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"Island ist für uns eine Inspiration": Finnlands Tim Sparv im Interview

"Uhus" vor erster EM-Teilnahme

"Island ist für uns eine Inspiration": Finnlands Kapitän Sparv im Interview

Anführer auf dem Platz: Finnlands Kapitän Tim Sparv.

Anführer auf dem Platz: Finnlands Kapitän Tim Sparv. imago images

Herr Sparv, bei der EM 2016 gab es zwei Erstteilnehmer, die für eine Menge Furore sorgten. Wales zog bis ins Halbfinale, Island begeisterte die Massen und kickte sogar England aus dem Turnier. Wie viel Island-Potenzial steckt in Finnland?

Island ist eine dieser nordischen Nationen, die für uns eine Inspiration sind. Eine kleine Nation, die es so unheimlich gut gemacht hat. Da kann ich nur meinen Hut ziehen. Es ist fünf Jahre her, und wir reden heute noch darüber. Sie gaben jedem dieses Gefühl: 'Wenn Island das schafft, können wir das auch', das ist ihr Vermächtnis. Auch Schweden muss man hier nennen. Die haben sich so oft für Turniere qualifiziert und ich habe mich immer gefragt, warum wir das nicht geschafft haben. Unsere Nachbarn haben es sehr gut gemacht. Wir sind froh, jetzt ein Teil davon zu sein. Unser Team hat Potenzial. Wir wollen das Momentum nutzen, um Finnland auf die Fußball-Landkarte zu bringen und vielleicht einige zu überraschen. Wir werden immer noch als reine Wintersport-Nation wahrgenommen. Vielleicht kann dieses Turnier die Perspektive ein wenig verschieben.

Hat Finnlands erste Endrunden-Qualifikation in der Heimat einen Hype ausgelöst?

Ich denke, Hype ist der richtige Begriff. Wir haben das Wort noch nie im Zusammenhang mit finnischem Fußball verwendet, aber das letzte Jahr war wirklich außergewöhnlich. Das Medieninteresse und die Unterstützung unserer Fans haben ein neues Level erreicht. Und das hängt alles mit unseren Resultaten der letzten drei Jahre zusammen.

Sie haben im Nationalteam auch andere Zeiten erlebt.

Es gibt einige Spieler in unserer Mannschaft, die auch die nicht so rosigen Zeiten erlebt haben. Als wir kaum ein Spiel gewonnen haben und sehr oft kritisiert wurden. Jetzt ist es eine völlig andere Grundstimmung und wir sind sehr glücklich, dass wir diese Art Hype in unserem Heimatland auslösen konnten.

Wie macht sich der bemerkbar?

Finnland wird natürlich als Eishockey-Nation gesehen. Unser Ziel ist es, das Interesse am Fußball zu steigern. Das haben wir definitiv geschafft. Jetzt sieht man hunderte Leute in den Straßen, die Trikots von Teemu Pukki, Glen Kamara oder Lukas Hradecky tragen. Ich habe vor einigen Wochen sogar einen Platzwart getroffen, der ein Pukki-Tattoo auf dem Knöchel hat. Das gibt die aktuelle Stimmung ganz gut wieder.

Kann der Fußball also Eishockey langfristig Konkurrenz machen?

Manchmal gibt es diese Diskussionen zwischen den Fanlagern, aber ich mag das nicht. Wir Sportler sollten uns gegenseitig unterstützen. Für mich persönlich ist es das Wichtigste, dass wir Jugendliche dazu motivieren, überhaupt Sport zu machen und aktiv zu sein.

Unser aktuelles Team ist nicht besser als die goldene Generation.

Tim Sparv

Finnland hatte auch in der Vergangenheit schon große Spieler wie Jari Litmanen oder Sami Hyypiä. Warum hat es so lange gedauert, bis Finnland bei einer EM oder WM die Bühne betritt?

Das ist die magische Frage, die mir immer gestellt wird. Man kann es nicht an einer Sache festmachen. Ich glaube nicht, dass unser aktuelles Team besser ist als die goldene Generation. Die hatten zehn Spieler aus der Premier League, wir haben nur Pukki (von Aufsteiger Norwich, Anm. d. Red.). Aber wenn wir mit elf Mann auf dem Platz stehen, fühlt es sich so an, als wären wir zwölf oder 13. Die Verbindungen, die wir über die letzten Jahre aufgebaut haben, machen uns als Mannschaft so stark. Aber es war ein sehr langwieriger Prozess.

Das klingt nach einer tollen Atmosphäre im ganzen Team.

Wir haben so viele verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Backgrounds. Leute mit afrikanischen Wurzeln, Spieler, die im Ausland geboren und aufgewachsen sind. Auf dem Platz sprechen wir schwedisch, finnisch, englisch. Es ist ein faszinierender Mix und jeder kann so sein, wie er ist. Diese Umgebung zwischen allen Spielern und Mitarbeitern im Team ist vielleicht unsere große Stärke.

Sie hatten Anfang April einen kleinen Eingriff am Knie, sind aber schon auf den Platz zurückgekehrt. Sind Sie fit genug, um ihr Team am Samstag gegen Dänemark als Kapitän aufs Feld zu führen?

Das hoffe ich, aber meine Vorbereitung war wirklich schlecht. Ich bin nicht bei einhundert Prozent. Gegen Schweden (0:2-Niederlage in der Vorbereitung, Anm. d. Red.) konnte ich 45 Minuten spielen, und mein Knie fühlt sich ganz okay an. Aber auch ich habe noch einige Fragezeichen, was meine Rolle bei diesem Turnier sein wird. Meine letzten Monate waren auf vielen Ebenen nicht einfach für mich. Im Moment bin ich einfach froh, mit dem Team hier in Russland zu sein und uns auf unser erstes großes Turnier vorzubereiten. Natürlich würde ich gern spielen, aber ich muss meine körperliche Situation akzeptieren. Und egal ob auf dem Platz, der Bank oder Tribüne: Ich werde mein Team immer unterstützen und pushen.

Für welchen Fußball steht das finnische Team? Gibt es ein Markenzeichen?

Wir haben in der Qualifikation häufig zu null gespielt. Wenn man als Finnland erfolgreich sein will, ist Defensivarbeit wirklich wichtig. Wir arbeiten sehr hart füreinander, jeder rennt für den anderen und es gibt keine Egos im Team. Keiner denkt, dass er etwas Besseres ist. Das ist ausschlaggebend, wenn man Fußballspiele gewinnen will.

Da ist etwas dran. Um zu gewinnen, braucht es allerdings auch Tore. Wie ist die Offensive organisiert?

Teemu Pukki

Finnlands Sturmhoffnung: Norwich-City-Profi und Ex-Schalker Teemu Pukki.

Unser offensives Umschaltspiel hat sich in den letzten Jahren massiv verbessert. Bei Ballgewinnen in der eigenen Hälfte sind wir mittlerweile wirklich schnell und kreieren Chancen. Das ist unsere Waffe.

Zuletzt war Finnland vor allem im 5-3-2-System erfolgreich. Auch bei der EURO?

Mittlerweile haben wir eine taktische Flexibilität, wie wir sie vor drei oder vier Jahren noch nicht hatten. Abhängig vom Gegner können wir mehrere Systeme spielen. Wir konzentrieren uns im Scouting sehr auf das andere Team und suchen dabei nach Vorteilen für uns.

Dann kommen wir gern auf Ihre Gegner zu sprechen. Zum Auftakt in Kopenhagen gegen Dänemark, dann in St. Petersburg gegen Russland. Zwei Teams mit Heimvorteil. Wird die Atmosphäre im Vergleich zu einem neutralen Spielort hemmen oder kann es sogar förderlich sein?

Natürlich spielt jeder am liebsten zu Hause und es gibt dir garantiert auch einen Vorteil. Aber ich weiß, dass tausende finnische Fans anreisen werden und wir ebenfalls den Support spüren werden. Es wird sehr spannend sein, wie wir psychologisch mit dieser neuen Situation umgehen. Es ist ein bisschen größer als unsere bisherigen Erfahrungen.

Dritter Gegner im Bunde sind die hochgehandelten Belgier. Wie schätzen Sie die Roten Teufel ein?

Belgien ist mein Favorit auf den EM-Titel. Die Mannschaft ist unglaublich, sie haben so viele gute Spieler. Es gibt viele gute Teams, aber wenn ich wetten soll - das ist mir natürlich nicht erlaubt (lacht) - ich würde mein Geld auf Belgien setzen.

Gibt es weitere Teams, die Sie auf dem Zettel haben?

Ich denke nicht, dass sie ein großer Favorit sind, aber ich fände es schön, wenn England weit kommt. Die haben eine tolle Offensive mit so vielen talentierten, jungen Spielern. Englands Team macht mir Spaß.

Was trauen die finnischen Fans Ihrer Mannschaft zu?

Gute Frage. Ich denke, jeder weiß, dass wir eine schwere Gruppe erwischt haben. Ich denke nicht, dass ein finnischer Fan etwas von uns erwartet, aber das ist nichts Schlechtes. Die Underdog-Rolle hat uns in der Vergangenheit gut gefallen. Es wird hart. Belgien ist der große Favorit, Dänemark hat viele Spieler auf Top-Level und in letzter Zeit kaum Spiele verloren. Über Russland weiß ich noch nicht so viel, das machen wir dann einige Tage vor dem Spiel. Ich glaube daran, dass man sich weniger auf das Ergebnis konzentrieren sollte. Wenn die Leistung auf dem Platz stimmt, werden die Dinge schon passieren.

Unter welchem Szenario wäre diese EM für Finnland ein Erfolg?

Die K.-o.-Runde zu erreichen wäre ein großer Erfolg. Aber wäre es ein Desaster oder schlechtes Turnier, wenn wir das nicht schaffen? Ich denke nicht. Im Fußball ist mir manchmal zu viel Schwarz und Weiß. Es gibt eine Menge Nuancen zwischen katastrophal und fantastisch. Wir wollen so spielen, dass wir danach stolz auf unsere Leistung sein können. Und am Ende ist es Fußball: Alles kann passieren.

Es soll keine einmalige Sache sein.

Tim Sparv

Kann es angesichts der umjubelten Qualifikation überhaupt Enttäuschungen für Finnland geben?

Man muss sich immer vor Augen rufen, wo wir herkommen. Hier dabei zu sein ist bereits ein großer Erfolg. Dennoch wollen wir mit guten Leistungen überzeugen. Wir können bereits froh sein, aber noch nicht zufrieden. Wir haben diesen Hunger, wollen uns weiter verbessern. Das macht dieses Team aus. Wir haben in letzter Zeit große Schritte gemacht und ich hoffe, dass sich dadurch auch die Ambitionen etwas verschieben. Es soll keine einmalige Sache sein. Die nachfolgenden Generationen sollen sich auch für Europa- und Weltmeisterschaften qualifizieren.

Tim Sparv mit jubelnden Fans

Als die Qualifikation im November 2019 feststand, kannten die finnischen Fans kein Halten mehr und stürmten den Rasen.

Diese Europameisterschaft steht immer noch im Zeichen der Corona-Pandemie. Aus der EURO 2020 wurde die EURO 21. Wie stehen Sie als Spieler zur Kritik an der Austragung?

Ich bin kein Experte und kann nicht sagen, was gut oder schlecht ist. Natürlich gibt es immer Leute, die sagen, dass es keine gute Idee ist, dass Leute während einer Pandemie zu den Spielen durch ganz Europa reisen. An einem gewissen Punkt muss man die Gesellschaft aber wieder öffnen. Die mentale Gesundheit spielt nach den Lockdowns auch eine Rolle - und Fußball kann vielen Leuten helfen. Für uns Spieler ist es eine komische Situation mit einer geschlossenen Blase, in der wir leben, ständigen Tests und vielen Restriktionen. Natürlich ist es kein normales Turnier. Die UEFA wird ihr Bestes geben, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Ich sehe aber auch die Spieler, Mitarbeiter und Fans in der Verantwortung, die Situation nicht schlimmer zu machen, als sie ohnehin in vielen Ländern ist.

Im vergangenen Sommer haben Sie den FC Midtjylland nach fünfeinhalb Jahren in Richtung Griechenland verlassen. Das Abenteuer bei AE Larisa endete im Mai allerdings mit dem Abstieg aus der ersten Liga. Sehen Sie die EM auch als Bühne, um sich für einen neuen Klub zu empfehlen?

Für junge Spieler kann es natürlich ein Sprungbrett sein. Ich bin jetzt 34 und denke, um ehrlich zu sein, wirklich nicht mehr in diesen Zusammenhängen. Ich bin stolz hier zu sein und mein Land zu repräsentieren. Barcelona und Manchester United sind nicht hinter mir her, egal wie ich dieses Turnier spielen werde. Mit 34 Jahren habe ich andere Ambitionen. Ich werde nicht mehr ewig spielen und will mich bald dem Trainerdasein widmen. Das könnte meine große Leidenschaft werden.

Wie bald ist bald?

Das möchte ich für den Moment noch für mich behalten. Mal sehen, wie lang mein Körper noch mitspielt, ich habe bereits ein Zeitfenster im Kopf.

Sie haben unter anderem in England, Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und nun Griechenland gespielt. Welche Liga reizt sie noch?

Ich war viel unterwegs, habe die letzten 18 Jahre im Ausland gelebt. Irgendwann kommt der Punkt, an dem es heißt: Genug ist genug. Aber es ist auch das Schöne am Leben als Fußballprofi. Neue Orte und Kulturen entdecken, dafür bin ich sehr dankbar. Nach dem Sommer werden wir sehen. Ich bin für vieles offen. Es wird aber kein exotisches Abenteuer in den USA oder Indien. Ein Verein, bei dem ich noch ein wenig spielen und gleichzeitig erste Erfahrungen im Coaching sammeln könnte, wäre perfekt.

Tim Sparv

In der Saison 2013/14 war Sparv für Fürth in der 2. Liga am Ball. imago images

Ihre einzige Station in Deutschland, die SpVgg Greuther Fürth, stieg vor einigen Wochen auf. Haben Sie das Kleeblatt verfolgt?

Natürlich. Ich verfolge alle meine Ex-Klubs. Live-Spiele schaffe ich meist nicht, aber die Ergebnisse checke ich auf jeden Fall. Es freut mich sehr, dass sie zurück in der Bundesliga sind. Ich habe dort wunderbare Menschen kennengelernt. Überhaupt hat es mir in Deutschland sehr gefallen. Die Leidenschaft in den Stadien war toll. Ich bin gespannt, wie sich die Fürther in der Bundesliga schlagen werden. Wie schwer es dort ist, haben einige große Klubs zuletzt wieder erfahren.

Denken Sie, dass die Spielvereinigung noch einen Mittelfeldchef mit EM-Erfahrung brauchen könnte?

Ich bin mir sicher, dass dort viele gute Spieler sind. Die brauchen keinen 34 Jahre alten Finnen.

Interview: Thomas Müller

Die "Players to watch" bei der Europameisterschaft