Int. Fußball

Entscheidung in Italien: Wie Inter Mailand Meister wurde

Erster Scudetto seit elf Jahren

General statt Komparse: Wie Contes Inter Meister wurde - und was jetzt passiert

Führte Inter lautstark zum ersten Scudetto seit 2010: Antonio Conte (Mi.).

Führte Inter lautstark zum ersten Scudetto seit 2010: Antonio Conte (Mi.). Getty Images

Um 16.53 Uhr war es offiziell.

Meister auf dem Sofa, aber das war für Inter und Antonio Conte ja nichts Neues. Die Mailänder feierten ihren Scudetto 2008/09 im Trainingszentrum Pinetina, als Milan gegen Udinese verlor. Und Conte begoss inmitten seiner Juventus-Angestellten die Roma-Niederlage in Catania und den Titel 2013/14. An diesem Sonntag war es eben Atalantas 1:1-Remis, das Contes Internazionale-Bande vier Spieltage vor Saisonende den 19. Scudetto der Klubgeschichte bescherte.

Eine gewisse Ironie - und ein "Kunstwerk"

Bloß eine Frage der Zeit, bis sich auch die Mathematik einverstanden erklärte. Inter hatte die Tabellenführung am 22. Spieltag übernommen und gegen die unbeständige Konkurrenz seither nicht wieder abgegeben. Derweil entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, dass Antonio Conte die Diktatur der Juventus nach neun Scudetti in Folge durchbrach.

Der 51-Jährige hatte mit seinem Engagement 2011 das Meister-Abonnement der Turiner initiiert und kündigte es nun zehn Jahre später. Eine frische Brise der Abwechslung, die der Spannung der Serie A durchaus guttut. "Wir haben eine Herrschaft gestürzt, die neun Jahre hielt", jauchzte Conte mit Genugtuung und sprach von einem "Kunstwerk". "Es braucht Erfolge, um in die Inter-Geschichte einzugehen. Andernfalls bleibst du im gemütlichen Mittelmaß nur einer unter vielen." Das Konzept Durchschnitt führt er nicht im Wortschatz.

"Ein Fest, das es so noch nie gab"

Die offizielle Party wird am 23. Mai zum letzten Spiel gegen Udinese steigen. Seit Wochen schon arbeiten die organisierten Tifosi und versprachen "ein Fest, das es so noch nie gab. Wir werden Milano auch vom Himmel in Schwarz und Blau tünchen."

Inter verdiente sich den Titel nach mauem Saison-Beginn mit der besten Defensive und vor allem dem historischen Ligarekord von elf Siegen in Folge ab Rückrundenstart. Es wirkte nicht immer ästhetisch, wenn die Conte-Soldaten in Lauer- und Gegenstoß-Pose zu drei Punkten ratterten. Doch irgendwann sah der Coach ein, dass sein Personal eher zu Effizienz denn zu berauschenden Offensiv-Abenden geeignet war, und verordnete eine tiefere Kompaktheit.

Lauern und Kontern: Auch die Geschwindigkeit Achraf Hakimis (li.) war ein Trumpf für Inters Meisterschaft.

Lauern und Kontern: Auch die Geschwindigkeit Achraf Hakimis (li.) war ein Trumpf für Inters Meisterschaft. Getty Images

Keine Klinik und kein Zirkus

"Wenn wir schön aussehen wollen, gehen wir in eine Klinik zum Lifting", konterte Conte die Kritik lakonisch. Zurück zu den Basics. Ergebnis-Calcio, und wem das missfällt, der soll, wie der ehemalige Juve-Meistercoach Max Allegri mal anriet, zu mehr Spektakel eben den Zirkus besuchen. Zweifelsohne war der verbissene General Conte der Kardinal-Impuls in Inters Meister-Puzzle.

Seit dem Triple unter José Mourinho hatten die Mailänder elf Jahre auf eine Meisterschaft gewartet und zehn verschiedene Trainer in den Wahnsinn getrieben. Conte als legitimer Mou-Erbe, charakterlich passt das. Inter trägt nicht von ungefähr den selbst verpassten Beinamen "pazza" (verrückt), schließlich liefen selbst Erfolge selten ohne Polemik.

"Inter ist zerbrechlich und menschlich. Inter ist manchmal frigide, manchmal eine Hure, episch oder pathetisch", beschrieb Schriftsteller Michele Serra einmal. "Inter ist Widerspruch und Opposition." Interne Querelen gab es zwischen Conte und den chinesischen Eignern en masse.

Ist Conte Mourinho ähnlicher, als Inter das lieb ist?

Mourinho verließ Inter 2010 am Abend des Triumphs in der Champions League über die Bayern in Madrid und stieg in die Limousine von Real-Präsident Florentino Perez. Und auch Conte (Vertrag bis 2022) droht nach dem nationalen Erfolg mit einem vorzeitigen Abschied, sollten Garantien für die Zukunft seitens der Suning-Besitzer ausbleiben. Der erste ausländische Meister-Eigner Italiens besitzt ob der Pandemie unbequeme Liquiditäts-Probleme und ließ dem Team ausrichten, auf die Scudetto-Prämie besser zu verzichten.

So wird sich Conte in der nächsten Woche mit Präsident Steven Zhang (mit 29 Jahren jüngster Meister-Präsident der Nachkriegs-Geschichte) zur Klärung von realistischen Zielen und Möglichkeiten auf dem Sommer-Transfermarkt treffen. Der Chinese kehrte vergangenen Mittwoch nach sieben Monaten Abstinenz nach Mailand zurück und ließ bereits durchblicken, dass ob der Finanzlage Gehaltskosten gesenkt würden und Top-Neuzugänge utopisch seien.

Zeit zur Reflexion für Conte, der 2014 bei Juventus seinen Job wegen zu knausriger Investitionen für einen Angriff auf die Champions League hingeworfen hatte. "Man kann nicht mit zehn Euro in der Tasche ein Sterne-Restaurant betreten", sagte er damals. Die funkelnde Königsklasse verließ Inter drei Mal in Folge nach der Gruppenphase und Conte möchte dort nicht wieder als Komparse auftreten. Das ist Stoff für die nächsten Wochen. Jetzt erst einmal in ein Fest stürzen, das es so noch nie gab.

Oliver Birkner

Inter Mailand und zehn Schritte zum Scudetto