kicker

Per Mertesacker über Druck: "Würgen, bis die Augen tränen"

Bemerkenswerte Aussagen des Arsenal-Profis

Mertesacker über Druck: "Würgen, bis die Augen tränen"

"Mit über 30 werde ich zum ersten Mal in meinem Leben frei sein": Per Mertesacker.

"Mit über 30 werde ich zum ersten Mal in meinem Leben frei sein": Per Mertesacker. imago

Im Sommer beendet Per Mertesacker (33) seine Karriere, und er freut sich ungemein darauf. Sein Körper sei "einfach durch", er selbst habe längst "keinen Bock mehr". Noch mal alles aufsaugen und so viel wie möglich spielen in seiner letzten Saison? Von wegen: Er sitze bei Arsenal "am liebsten auf der Bank, noch lieber auf der Tribüne".

Es sind bemerkenswerte Aussagen, mit denen der 104-malige Nationalspieler im "Spiegel"-Interview aufhorchen lässt. Der Druck im Profifußball hat Spuren hinterlassen. Sein Körper, berichtet Mertesacker, habe auf die hohe Erwartungshaltung vor jedem Spiel mit Brechreiz und Durchfall reagiert - "als sei das, was dann kommt, symbolisch gesprochen, einfach nur zum Kotzen". In den Sekunden vor dem Anpfiff drehe sich ihm "der Magen um, als müsse ich mich übergeben. Ich muss dann einmal so heftig würgen, bis mir die Augen tränen."

Spielersteckbrief Mertesacker
Mertesacker

Mertesacker Per

Ich weiß es noch, als wäre es heute. Ich dachte nur: Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei.

Mertesacker über das Aus bei der WM 2006

Die Privilegien als Profifußballer seien ihm natürlich bewusst. Doch "irgendwann realisierst du, dass alles eine Belastung ist, körperlich und mental. Dass es null mehr um Spaß geht, sondern dass du abliefern musst, ohne Wenn und Aber. Selbst wenn du verletzt bist." Überhaupt Verletzungen: Mertesacker hatte kein Problem mit ihnen.

"Es denken alle, es wäre ein Drama, wenn du verletzt ausfällst - ist es nicht", so Mertesacker: "Denn es ist der einzige Weg, eine legitimierte Auszeit zu bekommen, mal raus zu sein aus der Mühle." Zuletzt hatte ihm ein Knorpelschaden monatelang zugesetzt. "Wenn ich nicht mehr konnte, war ich verletzt, so war es immer. Ich behaupte sogar, dass viele wiederkehrende Verletzungen psychisch bedingt sind. Dass der Körper der Seele damit zu Ruhe verhilft. Aber das hinterfragt niemand."

In seinem neuen Job will Mertesacker "das System angreifen"

Besonders zugesetzt hatte ihm der Druck bei der Heim-WM 2006, Mertesacker war 21 Jahre jung. "Klar war ich auch enttäuscht, als wir gegen Italien ausgeschieden sind, aber vor allem war ich erleichtert", erinnert er sich an das knappe Halbfinal-Aus. "Ich weiß es noch, als wäre es heute. Ich dachte nur: Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei."

Im Mai gibt Mertesacker nun sein Abschiedsspiel ("Mit über 30 werde ich zum ersten Mal in meinem Leben frei sein"), danach will er als Leiter der Arsenal-Nachwuchsakademie "das System angreifen": Die Talente dürften nicht alles auf die Fußballkarte setzen, die Schule vernachlässigen. Er will seine Erfahrungen weitergeben - nicht nur die schlechten.

Denn bei allen schmerzhaften Erfahrungen, ob mental oder körperlich: Mertesacker bereut es keineswegs, Profi geworden zu sein. "Selbst wenn ich vor jedem Spiel erbrechen und 20-mal in die Reha müsste, ich würde es immer wieder machen."

jpe/dpa/sid