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Leipzig-Coach Uzun: "Frauen sind mehr auf Zack als Männer"

Trainer über "knüppelharten" Spielplan und Unterschiede zwischen Geschlechtern

Leipzig-Coach Uzun im Interview: "Frauen sind mehr auf Zack als Männer"

Leipzigs Coach Saban Uzun wirft einen Tagesplan auch mal über den Haufen.

Leipzigs Coach Saban Uzun wirft einen Tagesplan auch mal über den Haufen. IMAGO/opokupix

Vor fast zehn Jahren war er der jüngste Trainer der Bundesliga: 2014 wurde Saban Uzun mit 26 Jahren Chefcoach beim VfL Sindelfingen. 2017 wechselte der gebürtige Tübinger zur zweiten Mannschaft des VfL Wolfsburg. Und 2022 heuerte er beim Zweitligisten RB Leipzig an, mit dem er den Sprung in die Erstklassigkeit schaffte. Nach drei Saisonspielen belegt sein Team mit drei Punkten Platz 9. Auf das 1:3 bei Eintracht Frankfurt folgen nun die Heimspiele gegen die Spitzenklubs Wolfsburg und München.

Herr Uzun, wie fällt Ihre Bilanz nach den ersten drei Spieltagen aus?

Nach drei Spielen ist es noch etwas früh für ein erstes Fazit. Als Nächstes warten mit Wolfsburg und Bayern zwei absolut Top-Mannschaften. Da werden wir sehen, wie gut wir in diesen Spielen mithalten können. Die Bundesliga ist für uns Neuland, wir zahlen viel Lehrgeld, das haben wir auch gegen Frankfurt gesehen. Wir werden schon noch etwas Zeit benötigen, aber wir kommen Schritt für Schritt voran. Bereits im dritten Ligaspiel gegen eine Champions-League-Mannschaft eine solche Leistung zu bringen, stimmt mich positiv. Natürlich müssen wir weiter hart arbeiten, damit wir uns auch dafür belohnen können. Aber das traue ich meiner Mannschaft zu.

RB ist kein normaler Aufsteiger. Richtig?

Das ist die Einschätzung von anderen. Wir müssen eine gute Balance finden zwischen Erwartungshaltung und Anspruch an uns selbst. Das, was andere über uns denken, definiert uns nicht. Wir müssen alles für uns einordnen.

Frankfurt, Bayern und Wolfsburg hintereinander - das ist schon knüppelhart. Aber es ist geil, wir können sehen, wie wir uns weiterentwickelt haben.

Saban Uzun

Nun kommen Wolfsburg und Bayern nacheinander nach Leipzig. Was haben Sie gedacht, als Sie den Spielplan gesehen haben?

Es ist eine Floskel, ich weiß: Aber wir denken von Spiel zu Spiel. Klar ist aber auch: Frankfurt, Bayern und Wolfsburg hintereinander - das ist schon knüppelhart. Aber es ist geil, wir können sehen, wie wir uns weiterentwickelt haben. Spielen müssen wir ja sowieso gegen alle.

Aber nicht unbedingt hintereinander …

Stimmt. Aber die Spiele werden uns gut darauf vorbereiten, was danach kommt. Klar ist, dass es punktemäßig hart aussehen kann, aber wir werden nach den ersten fünf Spielen so gestärkt sein, dass es uns helfen wird. Es werden spannende Aufgaben für uns.

Werden Sie Ihre Mannschaft auf Spiele gegen die Top-Teams anders vorbereiten als auf andere Bundesliga-Spiele?

Von der Herangehensweise ist es das gleiche. Es geht in erster Linie um uns - und dann um den Gegner. Wir arbeiten als Kollektiv. Wie besetzt der Gegner Räume, wie können wir Räume besetzen? In Wolfsburg und bei den Bayern gibt es mehr Schlüsselspielerinnen als in anderen Mannschaften. Das ändert aber nichts an unserer grundsätzlichen Herangehensweise.

Glauben Sie nicht, dass es mit Ihren Spielerinnen etwas macht, wenn eine Alexandra Popp oder Pernille Harder auf der anderen Seite stehen?

Wenn man seine Aufmerksamkeit darauf richtet, dann macht es natürlich etwas mit den Spielerinnen. Wir wollen aber Herr bzw. Frau darüber sein, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Und wenn man das macht, kann man die Chancen sehen, solche Gegner auch knacken zu können. Das ist auch das, was ich den Spielerinnen vermittle. Jeder Gegner gibt uns eine Chance, ihn an dem Tag zu besiegen.  Und diese Chancen und Möglichkeiten müssen wir in den Fokus rücken. Und dann ist auch egal, ob eine Popp oder Harder auf der anderen Seite stehen. Denn am Ende ist Fußball ein Spiel elf gegen elf. Und wenn wir es schaffen, den Gegner als Team gut zu bearbeiten, dann müssen die Top-Spielerinnen an ihre Grenzen gehen, um uns zu schlagen. Theoretisch ist es leichter, gegen solche Mannschaften zu spielen. An jedem Tag hast du die Chance, deinen Gegner zu besiegen. Es ist egal, wie groß diese Chance ist.

Wir können uns nicht nur übers Pressing definieren.

Saban Uzun

Weil keiner etwas von Ihrer Mannschaft erwartet?

Ja. Die Rollenverteilung ist eindeutig. Klar: Wenn Du zehnmal gegen Wolfsburg oder Bayern spielst, werden die wahrscheinlich öfter gewinnen als wir. Aber in einem Spiel kann auch den Favoriten ein Ausrutscher passieren. Genau das ist die Situation, die wir herstellen wollen. Und das ist möglich.

Was kann man von Bayern und Wolfsburg lernen?

Sie haben in allen Situationen gute Lösungen, können dem Gegner wehtun. Diese Mannschaften müssen dominant auftreten. So weit sind wir noch gar nicht. Insofern können wir von ihnen gar nicht so viel lernen.

Wo liegen die Stärken Ihrer Mannschaft?

Wir bringen eine gute Intensität auf den Platz, können gut Raum und Zeit verknappen. Dadurch stellen wir den Gegner vor Probleme, weil er schnellere Entscheidungen treffen muss. Fußball ist immer Aktion in Raum und Zeit. Und entweder verschafft man sich Raum und Zeit, wenn man den Ball hat, oder verknappt Raum und Zeit, wenn der Gegner im Ballbesitz ist. Beides können wir gut.

Klingt nach Pressing.

Ja, und wenn wir den Ball haben, wollen wir mit dem Ball etwas anfangen. Wir können uns nicht nur übers Pressing definieren. Wir müssen auch gucken, was das Spiel hergibt. Und zusehen, dass wir einmal öfter ins Tor treffen als der Gegner.

Eigentlich ganz einfach.

Ja, das ist einfach, aber nicht leicht (lacht). Weil das Einfache nicht immer leicht umzusetzen ist. Und Spielglück gehört dazu.

Haben Sie etwas an Ihrer Arbeitsweise verändert nach dem Aufstieg im Sommer?

Wir müssen schon berücksichtigen, dass das Spieltempo in der 1. Liga höher ist. Bedeutet: Wir brauchen die optimale Relation zwischen Belastung und Entspannung. Wichtiger wird der Umgang mit Widrigkeiten, das Brändelöschen neben dem Platz.

Natürlich gibt es auch Themen, von denen ich keine Ahnung habe.

Saban Uzun

Das bedeutet?

Ganz einfaches Beispiel: Wir legen vorher einen Tagesablauf fest und werfen diesen Plan dann kurzfristig komplett über den Haufen, um die Spielerinnen ratlos zu machen. Dann sind die erst mal überfordert. Das ist zunächst nicht angenehm für sie. Aber es ist das, was sie auf dem Platz erwartet. Ungewohnte Situationen, in denen Lösungen gefunden werden müssen. Raus aus der Komfortzone. Wir wollen Dinge aufbrechen, auch beim Staff. Nicht nur die Spielerinnen sind aufgestiegen, sondern auch Trainer und Betreuer. Auch wir sind auf allen Ebenen jetzt mehr gefordert. Ich muss im Spiel Dinge schneller erkennen und Lösungen finden. Und das muss man vorher mal simulieren. Woher soll es sonst kommen? Deshalb schaffen wir neben dem Platz ungewohnte Situationen, die wir dann aber auch auflösen und moderieren. Das soll es uns im Spiel einfacher machen.

Kann eine Überforderung auch kontraproduktiv sein?

Ja, deshalb darf es keine "Über-Überforderung" sein. Alles darf sich nur in einem gesicherten Rahmen abspielen. Wir müssen es gut im Blick haben, und die Überforderung darf nur temporär sein.

Sehen Sie sich als Vertrauensperson für die Spielerinnen oder halten sie eher Distanz?

Beides ist wichtig und gehört dazu. Ich sehe mich schon als eine Vertrauensperson. Wir müssen einen guten Umgang miteinander haben. Ich bin der erste Ansprechpartner der Spielerinnen. Natürlich gib es auch Themen, von denen ich keine Ahnung habe. Ich brauche zum Beispiel nicht mit Spielerinnen über Menstruation zu sprechen, weil ich nicht weiß, wie sich das anfühlt. Aber je mehr ich den Menschen hinter der Spielerin verstehe, desto besser kann ich auch ihre Leistungen einordnen.

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Ist es schwieriger, Spielerinnen zu verstehen als Spieler?

Ja, weil wir Männer anders denken.

Warum?

Frauen sind mehr auf Zack als Männer. Das sage ich so knallhart (lacht). Frauen können viel mehr um Ecken denken und bringen Dinge krasser miteinander in Verbindung - das kann positiv und negativ sein. Frauen sind von der Aufnahmefähigkeit ganz anders als Männer. Und sie haben eine andere Emotionalität. Heißt: Wenn ich in der Kabine etwas sage, muss ich nicht nur darauf achten, was ich sage, sondern auch wie. Wichtig ist auch die Körpersprache. Ich muss auch überlegen: Wen adressiere ich direkt, wen nicht? Auch die Hormone spielen eine Rolle. Meine Ansprache kann also von den einzelnen Spielerinnen ganz anders aufgenommen werden. Das spielt bei Männern weniger eine Rolle. Meine Verlobte sagt immer zu mir: Wenn du aus 25 Frauen eine Mannschaft formen kannst, dann ist eine Männermannschaft ein Kindergarten (lacht).

Bei einem Lehrer fragt man auch nicht danach, ob er Mädchen oder Jungs unterrichtet.

Saban Uzun

Sind Frauen nachtragender?

Nachtragend klingt negativ. Sie sind definitiv aufmerksamer und vergessen deutlich weniger. Sie interpretieren viel in Dinge hinein, wo wir Männer nicht mal ansatzweise daran denken. Da musst du dir als Trainer schon überlegen, wann und wo du was sagst.

Sie arbeiten seit Sommer 2022 in Leipzig. Warum haben Sie sich für RB entschieden?

Mein Sternzeichen ist der Stier, das passt doch (lacht). Die Vision, die der Klub hat, ist sehr spannend, auch die Spielidee. Hier kann ich mich entfalten. Es passt für mich.

Ist es für Sie klar, dass Sie im Frauenfußball bleiben werden?

Das ist offen. Der Frauenfußball gibt mir sehr viel, ich konnte mich sehr weiterentwickeln. Ich mache mein Lebensglück aber nicht davon abhängig, ob ich Frauen oder Männer trainiere. Bei einem Lehrer fragt man auch nicht danach, ob er Mädchen oder Jungs unterrichtet. Ich möchte Mannschaften entwickeln und Ziele erreichen. Ich bin sehr dankbar, was ich durch den Frauenfußball geworden bin. Mal gucken, was die Zukunft bringt.

Stichwort Zukunft: Wo steht RB am Ende der Saison?

Wir wollen in der Bundesliga bleiben.

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