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WM 2022: Spaniens Enrique stellt sich vor seine Mannschaft

Spaniens Luis Enrique stellt sich vor seine Mannschaft

"Mit ihnen bis zum Ende"

Reist mit seinem Team erneut frühzeitig ab: Spanien-Trainer Luis Enrique.

Reist mit seinem Team erneut frühzeitig ab: Spanien-Trainer Luis Enrique. IMAGO/Agencia EFE

Aus Katar berichtet Jörg Wolfrum

Den Baum hatte es als ersten gefällt, Aymeric Laporte, der linke Innenverteidiger Spaniens stand erst und weinte, dann saß er geplättet auf dem Rasen des Education City Stadiums - nach dem Crash-Kurs, um im Bild des Stadionnamens zu bleiben, in Sachen Elfmeterschießen. 0:3 hatte die in 120 Spielminuten dominante Seleccion verloren, nach wenigen Minuten war das Shoot-out zugunsten Marokkos entschieden: Pablo Sarabia, der eigentlich als sicherer Schütze geltende Carlos Soler und Kapitän Sergio Busquets hatten verschossen. Dann schien das überwiegend mit Fans der Nordafrikaner gefüllte Stadion in einem einzigen Freudentaumel zu explodieren. Und mittendrin die so enttäuschten wie entgeisterten Spanier.

Heimflug statt Titeltraum

Die in Himmelblau angetretene Roja, die sich den Titel zum Ziel gesetzt hatte, wie Nationaltrainer Luis Enrique immer wieder betonte in diesen gut zwei Wochen von Katar, war aus allen Wolken gefallen: raus im Achtelfinale. Aus durch Elfmeterschießen. Statt die Hoffnung auf den zweiten WM-Titel nach 2010 hebt am Mittwoch um 11 Uhr die Maschine gen Madrid ab, Ankunft dort gegen 17 Uhr Ortszeit.

Minuten vor Ende der Verlängerung war bei einer vielversprechenden Situation ein Steckpass von Alvaro Morata unerreichbar für Ansu Fati geraten, es hätte die Entscheidung sein können, Sarabia traf in der Nachspielzeit der Verlängerung gar den linken Pfosten - und im Elfmeterschießen dann den rechten.

Ich bin stolz auf meine Spieler.

Luis Enrique

Nationaltrainer Luis Enrique sagte väterlich: "Ich bin stolz auf alle meine Spieler, ich kann sie nur loben und ich würde dieselben Spieler auch wieder für das Elfmeterschießen auswählen. Aber für Sarabia tut es mir besonders leid. Er hatte in der Nachspielzeit unsere allerbeste Chance. Ich werfe mir vor, ihm und anderen zu wenige Spielminuten gegeben zu haben, aber ihm besonders", gab der 52-Jährige zugleich zu.

Über seine Zukunft wollte der seit 2018 (mit einer Unterbrechung von einem halben Jahr aufgrund des Todes seiner Tochter) amtierende Coach nicht sprechen: "Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, mein Vertrag läuft aus, ja. Aber ich fühle mich vom Verband unterstützt. Ich werde überlegen, was das Beste ist für beide Seiten."

Mangelnde Effektivität ist das große Problem

Lieber sprach Luis Enrique über seine Mannschaft und stärkte ihr den Rücken: "Wir hätten den Sieg verdient, wir haben das Spiel dominiert, hatten Chancen, aber der Gegner hat stark verteidigt." Aber der Trainer räumte auch ein: "Wir hätten noch effektiver sein können."

In der Tat: Erneut war die Seleccion an dem gescheitet, was ihr schon über die Jahre am meisten Probleme bereitet hatte: den Ballbesitz in Tore umzumünzen und nicht zum sterilen Selbstzweck verkommen zu lassen, Ausnahmen wie das 6:0 im November 2020 oder das 7:0 gegen Costa Rica zum WM-Auftakt bestätigten nur die Regel.

Und so schied die Roja wie schon bei der WM 2018 in Russland im Achtelfinale im Elfmeterschießen aus, und auch damals hatte es zum Start ein famoses Spiel gegeben, ein 3:3 gegen Portugal, diesmal gegen Costa Rica. Wie damals folgte auch in Katar dem Torreigen ein Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Turnier: Verspielte Führung beim 1:1 gegen Deutschland, Niederlage gegen Japan, 0:0 nach 120 Minuten gegen Marokko.

Enrique nimmt das Ausscheiden auf seine Kappe

"Aber ich bin mehr als zufrieden mit meiner Mannschaft, ich gehe mit ihr bis zum Ende. Wenn einer verantwortlich für das Ausscheiden ist, dann ich." Denn seine Jungs hätten "den Stil umgesetzt, den ich mir wünsche, sie haben zu 99 Prozent gemacht, was ich mir vorstellte", unterstrich der Coach noch einmal mit Blick auf den Ansatz, den Gegner hoch anzulaufen, das Spiel zu dominieren, den Ball laufen zu lassen.

Was nicht lief: sich Torchancen zu erspielen. Ein Schuss von Marco Asensio Mitte der ersten Halbzeit ans Außennetz war bis in die Nachspielzeit der regulären Spielzeit die einzige Chance. Die mit zunehmender Spieldauer immer ungenauer vorgetragenen Angriffe blieben stumpf, und dann war auch schon Nachspielzeit in der Verlängerung - und Sarabia traf den Pfosten. "Am Ende war Marokko im Elfmeterschießen besser, viel Glück im Viertelfinale", schickte Luis Enrique Grüße.

"1000 Elfmeter": Spanien erledigt seine Hausaufgaben nicht

Wichtig war ihm aber auch noch dies, er hatte es ja schon am Vortag gesagt: "Elfmeterschießen ist keine Lotterie." Marokko habe in Keeper Bono eben auch einen tollen Torwart. Und so reichten all die "1000 Elfmeter", die er seinen Spielern vor einem Jahr nach dem Aus im Elfmeterschießen im EM-Halbfinale gegen Italien als Hausaufgaben mitgegeben habe, am Ende nicht.

"Doch meine Spieler haben bis zum letzten Moment einen großen Kampf geliefert, und sie werden weitermachen, das Leben geht weiter, das ist eine gute Lektion für sie, und sie wird ihnen in der Zukunft helfen." Und da schloss sich dann der Kreis, schließlich fiel die himmelblau gewandete Roja doch im Education City Stadium aus allen Wolken.