Nationalelf

Gottfried Fuchs: Der verjagte Rekordtorjäger

Zum 50. Todestag erinnert sich eine Enkelin

Gottfried Fuchs: Der verjagte Rekordtorjäger

Seit 2017 wird alle zwei Jahre der "Jugendpreis Gottfried Fuchs" vergeben.

Seit 2017 wird alle zwei Jahre der "Jugendpreis Gottfried Fuchs" vergeben. imago images/Eibner

Monica Heller meldet sich aus Toronto. Sie schreibt, es gehe ihr nicht um Heldenverehrung, die habe ihr Großvater sowieso gehasst: "Er war ein bescheidener, etwas zynischer Realist und stand nicht auf Helden." Es gehe ihr darum, ein Gespräch am Laufen zu halten. Um aus der schrecklichen Geschichte zu lernen, die ihrer Familie widerfuhr …

Bis heute hält Fuchs zwei Bestmarken

Es ist eine Geschichte von Verfolgung und Flucht, von Verdrängen auf der einen und Wut auf der anderen Seite. Von grausamen Verbrechen und Jahrzehnten des Schweigens. Aber auch eine Geschichte davon, wie man sich nach all dem wieder näherkommen kann. Monica Heller ist eine Enkelin von Gottfried Fuchs, der als deutscher Nationalspieler bis heute zwei Bestmarken hält: Seine zehn Tore im Spiel gegen Russland (16:0) beim olympischen Turnier 1912 sind im DFB-Trikot ebenso unerreicht wie seine Quote von 13 Treffern in nur sechs Länderspielen. Der schlaksige, hoch aufgeschossene Angreifer wurde zudem 1910 als 21-Jähriger Deutscher Meister mit dem Karlsruher FV.

Der Erste Weltkrieg stoppte die fußballerische Karriere jäh, in den 1920er Jahren kam Fuchs als Teilhaber in der väterlichen Holzhandlung zu Wohlstand, er zog mit seiner Familie nach Berlin und spielte leidenschaftlich Tennis. Bis er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erst aus dem Tennisverein ausgeschlossen und schließlich in die Emigration getrieben wurde. Denn Fuchs war Jude. Über die Schweiz und Frankreich gelang ihm mit seiner Mutter, seiner Frau und den vier Kindern 1939 im letzten Moment die Flucht nach Kanada. In Montreal baute er sich eine neue Existenz auf und nannte sich Godfrey E. Fochs.

Fuchs und Hirsch waren enge Freunde

"Er war Deutscher, und dann wurde ihm sein Deutschsein genommen", beschreibt Monica Heller die Beziehung ihres Opas zu dem Land, das seinen Rekordtorjäger verjagt hatte: "Ein Typ, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hat, Deutschland bei den Olympischen Spielen in Stockholm vertreten hat. Man kann sich in vielerlei Hinsicht kaum jemanden vorstellen, der deutscher ist. Er war wütend, vor allem darüber, wie grausam und schließlich mörderisch der Karlsruher FV Julius Hirsch behandelt hat."

Gottfried Fuchs 

Ausnahmestürmer: Gottfried Fuchs im Trikot der deutschen Nationalelf und 1971 im Gespräch mit Pelé, als der mit dem FC Santos in Montreal spielte Verlag Die Werkstatt

Fuchs und Hirsch waren nicht nur die einzigen Nationalspieler jüdischen Glaubens in der Geschichte des DFB sowie Kollegen in der Meisterelf des KFV, sondern auch enge Freunde. Hirsch wurde im März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Fuchs überlebte, vergaß aber nicht. "Er sprach die ganze Zeit über Juller. Es ist ein Name, an den ich mich aus meiner frühesten Kindheit erinnere", berichtet Monica Heller. Ihr Großvater sei nach 1945 zwar "bei verschiedenen Gelegenheiten nach Deutschland zurückgekehrt, sagte aber, er würde nie nach Karlsruhe zurückkehren, weil Juller ermordet wurde und sie dabei geholfen haben".

Schicksal wurde  verdrängt

In Deutschland waren Fuchs und Hirsch während der NS-Zeit aus der Historie des Fußballs getilgt worden, ihr Schicksal wurde auch nach dem Krieg verdrängt. Einer der wenigen, die sich erinnerten, war Sepp Herberger. Für den Weltmeistertrainer von 1954 war Fuchs ein Jugendidol, das er "als kleiner Schulbub" spielen gesehen hatte und von dem er noch ein halbes Jahrhundert später schwärmte: "Er war einer der besten Fußballspieler seiner Zeit. In Spielauffassung und Stil vergleichbar mit Fritz Walter, war er wie dieser Spielmacher und Torjäger in Person. Das Innentrio seiner Mannschaft KFV hatte - mit dem damals gültigen Maßstab gemessen - Weltruhm. Fuchs war der strahlende Stern dieses Trios Fuchs-Förderer-Hirsch."

Herberger unterhielt seit 1955 einen Briefwechsel mit Fuchs, den der Publizist Werner Skrentny 2012 in der Biografie "Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet." veröffentlichte. Das Buch zeichnet auch den Lebensweg von Fuchs nach und deckt dabei einen erschreckenden Vorgang auf: Herberger schlug dem damaligen DFB-Vizepräsidenten Hermann Neuberger 1972 vor, den einzigen noch lebenden jüdischen Nationalspieler zu einem Länderspiel gegen die Sowjetunion ins Münchner Olympiastadion einzuladen. Dies würde "als ein Versuch der Wiedergutmachung willfahrenen Unrechts sicherlich (...) überall in Deutschland ein gutes Echo finden". Der DFB lehnte ab, die Begründung von Schatzmeister Hubert Claessen war perfide: "Die Mitglieder unseres Präsidiums meinen, dass ein Präzedenzfall geschaffen würde, der auch für die Zukunft noch erhebliche Belastungen mit sich bringen könnte."

Er war einer der besten Fußballspieler seiner Zeit. In Spielauffassung und Stil vergleichbar mit Fritz Walter, war er wie dieser Spielmacher und Torjäger in Person.

Sepp Herberger

Im Vorstand des DFB saß zu diesem Zeitpunkt Rudolf Gramlich, der einem SS-Totenkopfverband angehört hatte, zudem mit Hans Deckert und Degenhard Wolf zwei ehemalige Mitglieder der NSDAP. Herberger empfand die Absage als "einzige Enttäuschung", wie er an Fuchs schrieb. Die Nachricht erreichte den Brieffreund nicht mehr, er war am 25. Februar 1972 im Alter von 82 Jahren infolge eines Herzschlags verstorben. "Ich bin zutiefst dankbar, dass mein Großvater von dieser Ablehnung nichts mehr erfahren hat", betont Monica Heller, es sei eine "schockierende und feige Weigerung" vonseiten des Verbands gewesen.

"Unverständlich und sogar beschämend"

Auf Anfrage des kicker äußert sich der DFB zum Anlass von Fuchs' 50. Todestag nach fünf Jahrzehnten: "Welche Motive den DFB-Vorstand 1972 bewegt haben, dem Vorschlag von Sepp Herberger eine Absage zu erteilen, kann der DFB mit dem heutigen Kenntnisstand nicht beurteilen. Vor dem Hintergrund des Leids, das Gottfried Fuchs und seiner Familie angetan wurde, ist sie allerdings unverständlich und sogar beschämend. Eine umfassende Erinnerungskultur, einschließlich der historischen Aufarbeitung und der Erinnerung an die Opfer, setzte im Fußball insgesamt erst Ende der 90er Jahre ein. Aus heutiger Sicht: viel zu spät."

Die Medaille für den "Jugendpreis Gottfried Fuchs".

Die Medaille für den "Jugendpreis Gottfried Fuchs". imago images/Eibner

Wie aus dem Archiv des Verbands hervorgehe, stehe der DFB "mindestens seit 1999 im Austausch mit einzelnen Mitgliedern der Familie Fuchs". Nachdem Skrentnys Recherchen den Vorgang von 1972 ans Licht gebracht hatten, lud der DFB im Herbst 2012 zwei Enkel des Nationalspielers, Julien Heller und Eric Foch, zum Länderspiel gegen Schweden und zur Verleihung des Julius-Hirsch-Preises nach Berlin ein. Die drei baden-württembergischen Landesverbände vergeben seit 2017 alle zwei Jahre den "Jugendpreis Gottfried Fuchs" für Aktionen gegen Ausgrenzung. Die DFB-Kulturstiftung initiierte eine Ausstellung ("Zwischen Erfolg und Verfolgung") und ein Theaterstück ("Juller").

Das Deutsche Fußballmuseum veröffentlichte kürzlich ein Online-Lexikon verfolgter jüdischer Fußballer. "Es gibt inzwischen viele gute Initiativen, die auf das Schicksal verfemter und ermordeter jüdischer Sportpioniere aufmerksam machen", sagt Museumsdirektor Manuel Neukirchner, der eine weitere Aufarbeitung für nötig erachtet: "Es werden auch die letzten Zeitzeugen sterben. Erinnerungskultur wird daher noch wichtiger werden, als sie es schon jetzt ist." Es geht darum, das Gespräch am Laufen zu halten.

"Du wusstest, wo du standest und wie es ihm ging"

So, wie es auch Monica Heller möchte. Ihren geliebten Großvater hat sie in Erinnerung als einen Mann mit klarer Sprache, der Kinder nicht verhätschelte: "Du wusstest, wo du standest und wie es ihm ging." Die furchtbaren Erlebnisse im Ersten Weltkrieg hätten ihn geprägt, "gleichzeitig konnte er das Leben in vollen Zügen genießen - Tennis, gutes Essen, ein schönes Glas Cognac …" Monica Heller, geboren 1955 in Montreal, fühlt sich der einstigen Heimat ihrer Familie auf komplizierte Weise verbunden. Da sind die Geschichten ihrer Mutter von einer glücklichen Kindheit in Berlin und die vertrauten Klänge deutscher Kinderlieder.

Berufliche Verbindungen führten die Linguistik-Professorin mehrmals in die Bundesrepublik. Sie hat sogar einen deutschen Pass, den sie wie mehrere andere Familienmitglieder (wieder-) bekam. "Aber ich gestehe, dass ich zu nervös war, ihn zu benutzen, wenn ich nach Deutschland gekommen bin." Infolge von Skrentnys Recherchen zu Hirsch und Fuchs entstand ein Kontakt zwischen den Nachkommen der beiden Nationalspieler und Freunde. "Wir hatten keine Ahnung, dass die Familie von Julius überlebt hatte, bis ich aus heiterem Himmel eine E-Mail von seinem Enkel Andreas bekam", schreibt Heller. "Wir sind uns seitdem nahegekommen. Es ist eine wichtige Beziehung für mich. Andreas hat die Begegnung mit uns einmal als "Heilung" bezeichnet. Ich würde zustimmen."

David Bernreuther