Eishockey

Legende, Spieler, Boss: Jagr bleibt auch mit 52 ewig jung

Penguins hängen die 68 unter das Hallendach

Legende, Spieler, Boss: Jagr bleibt auch mit 52 ewig jung

Auch mit 52 Jahren mittendrin statt nur dabei: Eishockey-Legende Jaromir Jagr.

Auch mit 52 Jahren mittendrin statt nur dabei: Eishockey-Legende Jaromir Jagr. IMAGO/CTK Photo

Während sich die Kollegen des HC Rytiri (zu Deutsch: Ritter) Kladno mit einem Fußball locker aufwärmen, gleitet an diesem Sonntagnachmittag ein Spieler einsam über die Eisfläche der 5.200 Zuschauer fassenden Arena, 20 Autominuten westlich von Prag. Ein Go-Kart-Reifen ersetzt 75 Minuten vor dem Eröffnungsbully am Schläger vorne die Kelle, sorgfältig macht sich dieser Spieler warm.

Er ist noch immer gut auf dem Eis, er kann spielen, bis er 60 ist.

Eduard Tralmaks, Teamkollege bei Kladno

Der einsame Ritter ist nicht irgendwer, sondern eine Legende, der Boss des örtlichen Erstligisten und noch immer Spieler: Jaromir Jagr. Der Tscheche hat in seiner NHL-Karriere rund 135 Millionen Dollar verdient, könnte sich die Sonne in Florida auf den Buckel scheinen lassen und das Leben genießen. Stattdessen kämpft der am 15. Februar 52 Jahre jung werdende Jagr gegen die nachlassende Klasse. Erst spät ist der rechte Flügelstürmer in seine 36. Profisaison gestartet, gegen den amtierenden Meister HC Ocelari Trinec bestreitet er sein neuntes Spiel 2023/24.

Auf ein Tor wartet Jagr, vier Assists hat er für das abgeschlagene Schlusslicht der Liga beigesteuert. Er steht zwischen 12 und 17 Minuten pro Partie auf dem Eis, 15:02 werden es an diesem 14. Januar. "Wüsste man es nicht, würde man sein Alter nicht bemerken. Er ist noch immer gut auf dem Eis, er kann spielen, bis er 60 ist", behauptet Eduard Tralmaks, Center bei Kladno. Der Lette, 26 Jahre alt, ist zehn Jahre durch die USA getingelt, College und Farmteam der Boston Bruins für den Traum von der NHL. Ausgeträumt, dafür spielt er seit dieser Saison in Kladno in einer Sturmreihe mit Jagr.

Die Hall of Fame muss noch warten

Als Tralmaks 1997 geboren wird, hat Jagr bereits eine halbe Hall-of-Fame-Karriere im Lebenslauf. Wobei, halt, in die Ruhmeshalle des Eishockeys in Toronto ist er noch nicht aufgenommen worden, Regel ist Regel. Normalerweise kann ein Spieler frühestens drei Jahre nach dem Karriereende Mitglied werden, Jagr also 2027. Mit 16 debütiert er 1988 in der 1. Liga in Kladno, seinem Geburtsort mit knapp 70.000 Einwohnern.

Das Land heißt damals Tschechoslowakei, bei der Junioren-WM tritt er gegen die Sowjetunion an. 1990 draften ihn die Pittsburgh Penguins in der ersten Runde an fünfter Stelle - und landen einen Volltreffer. Gleich in den ersten beiden Jahren in Nordamerika hilft Jagr beim Stanley-Cup-Gewinn der Penguins, die nun neben Mario Lemieux einen zweiten Superstar haben. Zwischen 1990 und 2018 spielt Jagr 24 Saisons in der NHL für neun Teams.

Erfolge pflastern seinen Weg

Neben den beiden Cups gewinnt er fünfmal die Art-Ross-Trophy für den besten Scorer, wird einmal von der Liga und dreimal von den Kollegen zum Spieler der Saison gewählt. Auf Rang 2 der Ewigen Scorerliste liegt Jagr mit 1921 Punkten - 766 Tore und 1155 Vorlagen - nur hinter Wayne Gretzky (2857 Punkte) und als einziger Nicht-Kanadier in den Top 15. Seine 1733 NHL-Spiele werden von drei Spielern überboten, zu Spitzenreiter Patrick Marleau fehlen ihm 46. Als einer von 30 Spielern ist Jagr Mitglied im Triple-Gold-Club: Stanley-Cup-Sieger, Olympiasieger, Weltmeister. Gold holt er mit den Tschechen sensationell 1998 in Nagano, den WM-Titel 2005 und 2010.

Warum tut er sich die 1. Liga in der Heimat an? Jagr bleibt aktuell die Antwort schuldig, spricht derzeit nicht mit Reportern. "Er liebt dieses Team, es ist sein Baby", sagt Center Tralmaks. Jaroslav Keimar, der Pressesprecher Kladnos, betont: "Jaromir ist nicht egozentrisch. Er spielt nur, wenn er merkt, dass er helfen kann." Im Sommer nehme die Verpflichtung von Spielern und Sponsorenterminen viel von Jagrs Energie.

Die Geschichte Kladnos beinhaltet wohl viel von der Antwort auf das Warum. Vor der Wende ist der Klub eine Eishockey-Hochburg, sechsmal bis 1980 Meister. Die Spieler sind damals formell im Stahlwerk angestellt, trainieren und spielen jedoch nur. Später verblasst der Ruhm, der Verein steht 2011 vor der Pleite und dem Umzug in eine andere Stadt, als Jagr den Klub von seinem Vater Jaromir senior übernimmt. 13 Jahre später ist Jagr Legende. Boss. Spieler.

"Er muss sich um viele Dinge kümmern, kann sich nicht nur auf Eishockey konzentrieren", erzählt Assistenztrainer Pavel Skrbek. "Das muss hart für ihn sein, aber Sie sollten ihn sehen, wie er sich bei Spielen vor- und nachbereitet." Jagr ist sein Spieler und Chef. Skrbek bewertet nüchtern: "Er wird bald 52 Jahre alt, hat bessere und schlechtere Spiele, fünf in zehn Tagen." Das soll nicht als Kritik rüberkommen, sondern das Verständnis verbessern, was Jagr in diesem hohen Alter leistet.

Das Wichtigste ist, die Zeit zwischen dem Ende der Karriere und dem Tod zu minimieren, denn diese wird weniger aufregend sein.

Jaromir Jagr

Jagr ist das Zugpferd Kladnos, auch wenn er sportlich nur noch Durchschnitt verkörpert. Ohne ihn wäre der Klub höchstens halb so interessant, auch für Sponsoren. The Hockey News hat er in einem seiner seltenen Interviews vor einigen Jahren gesagt: "Ich habe eine Verantwortung gegenüber dem Klub. Andernfalls würde ich mich nicht zum Affen machen. Ich habe keine Wahl." Bei der New York Times klang es später so: "Das Wichtigste ist, die Zeit zwischen dem Ende der Karriere und dem Tod zu minimieren, denn diese wird weniger aufregend sein. Also spiele ich, solange ich kann. Wenn ich spielen kann, bis ich sterbe, dann tue ich das."

Gegen Trinec an diesem Nachmittag fällt Jagr selten auf. Ein einheimischer Reporter erzählt, Jagr sei läuferisch besser als in der vergangenen Saison, am harmonischen Zusammenspiel mit den Kollegen hapere es. Nach zwei Minuten betritt Jagr erstmals das Eis, geht als vorderster Mann ins Forechecking. Das 3:5 gegen den Meister kann er nicht verhindern. Zur Power-Play-Formation seines Teams gehört er nicht, früher undenkbar.

Das C für den Kapitän trägt Jagr nicht auf der Brust, das hat er nicht nötig. "Er geht mit Beispiel voran, unglaublich", erzählt Tralmaks, "all die harte Arbeit, die er in jüngeren Jahren investiert hat, ist noch immer sichtbar." Nur die Haare sind ergraut, vom berühmten Vokuhila-Schnitt hat er sich getrennt. In der Halle dominiert unter den Fans sein Trikot - von Kladno und Tschechien. Die NHL ist nicht nur sportlich weit weg.

In Kladno geht die Abstiegsangst um

Auch die Angst vor dem Abstieg treibt Jagr um. Der Letzte muss gegen den Besten der 2. Liga in die Relegation. Im vergangenen Oktober beendete Kapitän Tomas Plekanec mit 40 Jahren seine Karriere verletzungsbedingt, seine Erfahrung aus über tausend NHL-Spielen für die Montreal Canadiens und die Toronto Maple Leafs fehlt. Jagr will und muss die Lücke füllen. "Ich wusste nicht, was mich hier erwartet. Jetzt kann ich sagen: Ich habe nie in meinem Leben härter gearbeitet", erzählt Tralmaks. Das komme von "the Man himself", Jagr. "Ich bin sicher, wir arbeiten härter als alle anderen in der Liga." Anders als in Nordamerika stehen in Tschechien nur am Wochenende zwei Spiele auf dem Programm, der Rest ist Training.

Und wer will schon hinter einem 52-Jährigen herhecheln? "Manchmal gehe ich heim, trinke Kaffee, und plötzlich fällt mir ein, ich bin mit einer Legende befreundet", sagt Tralmaks. Jagr sei zwar etwas langsamer geworden, aber noch immer sehr gut darin, die Scheibe ins gegnerische Drittel zu transportieren und dort zu halten. In seinen besten Zeiten war er in der NHL nicht vom Puck zu trennen. "Das beweist er noch immer", schildert der Lette. Und wenn Jagr die Kabine betritt? "Dann witzelt auch er, teilt jeden Tag seine Erfahrungen mit uns. Aber jeder versteht auch: Jetzt kommt die Legende, jetzt müssen wir etwas ernster werden."

Jagrs legendäre 68 kommt unter Pittsburghs Hallendach

Am kommenden Wochenende müssen die Ritter aus Kladno auf Jagr verzichten. Er weilt in Pittsburgh, die Penguins ehren ihn, werden seine legendäre Nummer 68 unters Hallendach ziehen und nie mehr vergeben. Die trägt er seit jeher in Erinnerung an den Prager Frühling 1968, in dem sein Großvater das Leben verlor. Nun könnte Jagr theoretisch selbst Opa sein. Stattdessen spielt er Eishockey.

Frank Linkesch

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