Int. Fußball

IFAB: Brud über mögliche Regeländerungen im Fußball

Geschäftsführer über Maßnahmen gegen Fehlverhalten und die Blaue Karte

IFAB-Chef Brud im Interview: "Teams werden instruiert, den Schiedsrichter zu umzingeln"

Szenen wie diese im Spiel zwischen der SpVgg Unterhaching und Borussia Dortmund II sollen künftig verhindert werden.

Szenen wie diese im Spiel zwischen der SpVgg Unterhaching und Borussia Dortmund II sollen künftig verhindert werden. IMAGO/foto2press

Am schottischen Loch Lomond steigt an diesem Samstag die Jahreshauptversammlung der Regelbehörde IFAB (International Football Association Board). Je ein Vertreter der britischen Fußballverbände Englands, Schottlands, Wales’ und Nordirlands sowie vier FIFA-Repräsentanten stimmen per Mehrheitsbeschluss über mögliche Regeländerungen und Testphasen ab. IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud ordnet vorab im kicker-Interview die wichtigsten Themen ein.

Herr Brud, ein Hauptthema am Samstag wird das Verhalten von Spielern und Trainern. Warum?

Das Verhalten von Spielern und Trainern auf den Ersatzbänken, aber auch von Fans oder Eltern im Jugendbereich ist ein großes Problem im Fußball. Vor allem im Breitensport, der meist ohne große Öffentlichkeit stattfindet. Deshalb haben wir auf unserer Geschäftssitzung im November 2023 beschlossen, dem Ganzen mit einigen Maßnahmen entgegenwirken zu wollen. Auf der Jahreshauptversammlung wird besprochen, was davon umgesetzt wird - allerdings zunächst nur in Testphasen.

Das wird viel zu sehr aufgebauscht.

Lukas Brud über die Debatte um die Blaue Karte

Ein Symbol für eine potenzielle neue Sanktion ist die Blaue Karte. Darum herrscht große Aufregung. Berechtigt?

Nein, das wird viel zu sehr aufgebauscht. Es geht um Zeitstrafen, die bereits im Jugend- und Amateurbereich einiger Länder eingesetzt werden. In Testphasen soll künftig überprüft werden, ob Zeitstrafen auch in höheren Spielklassen helfen können, bestimmtes Fehlverhalten angemessen zu sanktionieren. Unabhängig von der Kartenfarbe oder davon, ob eine zusätzliche Karte überhaupt benötigt wird, geht es darum, dass der Schiedsrichter eine Zeitstrafe klar sichtbar anzeigen kann. Da wurde sich medial schnell mehr auf die angedachte Blaue Karte gestürzt als auf die Inhalte der Idee. Ob Zeitstrafen im Profifußball den gewünschten Effekt haben und von den Protagonisten gewollt werden, müssen auch wir erst beobachten.

Die englischen Pokalwettbewerbe gelten als Kandidaten für die Zeitstrafen-Testphase.

Wir werden am Samstag definieren, wann und bis zu welchem Spielklasse-Niveau wir die Testphase anbieten. Dann können die Verbände, wie der englische, entscheiden, ob sie teilnehmen möchten.

Klopp über neue Karte: "Klingt nicht nach einer fantastischen Idee"

alle Videos in der Übersicht

Wie verhält es sich mit der Idee, dass wie im Rugby oder Eishockey nur der Kapitän mit dem Schiedsrichter in den Austausch gehen darf?

Der Hintergrund ist, dass wir die Überhand nehmende Dimension von Rudelbildungen rund um den Schiedsrichter eindämmen wollen. Da werden ja teilweise Teams instruiert, von Trainern und Verantwortlichen, den Schiedsrichter von allen Seiten zu umzingeln, damit er nicht weglaufen kann. Dieses Belagern, Schimpfen und Protestieren von allen Seiten ist eine Unart, die regelmäßig für alle sichtbar auf Toplevel passiert und an der Basis und vor allem von Kindern und Jugendlichen leider kopiert wird. Wichtig ist eine Klarstellung.

Welche?

Der Vorschlag bedeutet nicht, dass andere Spieler generell nicht mehr mit dem Schiedsrichter sprechen dürfen. Das Ziel ist, dass in Zukunft, wenn der Schiedsrichter klar kommuniziert "Jetzt ist es genug", nur noch die Kapitäne die Möglichkeit haben, sich mit dem Schiedsrichter über eine Entscheidung auszutauschen. Die Kapitäne werden informiert und in die Pflicht genommen.

Inwiefern?

Sie sollen vor möglichen Sanktionen dafür sorgen, dass sich der Rest des Teams in solchen Situationen vom Referee entfernt. Und dann haben sie die Verantwortung, die Infos an die Mitspieler weiterzugeben. Die Idee ist, Testphasen dazu auf vielen Ebenen anzubieten. Ob das für die höchsten Spielklassen passiert, wissen wir am Samstag.

Unterbrechungen zum Abkühlen der Gemüter sind aber zunächst nur für den Amateurbereich gedacht, richtig?

Größere Konflikte oder Auseinandersetzungen passieren im Profifußball nicht so oft. Es geht vor allem darum, Spielabbrüche zu verhindern, die nicht nur durch die Neu-Ansetzungen angesichts des Nachwuchsproblems bei den Schiedsrichtern für einige Probleme sorgen. Erste Testergebnisse mit diesen Cooling-off-Periods aus deutschen Landesverbänden zeigen, dass das tatsächlich gut funktionieren kann. Spielern, Verantwortlichen, aber auch Zuschauern wird Zeit eingeräumt, die Gemüter zu beruhigen und am besten zu dieser Erkenntnis zu gelangen: Wir sind alle hier für den Sport und den Spaß und nicht, um Konflikte auszutragen.

Wir und die FIFA haben in der bisherigen Testphase gesehen, dass diese Transparenz-Maßnahme gut funktioniert.

Lukas Brud über Stadiondurchsagen nach VAR-Entscheidungen

Wie ist der Stand bei Stadiondurchsagen nach VAR-Entscheidungen?

Wir und die FIFA haben in der bisherigen Testphase gesehen, etwa bei der U-20-WM oder der Frauen-WM im Sommer 2023, dass diese Transparenz-Maßnahme gut funktioniert. Wir werden die Testphase erweitern, in Mexikos 1. Liga wird es seit Saisonstart im Januar bereits praktiziert. Portugal hat das ebenfalls bereits eingeführt. Die meisten Verbände werden das aber wohl eher nicht mittten in der Saison starten. Es braucht Vorbereitungen in den Stadien, technische Stabilität und Schulung der Schiedsrichter. Es sollen ja keine Roboter-Ansagen werden, sondern kurze, authentische Erklärungen der Referees zur besseren Nachvollziehbarkeit, auch wenn naturgemäß nicht alle im Stadion einer Meinung sein werden. Und einen kleinen Entertainment-Faktor beinhaltet es ja durchaus auch.

IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud

IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud will Rudelbildungen rund um den Schiedsrichter eindämmen.  imago/GlobalImagens

Vergeudete Zeit soll auch bei Torhütern reduziert werden. Die Regel, dass Keeper den Ball nur maximal sechs Sekunden mit der Hand kontrollieren dürfen, gibt es schon lange, sie wird nur nicht angewandt.

Wir denken, dass die fällige Strafe, indirekter Freistoß im Strafraum, für eine Verletzung der Regel unverhältnismäßig ist. Wird der Ball streng genommen nur eine Sekunde zu lange gehalten, gibt es im Strafraum eine gute Torchance für den Gegner. Deshalb scheuen sich die Schiedsrichter, das zu ahnden. Das wiederum wird aber zu oft von Torhütern ausgenutzt. Daher erwägt das IFAB, eine andere Spielfortsetzung zu testen. Der Schiedsrichter soll zudem für alle sichtbar die Sekunden runterzählen, das wird die Keeper vermutlich auch vom Zeitspiel abhalten. Auch dieser Effekt soll in einer Testphase überprüft werden. Man darf das Thema aber auch nicht größer machen, als es ist.

Wie meinen Sie das?

Wenn man sich Einwürfe, Freistöße und Eckbälle anschaut, da geht immer wieder einige Zeit drauf. Es soll nicht unfair ausgenutzt werden, aber die Spieler brauchen im Spiel auch Pausen, man kann das Spiel nicht zu jeder Zeit mit Vollgas durchpeitschen. Das hat die Spielergewerkschaft FIFPro direkt bei uns hinterlegt, als es öffentliche Überlegungen gab, dass sich der Fußball den Wechsel zur effektiven Spielzeit überlegen solle.

Es soll wieder eine Anpassung der Handspiel-Regel für 2024/25 beschlossen werden. Worum geht es?

Es sollen lediglich die Reduzierungen der persönlichen Strafen bei Hand-Strafstößen analog zu Foulelfmetern angepasst werden. Also beim Verhindern einer klaren Torchance mit der Hand soll es statt Rot nur Gelb geben, wenn keine klare Absicht zum Abwehren des Balles erkennbar ist. Beim Verhindern einer aussichtsreichen Gelegenheit per strafbarem Handspiel soll es neben dem Strafstoß keine Karte statt Gelb geben, wenn der Spieler nicht klar ersichtlich den Ball absichtlich mit der Hand abgewehrt hat. An der Handspielregel selbst wird es aber keine Änderungen geben.

Interview: Carsten Schröter-Lorenz

Alle Weltfußballer seit 1991: Von Matthäus bis Messi