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Liverpools Mona Nemmer: "Ohne Milchreis wird nicht gekickt"

Was Nemmer bei den Reds alles umgekrempelt hat

Liverpools Ernährungsexpertin im Interview: "Ohne Milchreis wird nicht gekickt"

Teil der Liverpooler Erfolgsstory: Mona Nemmer, hier mit Jürgen Klopps Co-Trainer Peter Krawietz.

Teil der Liverpooler Erfolgsstory: Mona Nemmer, hier mit Jürgen Klopps Co-Trainer Peter Krawietz. Liverpool FC via Getty Images

Frau Nemmer, Jürgen Klopp holte Sie 2016 an die Anfield Road. Was haben Sie denn damals vorgefunden, als er Sie vom FC Bayern abwarb?

Ein weißes Blatt Papier.

Ein weißes Blatt Papier?

Jürgen hat zu mir gesagt: "Mona, du hast hier das Sagen. Du entscheidest, was gut für die Jungs ist und was nicht. Ich bin für das Sportliche verantwortlich, du für die Ernährung."

Nach dem Motto: "Ich quatsch dir nicht rein und du mir nicht."

So oder so ähnlich (grinst). Damals gab es nur zwei Köche sowie Carolin und Carol, unsere "Golden Girls". Die Männer kochten, die Frauen servierten das Essen, wuschen die Tische ab, schmierten Brote. Aber nicht irgendwelche supergesunden Vollkornbrote, sondern Weißbrote mit richtig schön viel Butter. In dem Moment war mir klar: Die Girls sind das Herzstück des Speiseraums, spielen eine wichtige Rolle für die kommenden Schritte. Denn: Gemeinsam müssen wir die Veränderung schaffen, schließlich war meine Ausrichtung auf Performance-Nutrition, also Leistungsernährung, ausgerichtet.

Es gab damals nur zwei Köche und nur zwei Gerichte.

Mona Nemmer

Was kam damals aber auf den Tisch?

Montags gab es Nudeln mit Tomatensauce und Hühnchen, dienstags Lachs mit Brokkoli und Reis. Mittwochs dann wieder die Nudeln, dann wieder den Lachs. Es gab eben nur zwei Köche und nur zwei Gerichte.

Ausgewogen klingt anders.

Ich sah es positiv und habe deshalb eine Art Marktplatz für die Spieler installiert. Eine vielfältige Mischung an Salaten und Säften, Fleisch und Fisch, Obst und Gemüse sowie alle wichtigen Kohlenhydrat-Lieferanten, reich an Makro- und Mikronährstoffen. Den Spielern sollte es schmecken, ohne dass sie das Gefühl haben, auf etwas zu verzichten.

"Ich will viel bieten, nicht verbieten", haben Sie gesagt.

Ich kann nur Tipps und Ratschläge geben, die Spieler aufklären und Wissen vermitteln. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich darauf hinweise, dass beispielsweise Kuhmilch nicht immer das Beste ist, weil sie Entzündungen im Körper begünstigt. Ansonsten stehen ungesunde Fette auf dem Index, Weißbrote und Zucker. Deswegen werden Sie auf unserem Marktplatz keine Schwarzwälder Kirschtorte und auch keine klassische deutsche Currywurst finden.

"Fette liefern mehr Energie - mehr als Kohlenhydrate und Eiweiß", schreiben Sie doch aber in Ihrem Buch "Essen wie die Profis". Essen wir denn zu wenig Fette?

Kohlenhydrate und Proteine enthalten jeweils rund vier Kalorien pro Gramm, während Fett mehr als doppelt so viele Kalorien aufweist, nämlich neun pro Gramm. Dennoch sollten Fettsäuren ein wesentlicher Bestandteil einer gesunden und ausgewogenen Ernährung sein. Und das gilt nicht nur für Profisportler - sondern auch für Hobbysportler. Gesunde Fette, die in Olivenöl, Nüssen, Avocados und Fischen wie Forellen, Sardinen oder im Lachs stecken, sind deshalb so wichtig, weil der Körper sie nicht selbst herstellen kann.

Auf was sollten wir alle aber wirklich verzichten?

Auf frittierte Sachen, geschmolzenen Käse, fettige Wurst und eigentlich alles, was in unserer Süßigkeiten-Schublade liegt: Schokolade, Kekse, Chips.

Würde ich einen Fan verurteilen, weil er an einem Spieltag Schweinswürste isst und Bier trinkt? Niemals!

Mona Nemmer

Das klingt logisch. Auch die Tatsache, dass man weniger Fleisch essen sollte. Borussia Dortmund hat gerade mit Rügenwalder eine Kampagne für vegetarische Bratwürste gestartet. Die Spieler wurden im Netz daraufhin aufs Übelste beschimpft. "Unsere Seite ist kein Ort für Hass. Wer hier andere oder uns beleidigen will, muss sich einen anderen Tisch suchen. Gewaltandrohungen und Diskriminierung werden direkt von uns blockiert", schreibt die Firma …

Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen es verstanden haben, wie einfach es doch ist, sich gesund und gut zu ernähren. Er oder sie sollten nur wissen, dass wenn man gute Lebensmittel zu sich nimmt, man leistungsfähiger ist, mehr Kraft und Energie hat. Würde ich einen Fan verurteilen, weil er an einem Spieltag Schweinswürste isst und Bier trinkt? Niemals! Genauso erwarte ich von ihm oder ihr aber auch, dass er oder sie meine Haltung zur Ernährung akzeptiert. Für die, die daran zweifeln, habe ich aber gute Tipps.

Welche zum Beispiel?

Foodpairing. Dabei geht es nicht um die Art der Lebensmittel, sondern darum, wie ein Produkt mit dem anderen harmonieren kann. Wie passen Produkte am besten zusammen, um am Ende ein Geschmackserlebnis zu erzielen? Über dieses Thema gibt es sogar einen ganzen wissenschaftlichen Zweig. Dieser beschäftigt sich vor allem damit, wie unser Gehirn aus den chemischen Bestandteilen von Lebensmitteln den Geschmack ableitet. Natürlich ist das für jeden Menschen subjektiv. Der eine mag dies, der andere das. Der eine ist Vegetarier, der andere nicht.

Kriegen die Spieler jeden Tag Fleisch?

Früher wurde vieles richtig gemacht, finde ich. Da gab es einen Sonntag einen Braten. Unter der Woche kam vielleicht mal Fisch auf den Teller. Es muss also nicht jeden Tag Fleisch sein. Auch bei den Proteinen ist es wie im wahren Leben: Die Mischung macht's. Auf der einen Seite liefern tierische Proteine wie Hühnchen essenzielle Aminosäuren. Genauso gut sind pflanzliche Eiweißlieferanten: Erbsen, Linsen, Bohnen und Tofu.

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Warum ist Eiweiß aber für uns Menschen so wichtig?

Weil es eine zellbildende Substanz ist. Die angesprochenen Proteinquellen sind für die Bildung von Muskeln und Knochen zuständig. Die Aminosäuren aus den Proteinen sind somit, wenn Sie so wollen, die Bausteine für unseren Körper.

Ganz so intelligent war es von den Fußballern nicht, Werbung für Salami oder Chips zu machen. Bastian Schweinsteiger warb für Funny-Chips, Thomas Müller für Bifi.

Deshalb habe ich ja mein Buch geschrieben. Ich will aufklären und Zugang zu wertvollem Ernährungswissen schaffen. Unkompliziert und anschaulich Wissen vermitteln, Alternativen schaffen und die Menschen dazu motivieren, bessere Entscheidungen zu treffen.

Am Schluss soll ein bunter Regenbogen auf jedem Teller sein.

Mona Nemmer

Gibt es einen perfekten Mix Kohlenhydrate, Eiweiß, Vitamine, Mineralstoffe?

Nein. Unser Keeper muss sich beispielsweise anders ernähren als einer unserer Flügelflitzer. Die Jungs, die im Spiel die Seitenlinie hoch- und runtersprinten, brauchen viel mehr Kohlenhydrate als der Torwart. Im Schnitt liegt der Kohlenhydrate-Anteil bei uns bei über 50 Prozent. Und hier kommt die Farbenlehre ins Spiel.

Welche Farbenlehre?

Kohlenhydrate sind meist weiß und gelb. Dann gibt es noch die Proteinquellen, die meist von rosa bis rot zu bräunlich sind, also Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchte und Tofu. Und dann wird es noch richtig bunt: orange Karotten, grüner Brokkoli, rote Paprika und blaue Beeren. Am Schluss, so sage ich das immer, soll ein bunter Regenbogen auf jedem Teller sein. Denn je farbenfroher unsere Gerichte und unser Teller gestaltet sind - völlig unabhängig, ob Sportler oder nicht -, desto höher fällt der Anteil an nützlichen Mikronährstoffen aus.

Fitness & Gesundheit

Ihre Regenbogen-Strategie geht auf. Sie und Jürgen Klopp wurden 2020 zusammen englischer Meister, holten den Europacup und die Champions League. Wie viele Menschen arbeiten in Ihrem Ernährungsteam?

Neben den Profis um Mo Salah und Virgil van Dijk versorgen wir alle Altersgruppen bis zur U 9. Dazu brauchen wir viele Hände, unter dem Strich sind wir 26 Leute im Team.

Und was genau machen Sie so den ganzen Tag?

Mein Job ist es, alles zu organisieren: die Köche, das Einkaufen, die Qualität der Produkte. Ich mache einen Plan, wer was machen soll, was die Spieler nach einem Champions- League-Spiel noch abends essen dürfen, was im Bus nach einem Spiel serviert wird. Aber auch Beratungsgespräche, Anti-Doping-Schulungen und Workshops gehören dazu.

Mohamed Salah hat mir eine Nachspeise aus dem Mittleren Osten gezeigt. Es sieht nicht toll aus, schmeckt aber absolut himmlisch.

Mona Nemmer

Früher, so berichtete es die deutsche Eishockey-Legende Gerd Truntschka, habe es bei den Trainingslagern mittags noch Schweinshaxen mit Knödeln und Kraut gegeben, abends deftige Brotzeitplatten mit fettigem Käse und fettiger Wurst.

Dass sich alle Profisportler mit einem Avocado-Brot zufriedengeben, da täuschen Sie sich. Ab und zu trainieren hier die All Blacks bei uns, die neuseeländische Rugby-Nationalmannschaft. Sie verputzen schon so 120 riesige Lammkeulen beim Mittagessen. Da bleibt eher selten etwas übrig (lacht). Früher hat Ian Rush, ein ehemaliger Liverpool-Spieler, vor dem Spiel immer ein Filetsteak mit Bohnen gefuttert. Dann haben die Jungs nach Auswärtsspielen entweder Hühnchen mit Pommes oder Fish & Chips bestellt. Oder sie hielten mit dem Mannschaftsbus am nächstbesten Imbiss.

Und heute?

Heute merke ich, dass sich die Profis sehr intensiv mit dem Thema beschäftigen.

Woran machen Sie das fest?

Grundsätzlich hat das Thema Ernährung in der Gesellschaft einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Wir merken und spüren, wie viel Bedarf bei den Spielern vorhanden ist. Fragen über Fragen, Koch-Workshops, Rezepte und Produktempfehlungen stehen bei uns auf der Tagesordnung. Zudem ist es erstaunlich, wie viel Zeit die Jungs, so nenne ich die Spieler immer, in meinem Büro verbringen. Sie wissen: Wenn wir gut essen, fühlen wir uns besser. Und wenn wir uns gut fühlen, spielen wir meistens gut. Und wenn wir gut spielen, ist die Chance zu gewinnen sehr hoch. So fügt sich das eine zum anderen.

Auch was das Thema Internationalität angeht. Bei Ihnen spielen Ägypter, Brasilianer, Franzosen und Kolumbianer. Gibt es auch etwas, was Sie von Ihren Spielern lernen können?

Durch die Brasilianer habe ich die schwarze Bohne als großartige Proteinquelle salonfähig gemacht. Mohamed Salah hat mir eine Nachspeise aus dem Mittleren Osten gezeigt. Im Ursprung wird "Om Ali" mit Brot und Milch gemacht, dazu kommen Rosenblätter und Pistazien obendrauf. Es sieht nicht toll aus, schmeckt aber absolut himmlisch. Hier in Liverpool ist es auf große Freude gestoßen, selbst in der "Sportler-tauglichen" Version, die wir etwas gepimpt haben.

Alles, was geht, bauen wir an: Kartoffeln, Karotten, Tomaten, Gurken, Brokkoli, Beeren und mittlerweile sogar Melonen.

Mona Nemmer

Der FC Liverpool besitzt eine 1200 Quadratmeter große Gartenanlage. Für Hochbeete wurde Holz von der ehemaligen Haupttribüne von Anfield verwendet sowie ein Maschendrahtzaun, schreiben Sie in Ihrem Buch. Bitte verzeihen Sie, für mich hört sich das so ein bisschen nach PR-Masche an.

Wir können gar nicht so viel pflanzen, wie wir eigentlich brauchen. Das ist die Wahrheit. Alles, was geht, bauen wir an: Kartoffeln, Karotten, Tomaten, Gurken, Brokkoli, Beeren und mittlerweile sogar Melonen. Und dann gibt es noch die Dachterrasse in unserem Trainingscenter in Kirkby, dort pflanzen wir Kräuter und Salate an. Und jeder hat seine Aufgabe. Die jüngeren Mannschaften helfen beim Gießen und Unkrautjäten und lernen im gleichen Zug, wie Gemüse und Obst wächst, welchen Mehrwert dieses Produkt hat und wie viel Zeit, Pflege und Hingabe benötigt werden, bis man Produkte auf dem Teller hat. Nachhaltigkeit spielt für uns eine große Rolle. Erst vor ein paar Tagen sind wir zum zweiten Mal als "greenest Club" in der Premier League ausgezeichnet worden. Back to the roots. So handhabe ich das auch mit dem Sauerteig.

Wieso das denn?

In der Corona-Zeit hat man sich wieder mit den guten, alten Dingen auseinandergesetzt und den Sauerteig wieder zum Leben erweckt. Während andere Brotsorten den Blutzuckerspiegel sofort in die Höhe schnellen lassen, ist das beim Sauerteig anders. Der Blutzucker steigt langsam an, außerdem werden die Kohlenhydrate länger gespeichert. Für mich ist das Sauerteigbrot nicht nur eine großartige Treibstoffquelle, es schmeckt auch noch saumäßig gut.

Wie verwöhnen Sie Ihre Spieler, wenn sie toll gespielt haben?

Es gibt mal ein Bananenbrot, Sorbet oder auch Eis. Etwas Leckeres zu essen ist ja schließlich nicht nur für den Körper gut, sondern auch für unseren Geist und unsere Seele. Gutes Essen macht uns glücklich. Glückliche Spieler habe ich vor allem dann, wenn es Energiebällchen aus Haferflocken gibt, die zuvor in dunklem Schokopulver oder gerösteten Mandeln gewälzt werden. Das macht glücklich, das sage ich Ihnen. (grinst)

Gibt es etwas, auf das die Spieler partout nicht verzichten wollen?

Milchreis. Ohne Milchreis wird bei uns nicht gekickt.

Was isst Jürgen Klopp am liebsten?

Jürgen ist bei der Essensauswahl generell nicht wählerisch, weiß aber genau, was eine gute und ausgewogene Ernährung ausmacht, um fit und leistungsfähig an der Seitenlinie agieren zu können. Auch wenn die schwäbischen Kässpätzle bei Jürgen als Leibgericht hoch im Kurs stehen, kommt es auch die richtige Mischung an.

Klopp verlässt am Ende der Saison den FC Liverpool. Und Sie?

Ich habe einen laufenden Vertrag, bin gedanklich voll in dieser Saison und freue mich, sie mit Jürgen und dem Team so erfolgreich wie möglich abzuschließen.

Dieses Interview erschien erstmals in der Montagsausgabe des kicker am 12. Februar.

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