Champions League

Bixente Lizarazu im Interview: "Die Bayern brauchen Zeit"

Ex-Münchner über die Champions-League-Gruppenphase

Lizarazu im Interview: "Die Bayern brauchen Zeit, um ihre Defensive zu verbessern"

Herr Lizarazu, wie fällt Ihre Bilanz zur Gruppenphase der Champions League 2021/22 aus?

Es gibt mehrere Mannschaften, die in dieser Saison den Gesamtsieg schaffen können. Neben Bayern München ist der FC Liverpool mit seinen Weltklassespielern zurück auf einem hohen Niveau. Der FC Chelsea, der Titelverteidiger, hat einen guten, physisch starken Kader und Romelu Lukaku als Mittelstürmer dazugeholt. Und dann ist da noch Manchester City. Pep Guardiolas Team braucht jedoch eine Nummer 9, um den Titel zu holen. Paris Saint Germain zähle ich auch noch zur ersten Gruppe der Favoriten. Real Madrid ist nicht mehr das Real, das wir kennen. Auch Juventus Turin spielt nicht auf dem früheren Level. Und Barcelona müssen wir vergessen.

Gibt es für Sie einen Topfavoriten?

Die Bayern brauchen Zeit, um ihre Defensive zu verbessern. Ihr Mittelfeld mit Leon Goretzka und Joshua Kimmich ist fantastisch, der Angriff mit Robert Lewandowski, Thomas Müller, Leroy Sané, Kingsley Coman und Serge Gnabry genauso. Aber in der Hintermannschaft gab es Veränderungen mit Dayot Upamecano und Lucas Hernandez im Zentrum. Aktuell erreichen die Bayern in der Defensive nicht das Maximum ihres Potenzials, über die linke Seite sind sie sehr offensiv ausgerichtet. Für die Abstimmung brauchen sie Spiele. Es wird ein Jahr dauern, bis alle eingespielt sind.

Daten und Fakten zur Gruppenphase: Lewandowskis Torhunger, Wolfsburgs verpasste Chance

Wird Ihr französischer Landsmann Upamecano der Innenverteidiger der Zukunft in München?

Ja. Er ist physisch stark und hat keine Probleme mit dem Ball, aber manchmal Konzentrationsschwächen. Da muss er sich steigern. Es bedeutet für die Bayern-Mannschaft eine gehörige Umstellung, dass David Alaba und Jerome Boateng weg sind.

Wie gefällt Ihnen Boateng bei Olympique Lyon?

Seine Mannschaft hat viele Probleme. Boateng hatte keine Vorbereitung, er kam spät und in ein Team, dem das Selbstvertrauen fehlt. Jerome braucht Spiele und Rhythmus, um seine optimale Fitness zu erreichen. Er versucht, ein Leader zu sein, spricht viel und versucht, der Mannschaft zu helfen. Er hat eine gute Einstellung.

Wird es allmählich langweilig, dass sich in der Vorrunde der Champions League seit Jahren immer die Favoriten und kaum mehr Außenseiter durchsetzen?

Ajax Amsterdam scheiterte vor drei Jahren erst im Halbfinale, diese Mannschaft machte es jetzt wieder hervorragend. Und mich langweilt es nicht, wenn die besten Mannschaft in den Finals gegeneinander spielen. Bayern und Real zum Beispiel haben eine große Historie, ich liebe Tradition und die Duelle dieser Mannschaften wie Bayern, Real, Chelsea, Liverpool. Auch wenn die finanziellen Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind, mag ich die sportlichen Vergleiche dieser Klubs.

Manchester United, Juventus Turin oder Atletico Madrid gehören für mich nicht mehr zum Favoritenkreis.

Bixente Lizarazu

Welche positive Überraschung außer Ajax mit sechs Siegen sahen Sie noch?

Frankreichs Meister OSC Lille machte es gut nach den Startschwierigkeiten. Portugals Klubs, Sporting und Benfica Lissabon, sind zurück. Und Ajax macht Spaß, diese Mannschaft hat eine Idee. Ich freue mich, sie unter den Spitzenklub zu sehen. Früher erfolgreiche Klubs wie Manchester United, Juventus Turin oder Atletico Madrid gehören für mich nicht mehr zum Favoritenkreis.

Paris wurde in der Gruppe hinter ManCity Zweiter. Gelingt Saint-Germain in dieser Saison der lange ersehnte Coup in der Champions League?

PSG hat keine gute Balance zwischen Defensive und Offensive. Sie haben drei fantastische Spieler für den Angriff ...

... Sie meinen Kylian Mbappé, Lionel Messi und Neymar ...

... die nie etwas nach hinten machen. Diese Arbeit müssen alle anderen in der Elf verrichten. Wenn drei in einer Mannschaft nicht einmal ein bisschen zur Defensive helfen, wird es kompliziert, die Champions League zu gewinnen. Gegen starke Gegner entstehen da immer Schwierigkeiten, ob gegen Bayern, Liverpool oder ManCity. Guardiola ist nahe dran am Gewinn des Henkelpotts mit seiner Mannschaft, die wie ein echtes Team und bewusst ohne große Stars spielt und bei so vielen Flanken und Hereingaben nur einen Spieler wie Harry Kane bräuchte, um sie zu vollenden. Dieses Puzzleteil fehlt ManCity, um noch besser zu werden.

Was bedeutet Messi für PSG und den französischen Fußball?

Zunächst bringt er viel Publicity, wir reden viel darüber. Aber bis jetzt hat dieses Trio Probleme zusammenzuspielen. Es sind drei unglaubliche Spieler, die aber nicht so einfach harmonieren. Neymar und Mbappé spielen gut zusammen, neulich auch Mbappé und Messi. Aber zu dritt haben sie noch nicht die perfekte Sprache gefunden. Mit Blick auf die Defensive sind die Pariser wirklich keine gute Mannschaft, sie machen ihre Defensiv nicht kompakt. PSG kann gefährlich werden, wenn die großen Stars einen guten Tag haben. Sonst ist das Kollektiv nicht stark genug.

Dieses Defizit hat Paris seit Jahren.

Ja. Zuvor hatte PSG Neymar und Mbappé, in dieser Saison kam noch Messi dazu. Auf dem Papier ist es schön, solche Spieler zu haben und sie in der französischen Liga zu sehen. Messi war in den vergangenen 15 Jahren der beste Spieler der Welt. Neymar ist unglaublich im Dribbling, er müsste konzentrierter und seriöser sein in seiner physischen Vorbereitung. Und Mbappé ist ein neues Phänomen. Fußball bleibt aber weiterhin Mannschaftssport - wenn du diese Regel brichst, hast du keinen Erfolg. In der Ligue 1 geht es noch, aber in der Champions League bekommst du Probleme. Paris ist nicht weit entfernt vom Titel, aber es braucht mehr Aggressivität, mehr Physis, mehr Teamgeist.

Messi gewann in diesem Jahr wieder den Ballon d'Or. Hat er diese Ehrung verdient? Oder hätte sie Robert Lewandowski bekommen müssen?

Messi bekam sie aufgrund seiner letzten 15 Jahre, in denen er super Leistungen brachte. Nicht dieses Jahr gab den Ausschlag. Ich liebe Messi, er war der Beste in den letzten 15 Jahren und zählt zu den drei bis fünf Topspielern in der Fußball-Geschichte. Es wurde Messis gesamte Karriere gewürdigt. Wäre es um 2021 allein gegangen, wäre Lewandowski der Favorit gewesen. Deshalb wäre es eine faire Entscheidung, Lewandowski den Ballon d'Or für 2020 - als er wegen Corona nicht vergeben wurde - zu verleihen. Ich fände es nur logisch, weil Lewandowski 2020 im Fußball etwas Besonderes tat. Es war eine großartige Leistung von ihm.

Man darf nicht nur eine Saison sehen, es gab schon Jahre mit vier oder drei Achtelfinalisten aus Deutschland. Die Bundesliga ist insgesamt eine sehr gute Liga.

Bixente Lizarazu

Von vier Bundesligisten kam nur Bayern München weiter, Dortmund und Leipzig machen in der Europa League weiter. Wolfsburg flog völlig aus dem internationalen Wettbewerb. Ist die Bundesliga im internationalen Vergleich der FC Bayern und sonst nichts?

Der FC Bayern ist zwei, drei Stufen besser als die anderen Bundesligisten, und das über eine sehr lange Zeit hinweg. Die Mentalität stimmt da, der Siegeswille und die Druckresistenz. Man darf aber nicht nur eine Saison sehen, es gab schon Jahre mit vier oder drei Achtelfinalisten aus Deutschland. Die Bundesliga ist insgesamt eine sehr gute Liga. Allerdings gehört Borussia Dortmund eigentlich schon ins Achtelfinale.

Ihr früherer Mitspieler in München, Oliver Kahn, sagt, die Premier League sei schon jetzt die Super League. Stimmen Sie ihm zu?

Von den vier englischen Teams, die weiterkamen, kann jede die Champions League gewinnen. Wir haben als eine englische Dominanz. Früher waren es die Spanier, jetzt sind es die Engländer. Sie arbeiten gut, außer Manchester United.

Seit Beginn dieser Saison gelten die Auswärtstore bei Gleichstand nicht mehr doppelt. Es gibt Verlängerung und Elfmeterschießen. Ist diese Lösung besser?

Solange ich Fußball spielte, zählten die Auswärtstore doppelt. Wir waren daran gewöhnt. Und ich liebe die Tradition. Ich weiß nicht, ob die neue Regelung gerechter oder besser ist. Schwieriger fand ich das Golden Goal. Da konntest du in einer Sekunde erledigt sein. 2000 gewannen wir so mit Frankreich so die Europameisterschaft gegen Italien, aber es ist etwas Schreckliches.

Wie wird es mit dem kontinentalen Klub-Fußball weitergehen? Ist eine europäische Super League die logische Konsequenz, wenn immer nur bestimmte Klubs wie Paris oder Bayern dominieren und deren Vorsprung immer größer wird?

Ich ziehe es vor, die nationalen Ligen in der jetzigen Form beizubehalten. Duelle wie Paris gegen Marseille oder Lyon gegen St. Etienne gehören zur Tradition des französischen Fußballs. Dazu hast du die Champions und die anderen europäischen Ligen. Wichtiger wäre es, die vielen Spiele zu reduzieren. Wir müssen uns mehr um die Spieler sorgen. In der Champions League wie bei der Weltmeisterschaft wären weniger Teams besser. Ich will Qualität sehen. Trotzdem bin ich Traditionalist und möchte keine europäische Super League.

An diesem Montag werden die Achtelfinals ausgelost. Ihr früherer Klub FC Bayern könnte auf den FC Chelsea oder Paris Saint-Germain treffen, es wären zwei Ihrer fünf Favoriten unter sich ...  

... und es wären zwei großartige Spiele (lacht), wirklich großartige Spiele.

Der französische Welt- und Europameister Bixente Lizarazu (52) gewann mit dem FC Bayern sechsmal die Meisterschaft, fünfmal den DFB-Pokal - und 2001 die Champions League.

Interview: Karlheinz Wild