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Maradona-Idol Ricardo Bochini im Interview

Für den Argentinier war auch Uli Hoeneß ein Vorbild

Maradona-Idol Bochini im Interview: "Ich habe Beckenbauer sehr bewundert"

Ricardo Bochini (2. v. li.) mit Diego Maradona 2020, wenige Monate vor dessen Tod.

Ricardo Bochini (2. v. li.) mit Diego Maradona 2020, wenige Monate vor dessen Tod. Getty Images

Nicht wenige in Deutschland kennen Ricardo Bochini eher, weil Diego Maradona ihn einst als sein Idol bezeichnete, als aufgrund der eigenen großen Karriere mit dem Club Atletico Independiente aus Avellaneda vor den Toren von Buenos Aires. Der Mittelfeldspieler wurde 1986 zwar Weltmeister, kam aber nur ein paar Minuten zum Einsatz. Als Weltmeister fühlt er sich daher nicht wirklich, an Treffen der WM-Sieger nimmt er daher nicht teil. Auch nach dem Finalsieg war er beim Jubeln kaum zu sehen gewesen.

Herr Bochini, in Deutschland hatte man Sie 1984 wahrgenommen, als Argentinien beim Debüt von Teamchef Franz Beckenbauer 3:1 gewann.

Auch wenn ich damals eine Chance vergeben habe, machte ich doch ein sehr gutes Spiel. Die ganze argentinische Mannschaft hat geglänzt. Ich erinnere mich, dass auch Franz Beckenbauer uns lobte. Und uns für die Weltmeisterschaft in Mexiko gute Chancen einräumte. Dabei hatte Diego Maradona noch nicht mal mitgespielt.

Stichwort WM. Hatten Sie nach dem Finale gegen Deutschland Kontakt mit Beckenbauer?

Leider nicht, denn ich habe Beckenbauer sehr bewundert. Eines der Spiele, an die ich mich am meisten erinnere, war das fantastische WM-Halbfinale 1970 gegen Italien, als er sich die Schulter ausgekugelt hatte und trotz Verletzung mit Armschlinge ein unglaubliches Spiel machte.

Was erinnern Sie besonders?

Ich mochte ihn als Spieler, ein großartiger Libero, aber ich bewunderte ihn viel mehr für die Art und Weise, wie er im Mittelfeld spielte. Er hatte eine außergewöhnliche Technik und auch eine ungewöhnliche mentale und physische Stärke.

Für den jungen Diego Maradona waren Sie ein Idol, und er hat Sie den 70er Jahren oft im Dress von Independiente bewundert. Was bedeutet Ihnen dies?

Sehr viel, denn Diego war der beste Spieler seiner Zeit, und man empfindet dann eine große Genugtuung. Wenn Diego einen Fußball gespielt hat, den die Leute so sehr mochten, und er wiederum mein Spiel bewunderte, heißt das wohl, dass ich wahrscheinlich auch einen Fußball gespielt habe, den die Leute mochten.

Ich war immer der Meinung, dass ich in Mexiko viel öfter hätte spielen können.

Ricardo Bochini über die WM 1986

Maradona war ja anfangs Profi bei den Argentinos Juniors und später bei Boca Juniors, aber als Junge war er auch öfter im Stadion von Independiente gewesen, Ihrem Klub.

Er hat mich bei Independiente in Begleitung eines Onkels spielen sehen, wie er mir erzählt hat. Er hatte es nicht weit zum Stadion. Wir hatten dann später ein paar gemeinsame Auftritte, ein Benefizspiel und in der Nationalmannschaft eben das 2:0 im WM-Halbfinale 1986 gegen Belgien, als ich am Ende für einige Minuten noch eingewechselt wurde.

Als Sie dann auf den Platz kamen, empfing Sie Maradona mit den Worten: "Komm rein, Maestro, wir haben auf dich gewartet."

Ja, das hat Diego gesagt. Ich war immer der Meinung, dass ich in Mexiko viel öfter hätte spielen können, nicht nur diese paar Minuten gegen Belgien.

1978 bei der Heim-WM in Argentinien hatten Sie nicht im Kader gestanden, obwohl Ihre Klasse unbestritten war.

So läuft das manchmal im Fußball. Vor der WM 1978 war ich in dem Vier-Jahres-Zyklus unter Nationaltrainer Cesar Luis Menotti Teil des Kaders, wurde schließlich aber nicht nominiert. Es gab mehrere Spieler im offensiven Mittelfeld wie Mario Kempes, Ricardo Villa oder José Valencia. Dennoch, denke ich, hätte ich mich da nicht verstecken müssen. Und mit Blick auf die WM 1982 in Spanien war es nun mal so: Menotti setzte eher auf Spieler, die schon vier Jahre zuvor den Titel gewonnen hatten.

1986 waren Sie dann unter Menottis Nachfolger Carlos Bilardo im Kader. Waren Sie erleichtert?

Ehrlich gesagt, Bilardo hatte fast keine andere Wahl, als mich zu nominieren, ganz einfach, weil ich auf sehr hohem Niveau gespielt hatte.

Dabei waren Sie als Offensivspieler persönlich gar kein Fan von Bilardos eher defensivem Spielstil, richtig?

Nein, natürlich nicht, aber wie ich schon sagte. Er musste mich praktisch mitnehmen, wegen meiner Leistung, aber auch wegen des Drucks der Fans und der Medien.

Wie haben Sie das Endspiel gegen Deutschland erlebt?

Natürlich gut, denn wir hatten das Spiel die meiste Zeit unter Kontrolle, obwohl der Gegner dann doch noch von 0:2 auf 2:2 rankam.

Von den deutschen Spielern sagen nicht wenige noch heute: "Wenn wir es in die Verlängerung geschafft hätten, hätten wir gewonnen." Haben Sie in diesen Minuten und bis zum 3:2 da draußen nicht furchtbar gelitten?

Nicht so sehr, wirklich. Ich hatte das Gefühl, dass wir überlegen waren. Und es war auch nicht wie 2022. Wenn Keeper Martinez nicht in der Verlängerung so toll gegen Kolo Muani gehalten hätte, hätte Argentinien verloren. So knapp war es 1986 nicht.

Ricardo Bochini bei der WM 1986

Hielt sich nur am Rande der Feierlichkeiten auf: Ricardo Bochini bei der WM 1986. imago/AFLOSPORT

Sie sind, was es immer weniger gibt: ein "One Club Man". Immer Independiente. Was bedeutet Ihnen das?

Zu meiner Zeit war das noch so. Ich war kürzlich in Spanien und erhielt eine Auszeichnung dafür. So eine Loyalität ist heute praktisch unmöglich. Manche gehen schon mit 17. Weil die wirtschaftliche Situation woanders besser ist. Es gibt nur wenige, die sich verweigern. Für viele ist es mit Blick auf ihre Herkunft und angesichts des Geldes fast unmöglich, dies abzulehnen. Auch für die Vereine.

Sie spielten in einer Zeit, in der Elfmetertore nicht so sehr gefeiert wurden. War es eine romantischere Zeit?

Wie kann man einen Elfmeter mit Euphorie feiern? Es ist nur ein Schuss. Damals hat Independiente immer in der Copa Libertadores gespielt, die Fans waren anspruchsvoll, was Spiel und die Technik angeht. Heute feiern sie ein normales Tor wie verrückt.

Haben Sie kein Verständnis dafür?

In den 70ern war die argentinische Liga so wichtig wie heute die Premier League. Die Spiele waren bemerkenswert, die Spieler spektakulär. Heute spielen alle eben in der Premier League oder in Spanien oder sonst wo. Argentinien hat die Weltmeisterschaften 1978 und 1986 mit Spielern gewonnen, die mehrheitlich in Argentinien spielten. 2022 waren praktisch alle außer Landes unter Vertrag. Früher war mehr Herz.

Sie sagten, dass Sie Beckenbauer sehr bewundern. Gibt es andere deutsche Spieler, die Sie geprägt haben?

Viele, ja: Paul Breitner, Gerd Müller, Wolfgang Overath, Uli Hoeneß.

Sie sind eines der größten Idole in der Geschichte von Independiente, Rekordgewinner der Copa Libertadores. Was fühlen Sie dabei?

Großen Stolz. Vor allem aber auch, weil wir eine Mannschaft hatten, die sich durch einen ästhetischen, sauberen Fußballstil auszeichnete.

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