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"Kranke Heuchelei": Der Fall Djokovic wirft viele Fragen auf

Australiens Premierminister verlangt "akzeptablen Nachweis"

"Kranke Heuchelei": Der Fall Djokovic wirft viele Fragen auf

Novak Djokovic darf seinen Titel aus dem Vorjahr wohl verteidigen - aber um welchen Preis?

Novak Djokovic darf seinen Titel aus dem Vorjahr wohl verteidigen - aber um welchen Preis? Getty Images

Alleine die Veröffentlichung sprach bereits Bände. Dass Novak Djokovic bei den Australian Open antreten würde, verkündete zuerst: Novak Djokovic. Und erst danach die Australian Open. Nach wessen Regeln in der Causa eigentlich gespielt wird - es ist eine Frage, die die Entscheidung vom Dienstag aufwirft. Und bei weitem nicht die einzige.

Vieles kann derzeit nur vermutet werden. Etwa, dass der australische Tennisverband und die Turnierdirektoren letztlich vor der Strahlkraft des Weltranglistenersten eingeknickt sind. Das impliziert nicht nur Djokovics Vorrang bei der Bekanntgabe. Mehr als eine gut begründete Vermutung ist es aber eben auch nicht. Offiziell hat Djokovic eine medizinische Ausnahmegenehmigung erhalten. Also, weil er sich nach Auffassung der Verantwortlichen nicht impfen lassen kann. Was der Grund dafür ist? "Wir sind nicht in der Position, auch rechtlich nicht, die medizinischen Informationen anderer Leute offenzulegen", sagt Turnierdirektor Craig Tiley.

Die Genehmigung sei nach strenger Überprüfung, an der zwei unabhängige Expertengremien beteiligt waren, erteilt worden, heißt es. Und Djokovic sei nicht der einzige Spieler, der für die Australian Open eine solche Genehmigung erteilt bekommt.

Hat Djokovic eine akute Erkrankung?

Australiens stellvertretender Premierminister James Merlino hatte noch Anfang Dezember erklärt: "Es ist eine medizinische Ausnahme unter außergewöhnlichen Umständen, wenn man eine akute Erkrankung hat." Eine akute Erkrankung beim körperlich vielleicht fittesten Tennisprofi, der jemals gelebt hat? Dessen über Jahre hinweg herausragende physische Verfassung die Grundlage für 20 Grand-Slam-Titel ist? Über den Medien seit knapp eineinhalb Jahrzehnten die unwichtigsten Details berichtet haben?

Bekannt ist nur, dass Djokovic unter Zöliakie leidet. Zu Deutsch: Glutenunverträglichkeit. Zumindest möglich, dass der Serbe diese Krankheit vorgebracht hat, um an eine Ausnahmegenehmigung zu kommen. Aber auch hier bewegt man sich bislang nur im Bereich der Vermutungen.

Melbourne war 262 Tage im Lockdown

Ob er nun eine akute Erkrankung hat, oder nicht: Djokovic befindet sich definitiv in akuter Erklärungsnot. Das Echo auf seine Teilnahme in Melbourne ist - verständlicherweise - vernichtend.

"Das Gefühl, als hätten wir alle gerade eine massive Ohrfeige bekommen", verspürte "The Canberra Times", "eine kranke Heuchelei" ist die Genehmigung für "The Herald Sun". "Seine Teilnahme ist eine Beleidigung für jeden Australier, der wegen Covid durch die Hölle gegangen ist", schreibt die Zeitung weiter. Der Großraum Melbourne hatte erst im Oktober einen Lockdown beendet, der 262 Tage angehalten hatte und damit teilweise als "längster der Welt" bezeichnet worden war. Die australische "ABC"-Journalistin Samantha Lewis erhob es via Twitter sogar zur "patriotischen Pflicht" für jeden Besucher, Djokovic bei den Australian Open auszubuhen.

"Extrawurst für Djokovic", "Durch die VIP-Spur geleitet": Lesen Sie hier eine Übersicht internationaler Pressestimmen

Nun steht noch gar nicht fest, ob es so weit überhaupt kommen wird. Offenbar hat Djokovic bei der Einreise nach Australien nun Probleme mit seinem Visum. Die Behörden des australischen Bundestaats Victoria verweigerten die Unterstützung. Auf viel Gegenliebe wird Djokovic dieser Tage wohl nicht mehr stoßen. Was auch mit der Vorgeschichte zu tun hat.

In der Vergangenheit war der Serbe durch seinen unverantwortlichen Umgang mit der Pandemie auffällig geworden. Seine von ihm mitveranstaltete "Adria Tour" wurde im Sommer 2020 zum von der Realität vollkommen entkoppelten Party-Marathon, bei dem sich mehrere Spieler, darunter Djokovic selbst, mit dem Virus infizierten.

Zumindest eine Erkenntnis 

Umso weniger glaubhaft erscheint es nun, wenn er eine Erkrankung ins Feld führt, die ihm eine Impfung gegen das Virus verbietet. Denn, und das ist die vielleicht einzige Erkenntnis aus der Causa: Djokovic ist ungeimpft. Auch wenn er seinen Impfstatus nach wie vor zur "Privatsache" erklärt. Aber mit Impfung hätte er keine Ausnahmegenehmigung gebraucht.

Djokovic steht nun in der Pflicht, Erklärungen zu liefern - wenn er denn welche hat. Das machte nun auch Australiens Premierminister Scott Morrison deutlich. "Wenn er nicht geimpft ist, muss er einen akzeptablen Nachweis erbringen, dass er aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann, um Zugang zu den gleichen Reiseregeln wie vollständig geimpfte Reisende zu erhalten", stellte der Regierungschef am Dienstag klar. Sonst werde der Serbe "im ersten Flieger nach Hause" sitzen.

Worte, an denen sich die australischen Verantwortlichen nun messen lassen müssen.

Michael Bächle