WM

Luis de la Fuente und die nächste goldene Generation

"Furia Roja" am Wendepunkt

Luis de la Fuente und die nächste goldene Generation

Die Hoffnungen von Fußball-Spanien ruhen nun auf Neo-Teamchef Luis de la Fuente.

Die Hoffnungen von Fußball-Spanien ruhen nun auf Neo-Teamchef Luis de la Fuente. IMAGO/ZUMA Wire

Aus Valencia berichtet Maximilian Patak

23. November. Tag vier der Fußball-WM in Katar. Spanien singt, Spanien tanzt, Spanien ist im Freudentaumel. Auf den Straßen von Madrid, Barcelona und Valencia wird das 7:0 gegen Costa Rica gefeiert. Der höchste Sieg bei einer Weltmeisterschaft für "La Furia Roja". Viel war vor dem Großereignis in den größten Medien des Landes spekuliert worden. Während die kühnsten Optimisten bereits vom Finale träumten, sahen leidenschaftliche Pessimisten bereits die Gruppe mit Deutschland, Japan und eben Costa Rica als zu große Hürde an.

Zuerst schien es, als ob das Team Zweitere Lügen strafen könnte. Dem fulminanten Auftaktsieg folgte ein Unentschieden gegen Deutschland, bei dem der Weltmeister von 2010 eine ansprechende Leistung zeigte. Eine 1:2-Niederlage gegen Japan tat erstmals nichts zur Sache, da sich die Spanier als Zweitplatzierte der Gruppe E für das Achtelfinale qualifizierten.

Sargnagel Marokko

Am 6. Dezember jedoch wird es deutlich ruhiger auf Spaniens Straßen. Zumindest großteils. Denn Marokko, ausgerechnet jenes Land, das mit knapp 800.000 Menschen die größte Einwandergruppe in Spanien stellt, wird zum Sargnagel für Luis Enrique und sein Team. Das Sensationsteam aus Nordafrika setzt sich im Elfmeterschießen mit 3:0 durch. Sergio Busquets, Pablo Sarabia und Carlos Soler scheitern allesamt an Torhüter Bono, der ironischerweise beim FC Sevilla unter Vertrag steht.

Und das, obwohl die Spieler der spanischen Nationalmannschaft vom Punkt eigentlich genug Übung gehabt haben sollten. "1.000 Elfmeter" gab Luis Enrique seinen Schützlingen bereits vor einem Jahr "als Hausaufgabe" auf. "Elfmeterschießen ist nicht nur Glück. Es ist der Moment der größten Verantwortung. Da braucht man feste Abläufe", war der Coach überzeugt.

Ob seine Spieler nun zu faul waren oder ob all das Training am Ende zwecklos war, tut nichts mehr zur Sache. Über Maßnahmen wie diese muss sich Luis Enrique künftig keine Gedanken mehr machen. Denn Marokko wurde für ihn persönlich ebenfalls zum Sargnagel. Der 52-Jährige, der 2015 mit dem FC Barcelona das Triple holte und mit Spanien 2021 ins EM-Halbfinale einzog, musste nach viereinhalb Jahren seinen Hut nehmen. Seine Zukunft sieht er auf Klubebene.

Hoffnungsträger De la Fuente

Sein Nachfolger hört auf den klingenden Namen Luis de la Fuente Castillo. Geboren 1961 in der spanischen Kleinstadt Haro verbrachte De la Fuente den Großteil seiner aktiven Karriere bei Athletic Bilbao. Seine Trainerkarriere nahm ebenfalls bei den Basken ihren Anfang. Von 2006 bis 2007 sowie 2009 bis 2011 trainierte er Bilbaos B-Team, ehe bei Deportivo Alavés (damals in der Segunda División) ein erfolgloses erstes Intermezzo als Cheftrainer folgte. De la Fuente wurde bereits nach fünf Spielen, in denen sein Team nur einmal gewinnen konnte, entlassen.

Vier Weltmeister dabei: Die Top-Elf der WM

Besser liest sich seine Vita in Bezug auf das spanische Nationalteam. De la Fuente übernahm 2013 die U-19-Auswahl und führte diese zwei Jahre später zum Europameistertitel. 2019 wiederholte er dieses Kunststück mit der U 21. 2021 gelang mit Spaniens Olympia-Auswahl der Einzug ins Finale in Tokio, wo man schließlich an Brasilien scheiterte und die Silbermedaille mit nachhause nahm. Am 8. Dezember erntete De la Fuente den Lohn für seine Arbeit im Nachwuchsbereich: Der spanische Verband gab offiziell bekannt, dass er die Nachfolge von Luis Enrique als Cheftrainer antreten würde.

Gemischte Reaktionen

Die Reaktionen auf die Entscheidung des Verbands fielen gemischt aus. Auf der einen Seite gilt Luis Enrique als anerkannter Fachmann im Land, dem es gelang, in den letzten Jahren wieder eine gewisse Euphorie im fußballbegeisterten 47-Millionen-Einwohner-Land auszulösen. Kaum ein Spieler ließ die Gelegenheit aus, sich via Social Media bei "Lucho" für seine Arbeit zu bedanken. In den Medien und bei den Fans, zu denen er während der WM via Twitch den direkten Kontakt suchte, genoss der 52-Jährige ein hohes Standing. Ex-Kapitän Carles Puyol twitterte: "In meinem Team, jetzt und immer, möchte ich Personen wie Luis Enrique haben." Sportdirektor Franciso Molina legte sein Amt in Folge der Luis-Enrique-Entlassung mit Ende 2022 nieder. Ihm folgt Albert Luque nach.

Auf der anderen Seite erfreut sich auch Luis de la Fuente eines hohen Ansehens im Lande. Durch die Erfolge im Nachwuchs verschaffte sich der 61-Jährige Respekt. Zudem hat er mit diversen aktuellen Nationalspielern bereits zusammengearbeitet. Marco Asensio und Rodri waren beim U-19-EM-Titel 2015 an Bord, Dani Olmo galt 2019 beim U-21-Titel als Schlüsselfigur und Pedri und Eric García bejubelten an De la Fuentes Seite die Silbermedaille in Tokio. Nicht zuletzt kann der Neo-Coach auf die Unterstützung seines Vorgängers bauen. "Was die Nationalmannschaft braucht, ist Unterstützung in allen Facetten, damit Luis de la Fuente alles erreichen kann, was er sich vorgenommen hat", forderte Luis Enrique in seinem abschließenden Statement.

"Tiki-Taka" mit modernem Anstrich

Zentrales Thema in den Wochen nach der Vorstellung des Neo-Coaches in Spaniens Medienlandschaft war der Spielstil. Das "Tiki-Taka" mit dem man vor etwas mehr als einem Jahrzehnt die Fußballwelt im Sturm eroberte, ist in die Jahre gekommen. "Mehr als 1.000 Pässe für nur einen Torschuss. Das ist die traurige Bilanz des WM-Abschieds Spaniens gegen Marokko. Luis Enrique wählt sein Ende", lautete die Analyse der "AS", der zweitgrößten spanischen Sportzeitung, nach dem Aus gegen Marokko. "Der Plan des Trainers ist gescheitert: kein Mut, kein Plan B, keine Selbstkritik, keine Lösungen und keine Stars", titelte Platzhirsch "Marca". Durch den ineffizienten Spielstil verlor Luis Enrique am Ende das Vertrauen der Fans. Über 77 Prozent sprachen sich in einer "Marca"-Umfrage mit mehr als 200.000 Teilnehmern gegen ihn aus.

imago images 1020124366

Luis Enrique scheiterte mit Spanien im WM-Achtelfinale. IMAGO/NurPhoto

Wer sich jedoch nun "Catenaccio" oder modernen Konterfußball von De la Fuente erwartet, wird höchstwahrscheinlich enttäuscht werden. Der ehemalige Verteidiger verkörpert die Spanien-DNA nach knapp zehn Jahren im Verband wie kaum ein anderer und beteuert, "unserer Idee treu zu bleiben". "Ich mag es, der Dominator des Spiels zu sein", ergänzte er. Allerdings fügte De la Fuente an, dass man "die Entwicklungen bei der Weltmeisterschaft analysieren und Nuancen verbessern" wolle. "Ich habe meine Prinzipien aber was geändert werden muss, wird geändert."

Trotz seiner Liebe zum Ballbesitzfußball gilt De la Fuente in Spanien als flexibler Coach, der immer einen Plan B parat hat. Zweifel an seiner mangelnden Erfahrung als Cheftrainer auf höchster internationaler Ebene möchte der 61-Jährige gleich zu Beginn ausräumen: "Bei aller Bescheidenheit und Demut, wenn es jemanden gibt, der die Zukunft und die Gegenwart des spanischen Fußballs kennt, dann sitzt dieser Mann hier, mit diesem Hintergrund präsentiere ich mich", sagte De la Fuente selbstbewusst.

Tor für Ramos-Comeback offen

Was auch immer er sich vorgenommen hat, auf De la Fuente wartet jedenfalls eine Menge Arbeit. Mit Sergio Busquets beendete nach der WM in Katar der Kapitän der "Furia Roja" seine Nationalmannschafts-Karriere. Damit steht aktuell kein Spieler der Weltmeister-Mannschaft von 2010 mehr im Kader.

Aktuell. Denn bei seiner Vorstellung sorgte De la Fuente für Aufsehen, indem er Sergio Ramos (und David de Gea) Hoffnungen auf weitere Einsätze für Spanien machte. "Wenn sie in guter Form sind, können sie kommen", so die Ansage. Diese kam unerwartet, war es doch De la Fuente, der 2021 Ramos seinen Wunsch, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, verwehrte und damit eine breite mediale Debatte auslöste.

Zurück zu altem Glanz

Ob mit Ramos oder ohne ihn, der Umbruch in der spanischen Auswahl scheint nun endgültig vollzogen zu sein. Mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren stellte man in Katar den zweitjüngsten Kader nach Ghana. Die Mittelfeld-Juwelen Gavi (18) und Pedri (20) dürften in Katar noch nicht einmal legal Auto fahren und hatten bereits eine Schlüsselrolle inne. Von ihnen wird bei den kommenden Großereignissen nichts Geringeres erwartet, als die riesigen Fußstapfen von Xavi und Iniesta zu füllen.

Auch auf Ansu Fati (20), Nico Williams (20), Ferran Torres (22) oder Dani Olmo (24) ruhen die rot-gelben Hoffnungen. Aus dieser Ansammlung an Rohdiamanten eine Gewinner-Mannschaft zu formen, wird die Aufgabe von Neo-Coach De la Fuente in den nächsten eineinhalb Jahren sein. Die Unterstützung einer breiten spanischen Mehrheit an Fußball-Begeisterten hat er sicher. Sein Vertrag läuft vorerst bis zum Ende der EM 2024 in Deutschland. In der Qualifikation treffen die Spanier auf Norwegen, Schottland, Georgien und Zypern. Ein machbares Los.

Kicker Thumb

Sportlicher WM-Rückblick: Messi steigt auf in den Fußball-Olymp

alle Videos in der Übersicht