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Helge Payer: "Bei unseren Top-fünf-Torhütern kann ich würfeln, wen ich aufstelle"

"Prince of Wales" & "F***ing Goalkeeper"

Helge Payer: "Bei unseren Top-fünf-Torhütern kann ich würfeln, wen ich aufstelle"

Helge Payer sieht Österreich auf der Torhüter-Position gut aufgestellt.

Helge Payer sieht Österreich auf der Torhüter-Position gut aufgestellt. GEPA pictures

Herr Payer, war die Ernennung zum "Prince of Wales" so etwas wie ein Ritterschlag für Sie? Heutzutage bekommen nicht mehr viele Torhüter solche Beinamen.

WM-Qualifikation Play-offs - Halbfinale

Es war wirklich ein Ritterschlag für mich. Vor allem wegen einer Episode Jahre später. Ich war ja vier Jahre lang Tormanntrainer im ÖFB-Nachwuchs. Vor rund drei Jahren haben wir mit der U 19 in Wales gespielt, als mich im Aufzug des Teamhotels zuerst einer ganz genau anschaut und dann losbrüllt: "You are the f…ing goalkeeper, who saved three one-on-ones against me!". War’s der Craig Bellamy, der mit den Walisern im gleichen Hotel war. Wir haben dann viel Spaß miteinander gehabt und sind heute noch in Kontakt. Das Spiel ist also nicht nur mir bestens in Erinnerung geblieben. Aber wenn mich der Hans Krankl noch auf dem Spielfeld abgebusselt hat, kann’s ja wirklich nicht so schlecht gewesen sein.

Noch dazu, nachdem er nach der "irreregulären" Nordirland-Partie ja angekündigt hatte: "Mia schlog’n Wales zwamoi." Welches der zwei Wales-Spiele war Ihr besseres?

Das 1:0 daheim. Auswärts waren es, glaube ich, drei super Saves, daheim vier Tage später fünf oder sechs. Das waren wirklich zwei Karriere-Highlights für mich, an die ich mich gerne zurück erinnere. Aber da war ich absolut im Flow. So wie heute der FAC (lacht).

Damals standen zwei Legionäre in der Startelf, heute hat Franco Foda 16 Spieler aus den Top-fünf-Ligen im Aufgebot, Wales acht. Warum bleiben die Waliser trotzdem ein unangenehmer Gegner?

Die Waliser sind eine Mannschaft, die aufgrund ihrer Kompaktheit schwer zu bespielen ist. Vor allem daheim lassen sie wenig zu, nicht umsonst sind sie da lange ungeschlagen und haben viele Spiele mit 1:0 gewonnen, zuletzt in der WM-Qualifikation sogar gegen Belgien 1:1 gespielt. Die meisten Spieler spielen schon bei guten Vereinen und mit Bale und Ramsey haben sie zwei herausragende Spieler wie damals Giggs und Bellamy. Ich glaube also schon, dass sich auch Wales weiter entwickelt hat und man taktisch viel richtig machen muss, um dort zu gewinnen.

Kommen wir zu Ihrer Kernkompetenz, reden wir über die Torhüterfrage.

Es wird immer darüber geredet, aber haben wir ein Torhüter-Problem? Ich kann mich nicht erinnern, dass uns in den letzten Jahren ein Tormann ein Spiel verloren hätte. Gut, wir haben jetzt keinen Torhüter, der über sieben, acht Jahre die Nummer eins ist. Es ist vielleicht auch keiner absolute Weltklasse, aber welche Länder haben die? Deutschland, Italien, noch ein paar wenige. Aber der Rest hat so wie wir normale Torhüter.

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Es ist also egal, ob Bachmann oder Lindner spielt?

Nicht nur bei Bachmann und Lindner. Bei unseren Top fünf Torhütern kann ich würfeln, wen ich aufstelle. Bachmann spielt derzeit nicht bei Watford, aber hat er sich im Team schon etwas zu schulden kommen lassen? Lindner spielt in Basel gut, Pentz ist herausragend in Österreich, Fraisl macht bei Schalke sehr gute Figur.

Und die Matchpraxis, die wir Medien von einem Torhüter immer verlangen, ist die überbewertet?

Matchpraxis ist gleich Kopfsache! Das beste Beispiel ist Robert Almer, der hat gefühlt zwei Jahre bei seinen Klubs nicht gespielt, die Medien haben alle damit deppert gemacht, aber er hat trotzdem im Team seine Leistung gebracht. Oder Manuel Neuer. Der hat vor der WM 2018 nach seiner Verletzung vielleicht zwei Spiele bestritten. Jetzt kann man sagen, dass das vielleicht nicht sein bestes Turnier war, aber das lag sicher nicht an fehlender Matchpraxis. Es wird bei diesem Thema viel zu viel reininterpretiert. Ein Torhüter macht das nicht. Der stellt sich ins Tor und will alles halten. Es gehört aber heute viel mehr Mindset und Persönlichkeitsentwicklung dazu als früher. Der mentale Aspekt ist daher noch viel wichtiger, um am Tag X den idealen Leistungszustand erreichen zu können.

Sie haben angesprochen, dass Österreich heute keinen Stammkeeper hat, der wie früher Koncilia, Konsel oder Wohlfahrt jahrelang die Nummer eins im Team ist. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich glaube, das hängt stark mit den heutigen Medien zusammen. Wenn du heute einen Fehler machst, wirst du Wochen lang auf YouTube oder Facebook zerfetzt. Früher haben die Torhüter auch Fehler gemacht, aber es ist nicht so viel darüber geredet worden. Da hat man den Fehler einmal in der Fußball-Sendung im ORF gesehen. Jetzt gibt es ständig Diskussionen, die Trainer und Umfeld schon auch beeinflussen.

Wenn wir in unsere Bundesliga schauen, sehen Sie da einen modernen Torhüter, der die nächsten Jahre prägen könnte? Der schon genannte Sweeper-Keeper Pentz vielleicht?

Oh, da hat einer bei meinen Kommentaren aufgepasst! In Österreich ist Pentz fußballerisch sicher herausragend. Auch Niklas Hedl hat das bisher phänomenal gemacht, war in seinen bisherigen Spielen sehr ruhig und abgeklärt. Dennoch sollte man ihn nicht zu früh hochpushen und ihn schon im Rennen um einen Platz im Nationalteam sehen. Leitner und Radlinger spielen auch eine gute Saison. Als Torhüter musst du aber auch einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Bei uns hat, ohne das jetzt werten zu wollen, jeder Tormanntrainer eher sein Ding gemacht. Das kann gut oder weniger gut sein.

Helge Payer über die Torhüter-Ausbildung in Österreich

Der fußballerische Aspekt beim Torhüter wird immer wichtiger, reicht es überhaupt noch, "nur" ein guter Torhüter zu sein?

Ich glaube, bei diesem Thema muss man noch ein paar Schubladen leeren. Ich finde, wenn man von einem Torhüter verlangt, dass er sich am Aufbauspiel beteiligt, kann man ihn in diesem Bereich nicht mehr als Torhüter beurteilen, sondern muss ihn wie den elften Feldspieler sehen. Jeder Feldspieler macht Fehlpässe in einem Spiel. Selbst die besten kommen nur auf eine Passgenauigkeit von 85 Prozent, außer er heißt Toni Kroos, dann sind es 95. Also kann man einem Torhüter, der einen Fehlpass macht, ihm diesen nicht als Torhüter-Fehler ankreiden. Da muss meiner Meinung nach ein Paradigmenwechsel stattfinden.

Der ÖFB hat zuletzt Nachholbedarf in der Torhüter-Ausbildung zugegeben und wird in Zukunft mehr Augenmerk darauf legen. Hinken wir da wirklich hinterher?

Das wäre zu verallgemeinernd. Ich gIaube, dass sich der ÖFB da die Schweiz als Vorbild nimmt. Dort hat Patrick Foletti sehr gute Arbeit geleistet und sein Wissen weitergegeben, gewisse Richtlinien für die Torhüter-Ausbildung eingeführt, weshalb die Schweiz heute so viele gute Torhüter hat. Bei uns hat, ohne das jetzt werten zu wollen, jeder Tormanntrainer eher sein Ding gemacht. Das kann gut oder weniger gut sein. Wenn es da jetzt ein Mindestanforderung geben soll, ist das sicher zu begrüßen.

Als Co-Kommentator beim ORF sind Sie längst nicht mehr nur für Ihre Torhüterexpertise geschätzt, sondern bringen mit Ihrem Detail-Wissen oft selbst den Chef-Kommentator zum Staunen? Woher beziehen Sie diese Infos?

Von meinem Netzwerk. Ich habe im Laufe meiner vielen Jahre im Fußball viele Spezialisten und Experten kennengelernt. Etwa auch bei meiner Tätigkeit für DAZN, wo es Spezialisten für alle Ligen gibt. Wenn ich ein Spiel von Barcelona oder PSG kommentiere, rufe ich natürlich den Spanien- oder Frankreich-Experten an und informiere mich. Ich möchte den Zuschauern als ORF-Experte einen Mehrwert und nicht Blabla liefern. Auch solchen, die vielleicht nicht so fußballaffin sind. Deshalb bereite ich mich für ein Spiel auch acht bis zehn Stunden vor.

Abschließende Frage: Würden Sie Ihren Titel "Prince of Wales" denn abtreten, wenn wir durch eine überragende Torhüterleistung ins Play-Off-Finale aufsteigen?

Jederzeit! Ich freue mich über jeden guten Torhüter und wer immer in Wales auch spielt, er kann gerne fünf Elfer halten und mich in den Schatten stellen. Es geht ja nicht um mich, sondern um die jetzige Generation. Ich möchte nicht mehr daran gemessen werden, was ich geleistet habe, sondern daran, was ich heute und morgen tue. Wir sind schließlich da, um weiterzugeben!

Interview: Horst Hötsch