festgestellt, unabhängig von der erfreulichen Momentaufnahme. Andere Nationen haben uns in manchen Aspekten den Rang abgelaufen.

Sie sprachen selbst schon plakativ von zu vielen "Taktiknerds", die beim DFB über Jahre ausgebildet wurden.

Edin Terzic

"Taktiknerd" und Faktor Mensch vereint: BVB-Coach Edin Terzic. imago images

Es gilt dabei schon auch das Positive zu sehen: Mannschaften deutscher Trainer (die männliche Form schließt alle Geschlechter ein, d. Red.) zeichnet ein hohes Maß an Organisation aus. Dazu kommen Offenheit für immer neue Wege in der taktischen Ausrichtung und hoher analytischer Sachverstand. Taktische Kompetenz ist Grundlage für Erfolg. Darüber hinaus zählen soziale Fähigkeiten, die charismatische Persönlichkeit, der Faktor Mensch. Auch dafür sind Flick, Klopp, Tuchel und Terzic gute Beispiele, jeder auf seine Art.

Waren diese Aspekte in der Ausbildung lange unterrepräsentiert?

Ja. Seit zweieinhalb Jahren legen wir deshalb den Fokus ganz stark auf Führungs- und Sozialkompetenzen. Das Credo: Persönliches Gespräch schlägt Taktiktafel. Wir haben drei Säulen der Ausbildung grundlegend reformiert: die Inhalte mit den genannten neuen Schwerpunkten. Die Formate, etwa innovative interaktive und digitale Formate auf unserem Online-Campus, der ermöglichte, dass wir als einzige Nation in Europa über den Sommer nicht mit der Fußballlehrerausbildung pausieren mussten. Und drittens die Einführung neuer Lizenzstufen, mit denen wir noch 2021 starten wollen.

Ende des Jahres wird keine Lizenzstufe mehr sein, wie sie war.

Tobias Haupt

Welche sind das?

Die B-plus-Lizenz wird die Elite- Jugendlizenz ablösen. Die A-plus- Lizenz wird an die Stufe der Fußballlehrer-Lizenz heranrücken, als spezielle Lizenz für den professionellen Jugendbereich. Zudem bauen wir weitere Angebote für den Kinderbereich auf. Und wir werden die A-Lizenz, die aktuell als zweimonatiges Kurzformat stattfindet, auf sechs bis sieben Monate ausweiten. Mit zusätzlichen Inhalten wie Leadership, Teamzusammenstellung, Öffentlichkeitsarbeit, Strukturen im Fußball, Trainingsmethodik und Spielstruktur. Wir drehen also jeden Stein einzeln um. Ende 2021 wird kein Ausbildungsinhalt und keine Lizenzstufe mehr so sein wie noch vor zweieinhalb Jahren.

Der Fußballlehrerkurs wird also auf zwölf Plätze pro Jahr verknappt.

Wir bilden damit immer noch deutlich mehr aus als von der UEFA gefordert. Demnach wäre ein Fußballlehrerkurs nur alle zwei Jahre mit zehn Teilnehmern vorgesehen.

Gibt es parallel für eine A-plus-Lizenz überhaupt genügend Bewerber, die gar nicht in die Bundesliga streben?

Unsere Analysen zeigen: Von den 24 Fußballlehrern, die wir pro Jahr ausbilden, landet maximal die Hälfte im Profi-Erwachsenen-Bereich. Die andere Hälfte im Jugend- oder Stützpunktbereich. Das war der Anlass, zu sagen: Es ergibt keinen Sinn, alle 24 gleich auszubilden. Und ein Großteil will ganz bewusst in den Nachwuchs. Unsere Prognose: Wir werden viel mehr Bewerber haben als Plätze.

Bisher gilt: Jugendtrainer wollen zu oft zu schnell Karriere machen, auf Kosten gründlicher Entwicklungsarbeit.

Um diese zu fördern, braucht es vier Aspekte: spezifische Ausbildung für den Jugendbereich, die Wertschätzung in den Leistungszentren, entsprechende finanzielle Anreize und passende Bewertungskriterien für Trainer in den LZ. Nämlich: Die individuelle Entwicklung der Spieler steht über dem Mannschaftserfolg.

In der Theorie stimmen da die meisten Sportdirektoren zu. In der Praxis aber wird ein U-15-Trainer weiter schlechter bezahlt als der U-23-Coach ...

Ein ähnliches Phänomen gibt es auch im Bildungsbereich. Da verdienen Grundschullehrer weniger als Realschullehrer, die wiederum weniger als Gymnasiallehrer. Auch das ist zu hinterfragen. Denn wer die ersten vier Jahre seiner Schullaufbahn nicht adäquat betreut wird, holt das später kaum wieder auf. Aber wie Sie schon sagen: Das Umdenken in den Vereinen findet statt.

Erfolgt eine Verzahnung mit dem 2020 gestarteten Management-Lehrgang von DFB und DFL? Dort werden ja künftige Entscheider ausgebildet.

DFL Logo

Hand in Hand mit der DFL: Auch ein Lehrgang für Manager, Sportdirektoren und LZ-Leitern wird es geben. imago images

Genau unter diesem Aspekt ist die Ausbildung für uns so essenziell. Die Schlüsselpositionen sind der entscheidende Erfolgsfaktor. Also: Manager bzw. Sportdirektoren, die LZ-Leiter und die Trainer. Deren Ausbildung muss Hand in Hand gehen, um das System wirklich zu verändern. Weshalb noch 2021 mit der DFL auch ein spezifisches Programm für LZ-Leiter aufgelegt wird.

Werden die Vereine künftig verpflichtet, auf Nachwuchstrainer mit den neuen Speziallizenzen zu setzen?

Das wäre der zweite Schritt, den wir gemeinsam mit der DFL besprechen. Zunächst geht es uns ums Angebot. Ich glaube auch nicht, dass eine Verpflichtung entscheidend ist. Als Verein fände ich es naheliegend, für das LZ Trainer auszuwählen, die spezifisch dafür ausgebildet sind.

Persönlichkeitsentwicklung der Trainer ist ein erklärter Schwerpunkt. Welche Maßnahmen umfasst das?

Beispielsweise haben wir in der Akademie ein Projekt zum Thema Vermittlungskompetenz. Also: Wie hole ich als Trainer die neue Generation mit ihrem völlig veränderten Medienverhalten inhaltlich ab? Auch das Erstellen und die Analyse qualitativer Spielerprofile gehört dazu.

Was bedeutet das?

Dass wir von unseren Spielerinnen und Spielern mehr wissen müssen als Schuhgröße und Sprintwerte. Nämlich: Wo haben sie ihren jeweiligen emotionalen Triggerpunkt, was genau motiviert sie, die letzten Prozente herauszuholen? Das kann der erste große Titel sein, aber auch das erste teure Auto. Oder ein Versprechen, das jemand dem Großvater gegeben hat. Das gilt es herauszufinden und mit den Spielern zu erarbeiten.

Für Entwicklung eines DFB-Trainers ist Kuntz das Paradebeispiel.

Tobias Haupt

Trainersprache ist ein Reizthema. Müssen angehende Fußballlehrer im Kurs zum Beispiel wirklich von Box statt von Strafraum sprechen?

(schmunzelt) Das ist natürlich in keinster Weise so gefordert oder Teil der Ausbildung. Eine neue, junge Generation verwendet einfach eine andere Sprache als vor 20 Jahren. Das gilt für Trainer wie für Spieler. Entscheidend bleibt für uns aber allein der Inhalt. Ich selbst sage in der Regel übrigens auch Strafraum.

Die Premier League wird von ausländischen Trainern dominiert. Zugleich ist England in der Talenteausbildung weit vorne - wie passt das zusammen?

Ausländische Top-Trainer in der Premier League: ManCitys Pep Guardiola (Spanien) (li.) und Chelseas Thomas Tuchel (Deutschland). imago images

Für die Qualität der Trainerausbildung ist es bei Weitem kein alleiniger Gradmesser, wie viele Toptrainer an der Spitze ankommen. Im Nachwuchsbereich hat England eine hohe Dichte an Toptrainern. Im Erwachsenenbereich bekommen die jungen englischen Trainer dagegen praktisch keine Gelegenheit, Erfahrungen auf Top-Niveau zu sammeln.

Warum läuft es im Nachwuchs so gut?

Der englische Verband hat gemeinsam mit der Liga vor ein paar Jahren begonnen, knapp 100 Trainerentwickler durchs Land zu schicken, die in den Klubs ganz gezielt individuell mit den Nachwuchstrainern arbeiten. Eine ähnliche Richtung wollen wir in Deutschland mit einem Pilotprojekt in diesem Jahr auch einschlagen. Wir starten mit zwei Trainerentwicklern, können die Zahl hoffentlich gegen Jahresende erhöhen. Wobei einige Klubs ja auch schon eigene Trainerentwickler in ihren LZ installiert haben.

Wie sollte sich der künftige Bundestrainer in der Akademie einbringen?

Der Bundestrainer sollte als moderne Führungskraft zugleich Umsetzer und Visionär sein. Dazu gehören hohe Sozialkompetenz und ein hohes Maß an Kommunikation, intern wie extern. Er sollte mit unseren Performance-Experten, Trainern, Ausbildern und mit den Klubs permanent im Austausch stehen und selbstverständlich seine Erfahrungen und Vorstellungen ganz aktiv einbringen.

Wird das im Auswahlprozess gehört?

Natürlich sind wir da intensiv im Austausch. Genau für solche Fälle ist bei Oliver Bierhoff ja der Impuls zur Einrichtung der Akademie entstanden: um Analysen durchzuführen, Wissen zu sammeln und zu bündeln, um strategische Entscheidungen sehr fundiert zu treffen und eben nicht aus einem reinen Bauchgefühl.

Erfüllt Stefan Kuntz als U-21-Trainer ebenfalls das geschilderte Profil?

Stefan Kuntz

Derzeit Nationaltrainer der U 21: Stefan Kuntz. imgo images

Stefan Kuntz verkörpert hohe Sozialkompetenz, ist absoluter Teamplayer und bringt sich schon sehr aktiv in Akademiethemen ein. Er hat das Stürmerprogramm mit konzipiert, das Thema qualitative Spielerprofile mit angestoßen oder neurozentriertes Training offen aufgegriffen. Stefan ist das Paradebeispiel, wie sich ein Trainer im Rahmen der Tätigkeit beim DFB entwickeln kann - über die tolle und erfolgreiche Arbeit hinaus, die er unmittelbar bei der U 21 leistet. Gleiches gilt im Übrigen auch für Marcus Sorg, der sich ebenfalls sehr aktiv in der DFB-Akademie einbringt und wertvolle Impulse setzt.

Stichwort Stürmerprogramm: Spezifische bzw. individuelle Ausbildung scheint das neue Zauberwort. Wieso?

Wer die Individualisierung am besten hinbekommt, wird künftig den größten Erfolg haben. Lange herrschte die Meinung, Fußball sei viel zu komplex, als dass man individuell trainieren könnte. Wir sind völlig anderer Auffassung. Wir sehen das bei den US-Sportarten, bei den Torhütern ist es sowieso seit Langem Standard. Die Entwicklung mit positionsspezifischen Programmen ist nicht mehr aufzuhalten, positionsspezifische Coaches werden künftig Bestandteil jedes Trainerteams sein. Dazu kommt noch ein zentraler Aspekt.

Nämlich?

Gerade haben wir eine aktuelle Studie auf unseren Akademiewelten (DFB-Serviceportal, die Red.) veröffentlicht, die Trainingseinheiten der LZ aus Deutschland, England, Spanien und Portugal vergleicht. Die Trainingsumfänge sind nahezu identisch. Aber ein gravierender Unterschied besteht bei den Inhalten. In Deutschland wird eher isoliert trainiert, also Fitness, Taktik, Technik, Passformen jeweils für sich. In den anderen Ländern wird sehr stark in komplexen Übungsformen gearbeitet, die ein bestimmtes gegnerorientiertes Entscheidungsverhalten provozieren. Das Ergebnis beobachten wir im U-Bereich seit einigen Jahren: Portugiesische oder spanische Spieler sind ein Stück weit handlungs- und vor allem entscheidungsschneller als unsere. Für uns wird wesentlich sein, diese Lücke zu schließen.

Neue Kolumne im kicker:

In diesem Mai startet im kicker eine neue Kolumne: Einmal im Monat wird ein Experte der DFB-Akademie über eines der mannigfaltigen Akademiethemen schreiben. Dabei geht es um Bereiche wie Trainerausbildung, Technikschule, Taktikschule, Manager-Zertifikat, Ernährung, neurozentriertes Training oder künstliche Intelligenz, es geht um die Entwicklung und den Fortschritt im Fußball - kurzum: "Akademie inside".

Interview: Thiemo Müller