Champions League

Lieblingsspiel: Königsklasse zwischen Hühnern und Pferden

CL-Quali: Düdelingen - Qarabag Agdam, 20. Juli 2016

Lieblingsspiel: Königsklasse zwischen Hühnern und Pferden

Champions League - mal eine Nummer kleiner: Düdelingen kämpft gegen Qarabag in der Qualifikation.

Champions League - mal eine Nummer kleiner: Düdelingen kämpft gegen Qarabag in der Qualifikation. kicker

Die silbernen Sterne, die Hymne und Topklubs, die auf höchstem Niveau unter Flutlicht in den vollbesetzten Fußballtempeln Europas gegeneinander antreten: Das bietet nur die Champions League. Natürlich liefert die Königsklasse nicht immer das komplette Wunschpaket, sie fasziniert aber nach wie vor viele Zuschauer und ist das Traumziel fast aller Profis. Doch dieser Wettbewerb startet schon früh im Sommer, abseits von Stars, Glitzer und großer Öffentlichkeit. Der Meister aus jedem noch so kleinen Land muss ja schließlich die Chance bekommen, sich über die Qualifikation in die lukrative Gruppenphase durchzukämpfen. Das klingt dann eher nicht nach berauschenden Europacupnächten. Oder? Was erwartet einen bei solchen Spielen?

Das Spiel des Jahres

Diese Frage führt mich für eine Reportage im Juli 2016 zum luxemburgischen Meister F91 Düdelingen. Schon der Name ist eine Sensation. Könnte man sich gut als Ort in einem Märchen vorstellen, taucht aber tatsächlich im Spielplan der Champions League auf. Und das nicht zum ersten Mal. Die Düdelinger haben sogar mal Emporkömmling Red Bull Salzburg rausgehauen. An diesem Tag kommt Qarabag Agdam, der Meister aus Aserbaidschan. Okay, das ist jetzt nicht Real Madrid. Trotzdem ist es für F91 so was wie das Spiel des Jahres.

In Düdelingen - die Luxemburger sagen übrigens Diddeleng und die Franzosen Dudelange, was auch nicht weniger ulkig klingt - ist davon erstmal nichts zu merken. In dem 20.000-Einwohnerstädtchen an der französischen Grenze sitzen die Menschen gemütlich vor den Cafés, es sind weder Fans auf den Straßen noch andere Hinweise auf die am Abend stattfindende Partie im höchsten europäischen Klubwettbewerb zu sehen. Das Stadion ist erst kurz vorher ausgeschildert und liegt am Ende einer Sackgasse an einem Hang. Als Parkplatz dient der Hof der benachbarten Schule. Zwischen Basketballkörben und Fahrradständern stehen die Autos. Ein roter Ferrari sorgt für einen Hauch von Königsklasse, während es sich anfühlt, gerade beim Sportfest im Nachbardorf angekommen zu sein.

Am eingemauerten Kassenhäuschen gibt's die Akkreditierung. Die Pressetribüne sieht so aus: Ein paar Biertische stehen vor der ersten Sitzreihe der Haupttribüne. Die ist aus Holz gezimmert und nur wenige Stufen hoch. Immerhin hat sie ein Dach, ein paar Sitzschalen in der Mitte sind gepolstert und abgegrenzt - VIP-Area in Düdelingen. Aber auch der Bierbank-Platz hat seine Vorzüge. Näher an den Ersatzbänken, die quasi unter mir in die Tribüne gebaut sind, und der Seitenlinie kann man als Reporter kaum sitzen. Dazu kommt der Ausblick auf den Hügel hinter der Eckfahne, wo drei Pferde grasen. Beim Schlendern hinter der Haupttribüne entdecke ich dann noch in den Gärten eine Ebene tiefer einen Hühnerstall. Wie idyllisch.

Zwei Grills und Alkoholverbot für 891 Zuschauer

Hautnahes Erlebnis: Nach Spielschluss geht es direkt auf den Platz.

Hautnahes Erlebnis: Nach Spielschluss geht es direkt auf den Platz. kicker

Auf die legendäre Hymne vor dem Anpfiff, mit der pathetisch "die Besten" besungen werden, warte ich leider vergeblich. Stattdessen kreuzt kurz vor dem Anpfiff oben ein Traktor mit einem Wassertank über die Pferdeweide. Dieser ganze Rahmen ist einmalig, ein bisschen romantisch, aber auch absurd. Offiziell haben sich 891 Zuschauer eingefunden, einige brutzeln auf der unüberdachten Gegengeraden in der immer noch intensiven Abendsonne dieses verdammt heißen Tages. Hinter dem Fangzaun des einen Tores geht es direkt einen steilen Abhang runter, seitlich hinter dem anderen lockt der einzige Wurststand. Zwei Männer, zwei Grills, das muss für alle reichen. Nur eine UEFA-Fahne am Rand lässt erahnen, dass es sich hier nicht um einen normalen Kick in der Luxemburger Liga handelt.

Für den Verband ist das Duell zwischen Düdelingen und dem Klub aus Baku offenbar nicht der große Renner, aber ihr Alkoholverbot - wie bezeichnend - hat die UEFA natürlich auch hier durchgesetzt. Sehr zum Unmut einiger einheimischer Zuschauer, die sich auch spät am Tag mit "Moien" begrüßen und sich einen gemütlichen und unaufgeregten Abend beim Fußball machen wollen. Das scheint das allgemeine und auf eine Art auch sympathische Credo zu sein. Man muss sich ja bloß wegen der Champions League nicht verbiegen und verstellen. Eine aktive Fanszene, die die Heimmannschaft anfeuert, gibt es bei diesem Spiel nicht. Nur eine Gruppe Qarabag-Anhänger auf der Gegengerade macht Krach. Irgendwann zwischendrin meldet sich der Stadionsprecher mit einer Art Schwimmbad-Durchsage im heimischen Idiom: Einen gefundenen Audi-Schlüssel kann der Besitzer "in de Speakerkabin uffhole".

Das Spiel selbst ist umkämpft und spannend. Nach der 0:2-Hinspielniederlage schlägt sich Düdelingen beachtlich, verschießt gar einen Elfmeter. Auffälligster Mann bei den Gastgebern: Tom Schnell. Der Kapitän hält zwar nicht unbedingt, was sein Name verspricht, überzeugt aber als ballgewandter Abwehrchef mit gutem Stellungsspiel und Präsenz. An der Seitenlinie wird er vom jungen deutschen, höchst engagiert coachenden Trainer Dino Toppmöller angeleitet. Dessen Vater Klaus hätte 2002 ja fast die Champions League gewonnen - wenn Zinedine Zidane und Real Madrid nicht gewesen wären ...

Qarabag-Fans zünden Bengalos

Düdelingen gelingt später doch noch die Führung, auf der Tribüne wird es etwas lauter und euphorischer. Nur noch ein Tor bis zur Verlängerung oder zwei Treffer bis zum Weiterkommen. Doch der Gäste-Ausgleich kurz vor Schluss lässt alle Träume platzen. Dass die Qarabag-Fans auf der weitläufigen Steintribüne in dieser vergleichsweise gelassenen Atmosphäre Bengalos zünden, entbehrt nicht einer gewissen Komik.

Mobile Pressetribüne: Biertische dienen als Arbeitsplätze.

Mobile Pressetribüne: Biertische dienen als Arbeitsplätze. kicker

Wenig später stehen die Düdelinger Akteure mit Familie und Freunden zusammen neben dem Platz, Kinder bolzen auf dem "heiligen Rasen" aufs Tor. Interviews? Einfach die Spieler ansprechen, gibt ja keine räumliche Trennung und keine Presseaufpasser des Klubs - im durchregulierten Profizirkus ein inzwischen fast unvorstellbarer Vorgang. Fast schon logisch, dass die Pressekonferenz mit ein paar Stühlen und Tischen in der angrenzenden Schulturnhalle stattfindet. Danach plaudere ich draußen noch ein bisschen mit Toppmöller. Warum kamen so wenig Zuschauer? Nun ja, meint er, bei Ligaderbys wären ungefähr doppelt so viele Menschen im Stadion, aber heute handele es sich eben um einen Mittwoch in den Schulferien. Klingt einleuchtend - wenn sich in einem Städtchen und der dazugehörigen Region eben nicht alles um Fußball dreht. Die Teams der mir bis dato völlig unbekannten luxemburgischen Liga bewegen sich sportlich auf Oberliga- bis teilweise Drittliganiveau, meint der Trainer. Gegen die Vollprofis aus Aserbaidschan haben die Düdelinger, größtenteils Feierabendfußballer, also Großartiges geleistet.

Auch das ist die Champions League

Und für mich neigt sich nun ein irgendwie großartiger Abend dem Ende zu. Ein paar Tage später erscheint meine Reportage. Einige Luxemburger Medien berichten darüber und finden, der kicker mache sich über die Zustände bei F91 lustig. Aber darum ging es nie, sondern darum, mit einem Augenzwinkern zu schildern, wie die Champions League eben auch aussehen kann. Sehr eigen, kurios, unverstellt, gar nicht passend zum berühmten Etikett und dadurch auch ursprünglich und faszinierend. Das zu erleben, hat viel Spaß gemacht. So viel, dass es sich für mich klar positiv abhebt von all den durchorchestrierten und damit meist austauschbaren Profi-Partien.

Und dann kommt Milan

Und dass Düdelingen mehr kann als nur Sparringspartner in der Quali, beweist es erstmals 2018/19. Als erster luxemburgischer Klub nimmt F91 an einer Europapokal-Gruppenphase teil. Es ist zwar "nur" die Europa League, dafür kommt aber gleich der legendäre AC Mailand zum ersten Heimspiel. Nur die Hühner und Pferde bekommen davon nichts mit, Düdelingen muss wegen der Statuten im Nationalstadion in Luxemburg-Stadt antreten. Wieder darf ich dabei sein - wie auch Toppmöller und Tom Schnell. Der steht abermals in der Startelf und hält auch gegen Stars wie Gonzalo Higuain gut dagegen. Das aber ist eine andere Geschichte.

Carsten Schröter-Lorenz