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Hamann im Interview: "Scholli, für dich ist das zu weit"

Ehemaliger Nationalspieler erzielte letzten Treffer im alten Wembley

Hamann im Interview: "Scholli, für dich ist das zu weit"

Erzielte den letzten Treffer im alten Wembley: Didi Hamann. 

Erzielte den letzten Treffer im alten Wembley: Didi Hamann.  imago images/Paul Marriott

Der erste Pflichtspiel-Torschütze im alten Wembleystadion: David Jack für die Bolton Wanderers im FA-Cup-Finale 1923 zum 1:0 beim 2:0-Sieg gegen West Ham. Der erste im neuen Wembley: James Constable für Kidderminster im FA Trophy Final beim 2:3 gegen Stevenage. Dazwischen schrieb auch der letzte Treffer im alten Wembley Geschichte. Für Deutschland, zum 1:0-Sieg im WM-Qualifikationsspiel in England, am 7. Oktober 2000. Torschütze: Didi Hamann.

Herr Hamann, war das eines Ihrer wichtigsten Tore?

Ja, es war schon wichtig. So viele habe ich ja nicht gemacht.

Klingt jetzt trotzdem nicht sehr euphorisch.

Weil wir ja diese WM-Qualifikationsgruppe damals nicht gewonnen haben, am Ende in den Play-offs gegen die Ukraine antreten mussten. Aber für unser Selbstvertrauen war es wichtig, denn wir hatten in einem Pflichtspiel lange keinen großen Gegner mehr geschlagen. Und fürs Land, fürs Selbstwertgefühl nach der zuvor enttäuschenden EM war es schon von Bedeutung.

Das ist schön für die Geschichtsbücher, für mich persönlich wirklich nicht.

Didi Haman über den geschichtsträchtigen Treffer 

Und wie war die Bedeutung für Sie persönlich, als Sie dann nach dem Spiel wussten, es war das letzte Tor in diesem großen Stadion?

Ehrlich gesagt: auch eher gering.

Echt, wieso?

Das ist schön für die Geschichtsbücher, für mich persönlich wirklich nicht. Auch wenn mich natürlich gerade die Engländer hin und wieder darauf ansprechen.

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Wie waren denn die Reaktionen der Engländer damals, weil Sie ja als Legionär dort spielten?

Ich war ja beim FC Liverpool, und die Fans dort haben ein etwas gespaltenes Verhältnis zur Nationalmannschaft. Denen war es also gar nicht mal so unrecht, und dass es dann mit mir einer von ihnen war, hat ihnen ganz gut gefallen, glaube ich.

Auf den TV-Bildern von damals scheint es so, als hätte zunächst jemand anderes schießen wollen.

Ja, erst kam Mehmet Scholl. Da habe ich gesagt: "Scholli, für dich ist das zu weit." Er war ein wunderbarer Freistoßschütze, aber eher etwas näher zum Tor, das waren ja gute 30 Meter. Der andere war Michael Ballack, er war damals noch sehr jung. Ich wusste zwar, dass er auch gut schießen konnte, aber ich wollte aus einem anderen Grund ausführen.

Es ging um den Sport, um Fußball. Das war herrlich.

Didi Haman über das alte Wembley

Nämlich?

Weil die Regel schon so war, dass der Schiedsrichter den Ball nicht mehr explizit freigeben musste, sofern er es nicht ausdrücklich anzeigt. Das war nicht der Fall, und ich sah, dass Englands Torwart David Seaman noch damit beschäftigt war, sich eine Mauer zusammenzustellen.

Also schoss ich schnell, weil da maximal zwei Leute im Weg standen, und die Wahrscheinlichkeit, an denen vorbeizukommen, war natürlich größer als an vier oder fünf Gegenspielern. Ich dachte mir: Zieh einfach mal ab, es hat ja den ganzen Tag geregnet. Der Keeper hätte ihn wahrscheinlich halten müssen, aber ich war froh, dass er drin war.

Wie oft hatten Sie zuvor in diesem Stadion gespielt?

Einmal: 1999 verlor ich mit Newcastle gegen Manchester United das FA-Cup-Finale. Das war das Jahr, in dem die Red Devils das Triple holten.

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Was verbinden Sie generell mit Wembley?

Ein historischer Ort. Das erste Mal bei diesem Spiel 1999 dorthin zu kommen, das war schon etwas Besonderes. Ein altehrwürdiges Stadion mit einer Riesengeschichte. Wenn man sich vorstellt, dass die Deutschen da 33 Jahre vorher das WM- Finale gespielt hatten, das hatte was. Das Stadion war alt, es war "verrucht", also da wurde ja wenig renoviert in all den Jahren in den Umkleidekabinen, aber das hatte etwas Ursprüngliches. Es ging um den Sport, um Fußball. Das war herrlich.

Es hat mit dem alten Stadion praktisch nichts mehr gemeinsam, wenn man ehrlich ist.

Didi Haman über das neue Wembley

Das neue Wembleystadion liefert ja auch einen Blickfang. Reicht es für Sie an den Mythos des alten heran?

Schwierig zu sagen. Ich war einige Male dort. Es hat mit dem alten Stadion praktisch nichts mehr gemeinsam, wenn man ehrlich ist. Wenn du da reingehst, könntest du auch gerade in Kapstadt, New York oder sonst wo stehen. Das ist schade. Aber ich verstehe, dass man den Ehrengast- bereich vergrößern wollte, um mehr Einnahmen zu generieren.

Wenn Sie Wembley in der Fußballhistorie insgesamt einordnen - steht es sogar über dem Maracana für Sie oder wo?

Im Maracana war ich leider nie. Wahrscheinlich ist es ein enges Rennen zwischen diesen Stadien. Aber wenn man diese altehrwürdigen Stadien alle durchgeht, würde mir keines einfallen, wohl auch nicht das Maracana, das an Wembley heranreicht. Wembley ist das bekannteste Stadion, ihm wohnt ein besonderer Mythos inne. In der Fülle haben nirgendwo so viele besondere Fußballspiele stattgefunden wie dort. Also ist Wembley die Nummer eins.

Dieses Interview erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom 24. April. Hier können Sie sich den kicker als eMagazine im Flex-Abo sichern.

Interview: Thomas Böker