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Handball-WM 2023: Karabatic "will immer noch Rekorde brechen"

"Das ist unser Problem im Handball"

"Kaputter" Karabatic: "Ich will immer noch Rekorde brechen"

Gelingt der nächste Sieg gegen Deutschland? Frankreichs Kapitän Nikola Karabatic.

Gelingt der nächste Sieg gegen Deutschland? Frankreichs Kapitän Nikola Karabatic. imago images

Nikola Karabatic ist der Titelsammler im Handball - und vielleicht auch der "Greatest of All Times". Dreimal Olympia-Gold, dreimal Europa- und viermal Weltmeister - insgesamt hängte er sich schon zehn Goldmedaillen um den Hals. Bei 25 der 26 Großereignisse im Handball stand er seit 2003 auf dem Parkett und sammelte insgesamt 15 Medaillen mit dem Nationalteam sowie zahlreiche Rekorde und persönliche Auszeichnungen. Dazu kommen noch drei Titel in der Champions League, 20 (!) Meisterschaften in Frankreich, Spanien und Deutschland. "Bock auf Handball" besuchte ihn in Paris.

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Manchmal muss Karabatic an eine Begebenheit zurückdenken, als er noch jung war und für den THW Kiel spielte: Für eine wissenschaftliche Arbeit an einer Universität wurden damals anonyme Umfragen unter Sportlern durchgeführt. Eine der Fragen lautete sinngemäß wie folgt: "Wenn ich dir heute verspreche, dass du in deiner Karriere alle großen Titel gewinnen wirst, du dich aber mit 40 Jahren nicht mehr normal bewegen kannst - wirst du es trotzdem tun?" Nikola Karabatic zögerte keinen Augenblick: "Mit Anfang 20 habe ich natürlich 'Ja' gesagt."

"Heute, mit 38 Jahren, sehe ich viele Dinge anders. Wenn du jung bist, denkst du einfach nicht in der gleichen Weise. Mit zunehmendem Alter versteht man die Zusammenhänge besser. Niemand erzählt dir vorher, dass du für deine Karriere deine Gesundheit aufs Spiel setzt. Auch als Athlet hast du noch jede Menge interessanter Dinge über den Sport zu lernen", gibt Karabatic offen zu.

Es gibt Tage, an denen mir beim Aufstehen alles weh tut.

Nikola Karabatic

Im letzten Spiel der Hauptrunde bei der Handball-WM 2023 von Frankreich gegen Spanien (28:26) wurde Karabatic geschont, eine Fußverletzung plagte den Superstar der Franzosen, der den Handball seit gut zwei Dekaden prägt - seit der ersten Meisterschaft in Frankreich mit Montpellier im Jahr 2002. Gegen Deutschland wird aber wieder mit seinem Einsatz gerechnet, schließlich ist es ein Viertelfinale und Karabatic weiterhin ein zentraler Faktor im Spiel des Titelanwärters.

"Es gibt Tage, an denen mir beim Aufstehen alles weh tut und ich eigentlich keinen Bock auf Training habe", gesteht Nikola Karabatic ehrlich ein. "Aber es gibt auch immer noch die Tage, an denen es richtig viel Spaß macht." Heute sind es in erster Linie die Spiele, die ihn noch immer herausfordern, "auch wenn Siege nicht mehr den gleichen Stellenwert wie zu Beginn meiner Karriere haben, als ich noch nicht alle Titel gewonnen hatte." Trotzdem sagt er vehement: "Klar will ich noch immer gewinnen - und Rekorde brechen!"

"Für mich war es nicht wichtig, der Chef zu sein"

Trotz aller persönlichen Superlative und nunmehr über 70 Medaillen sind "Titel nach wie vor das Schönste" für den dreimaligen Welthandballer, der sich in solchen Momenten besonders für seine Mitspieler freut, für die es womöglich der erste Triumph ist. "Für mich selbst war es immer wichtig, die Unterstützung meiner Teamkameraden zu spüren, und nicht, der Chef zu sein." Das gilt auch für den Olympiasieg: "In Tokio mit einer neuen Mannschaft und auch mit meinem Bruder gemeinsam Olympiasieger zu werden, war deshalb etwas Besonderes."

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"Ebenso wie meine persönliche Geschichte, nach einem Kreuzbandriss und nur sieben Monaten Rehabilitation rechtzeitig zurückzukommen", fügt Karabatic an. Der Kreuzbandriss war auch daran Schuld, dass mit der Handball-WM 2021 erstmals seit 2003 - als er mit 18 Jahren als Ersatzmann dabei war, aber nicht auf dem Parkett stand, als Frankreich Bronze holte - ein Großereignis ohne den ewigen Karabatic stattfand - bei 25 der letzten 26 Turniere war er für Frankreich im Einsatz.

Stichwort Olympia. Mit den Olympischen Spielen in Paris im Jahr 2024 scheint das perfekte Ende für eine unglaubliche Karriere vorgeplant. Denn bei Paris und bei Frankreich zeigt er weiterhin seine Klasse.

"... sonst geht die Motivation in den Keller"

"Ich habe in meiner Karriere stets versucht, alle vorherigen Titel zu vergessen. Denn sonst geht die Motivation in den Keller", so der Superstar, der bereits jetzt der Handballer mit den meisten Spielen bei Olympia ist und mit einer Teilnahme der einzige Handballer mit sechs Teilnahmen bei Olympia werden könnte. Aber mehr als die Teilnahme, wird Karabatic ein viertes Gold antreiben.

Aber kann man all die vielen Titel denn tatsächlich vergessen? "Ich verdränge sie", sagt Karabatic. "Klar vergesse ich sie nicht. Die Kinder spielen zu Hause ab und zu mit den Medaillen", erzählt er. "Aber sie sind noch nicht groß genug, um ihren Wert zu erfassen und um nachzufragen, welche Geschichten sich dahinter verbergen. Wenn meine Kinder mich eines Tages danach fragen, dann werde ich ihnen diese Geschichten erzählen."

"Nein, Handball ist nicht mehr alles für mich"

"Aber ich werde nicht der Papa sein, der seinen Kindern jeden Tag die gleichen Geschichten erzählt, wie er Weltmeister oder Olympiasieger wurde", lacht er und schüttelt mit dem Kopf. "Nein, Handball ist nicht mehr alles für mich", sagt Karabatic und betont: "Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem meine Familie die allerwichtigste Sache der Welt ist. Klar, Handball ist auch weiterhin meine Leidenschaft, aber die Prioritäten haben sich verschoben. Dennoch hat der Sport mir sehr viel gegeben und mich sehr glücklich gemacht." Gemeinsam mit seiner Frau Geraldine hat er einen Sohn, Alek, und eine Tochter, Nora.

"Meine Handball-Laufbahn neigt sich dem Ende entgegen, deshalb versuche ich mir vorzustellen, wie meine nächste Karriere aussehen wird. Und trotzdem versuche ich, noch möglichst viel Spaß am Handball zu haben und die letzten Jahre zu genießen", so seine Prognose.

Ich beschäftige mich sehr damit, wie Sport und Umwelt miteinander harmonieren können.

Nikola Karabatic

Beim Fernsehsender "Canal Plus" hat er bereits einen Vertrag unterzeichnet, arbeitet schon heute als Experte. "Ich denke, das wird auch später ein Teil meiner Arbeit werden. Zudem beschäftige ich mich sehr damit, wie Sport und Umwelt miteinander harmonieren können. Das ist ein Thema, das mich sehr interessiert und sehr wichtig für mich ist - insbesondere seitdem ich selbst Papa geworden bin."

Sind die Olympischen Spiele 2024 in seiner Heimat Paris ein realistisches Ziel? "Zwei Jahre gehen zwar schnell vorüber, aber ob ich auch 2024 noch auf dem höchsten Niveau in der Nationalmannschaft und in der Champions League spielen kann? Ich weiß es nicht. Die französische Liga wird jedes Jahr stärker, und jede Saison ist ein Kampf. Normalerweise dürfte ich mit 40 Jahren nicht mehr mit diesem Rhythmus und auf diesem Niveau spielen. Aber wenn es auch körperlich gut läuft und ich noch Spaß habe - warum nicht?"

Karabatic setzt auf "gute Lebenshygiene"

Bei der Handball-WM 2023 ist er jedenfalls weiter mittendrin. "Ich glaube, ich habe es unter anderem auch deswegen geschafft, so lange auf so hohem Niveau Handball zu spielen, weil ich mich gesund ernähre und eine gute Lebenshygiene habe", erklärt Nikola Karabatic. Er betont aber auch: "Wir waren sehr oft über die Belastungsgrenze hinaus und weit über dem Limit. Das ist unser Problem im Handball. Heute frage ich mich ernsthaft, wie ich das geschafft habe."

Manchmal hat auch er Spiele gespielt, obwohl alle wussten, dass das mit einem hohen Verletzungsrisiko behaftet war. "Aber ich habe es für mein Team, für meine Freunde in der Mannschaft getan", sagt Karabatic rückblickend. "Sie waren das Wichtigste, das mir der Handball gegeben hat. Der Handball hat mich viel über das Leben gelehrt, wie sich Leute benehmen, wenn es gut läuft, und wie sich Leute benehmen, wenn es schlecht läuft. Und ich habe gelernt, welche Person ich selbst sein möchte." Vermutlich würde er heute in der Umfrage doch noch einmal die gleiche Antwort ankreuzen. "Ja", sagt Nikola, "es war das alles wert".

Sascha Klahn

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