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Frauenfußball in Saudi-Arabien: "Die hatten nie Elf gegen Elf gespielt"

Ex-Torwarttrainerin der Nationalmannschaft erzählt

Frauenfußball in Saudi-Arabien: "Die hatten nie Elf gegen Elf gespielt"

Saudi-Arabische Fans bei der WM 2022: Bis 2018 durften Frauen im Emirat nicht in die Stadien.

Saudi-Arabische Fans bei der WM 2022: Bis 2018 durften Frauen im Emirat nicht in die Stadien. IMAGO/Ulmer/Teamfoto

Wenn man die erste Frauen-Nationalmannschaft eines Landes aufbaut, wird das gerne als Pionierarbeit bezeichnet. Doch als Kathrin Längert 2021 nach Saudi-Arabien kam, da war wichtige Pionierarbeit schon zuvor geleistet worden. "Bis ich in das Land kam, hatten schon viele Frauen viele Widerstände überwunden", sagt die ehemalige Bundesliga-Keeperin in der neuen Podcast-Folge "FE:male view on football".

Bis 2018 durften Frauen in Saudi-Arabien nicht einmal als Zuschauerinnen zu einem Fußballspiel, bis vor einigen Jahren war Frauenfußball im Land generell verboten. "Es wurde viel heimlich gespielt auf der Straße, mit einer Cap auf - immer auf dem Sprung, wenn die Sittenwächter kamen", erzählt Längert, die als Torhütertrainerin unter der deutschen Cheftrainerin Monika Staab nach Saudi-Arabien gereist war. Deren Aufgabe: Die erste Frauen-Nationalmannschaft Saudi-Arabiens gründen.

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400 Frauen habe man dafür gecastet, erklärt Längert im Podcast, die besten für die Nationalmannschaft ausgesucht. Gar nicht so leicht, denn offiziellen Spielbetrieb gab es noch gar nicht, allenfalls Futsal in der Halle oder Spiele auf dem Kleinfeld. "Das war das Spannende an der Aufgabe", berichtet die ehemalige Bayern-Torhüterin: "Die hatten nie Elf gegen Elf gespielt. Wir mussten anfangen, ihnen beizubringen, wie groß der Platz ist, wie man überhaupt einen Flugball spielt. So was machst du in der Halle ja nicht. Den Torhüterinnen mussten wir erklären, wie man Flanken fängt."

Im krassen Kontrast dazu stand jedoch laut Längert die Infrastruktur. "Die Bedingungen waren unfassbar professionell", sagt sie im Gespräch mit Anna-Sara Lange und Turid Knaak. "Man sieht, was machbar ist, wenn das Geld und der politische Wille vorhanden ist. Ich habe Bedingungen vorgefunden, die gab es bei der Frauen-Nationalmannschaft in Deutschland erst 2011 - 30 Jahre nach der Gründung."

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Entscheidend vorangebracht worden sei die Idee einer eigenen Nationalmannschaft in Saudi-Arabien durch einige ehemalige Spielerinnen, "die das mit viel Engagement und politischem Willen durchgesetzt haben, dass der Gründung zugestimmt wurde". Dass diese Öffnung in Saudi-Arabien stattfinden konnte, hatte aber auch ökonomische Gründe. "Saudi-Arabien hat erkannt, dass Öl eine endliche Ressource ist", erklärt Längert. "Es stimmt, dass das Land in einem großen Umbruch ist. Langfristig setzt man auf Dinge wie Tourismus, dadurch mussten sich viele Sitten den westlichen Gegebenheiten anpassen."

Die Aufregung finde ich teilweise geheuchelt.

Kathrin Längert

So waren auch die meisten der Spielerinnen eher westlich gekleidet, berichtet Längert, die den Job in Saudi-Arabien mittlerweile nicht mehr ausübt, im Podcast. "Im westlichen Blick wird es oft so runtergespielt, dass die da auf einem Kamel reiten, an den Herd gefesselt sind und von morgens bis abends Burka tragen."

Auch an der westlichen Perspektive auf den saudi-arabischen Männerfußball, der im vergangenen Transfersommer für zahlreiche Schlagzeilen sorgte, stört sie sich. "Die Kapitalismuskritik teile ich sofort, kein Spieler sollte 220 Millionen Euro kosten", sagt Längert. "Aber wenn man überlegt, dass Europa viele Jahre nichts anderes gemacht hat, als die besten Spieler aus Südamerika, Afrika und Asien zu kaufen, finde ich es geheuchelt, zu sagen: 'Wie können die nur nach Saudi-Arabien gehen?' Im Endeffekt gibt es ja nur einen größeren Player auf dem Markt, der mehr Geld bezahlen kann. Diese Aufregung finde ich teilweise geheuchelt, wir haben ja nichts anderes gemacht."

Andreas Rettig Deutschland , Hamburg , Millerntorstadion , Fussball , 2. Fussball Bundesliga , FC St Pauli - FC Heidenheim *** Andreas Rettig Germany , Hamburg , Millerntorstadion , Football , 2 Football Bundesliga , FC St Pauli FC Heidenheim

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Allerdings habe sie auch mit sich ringen müssen, um den Job in dem für Menschenrechtsverletzungen bekannten Land anzunehmen. "Die Frage war: Machst du dich damit zum Gehilfen für ein politisches System? Ich weiß ja auch nicht, wie nachhaltig das Engagement dort wirklich ist." So habe Längert vor dem ersten Spiel der Nationalmannschaft gegen die Seychellen Anfang 2022 "Angst gehabt, dass wir 0:14 verlieren und die machen den Laden nächste Woche dicht". Stattdessen gewann Saudi-Arabien mit 2:0, mittlerweile gibt es nicht nur eine Nationalmannschaft, sondern auch eine "Premier League der Frauen".

Könnte die am Ende durch die finanziellen Möglichkeiten ähnlich viele gute Spielerinnen nach Saudi-Arabien locken wie es derzeit die Männerliga tut? "Ich hoffe generell nicht, dass wir den gleichen Weg gehen wie die Männer", sagt Längert. "Der Markt bei den Frauen ist generell nicht so international, weil die wenigsten Frauen vom Fußball leben und nur schwer ihren Lebensmittelpunkt ändern können. Aber finanziell ist es denkbar."

In der neuen Folge "FE:male view on football" dreht sich alles um den Fußball in Saudi-Arabien. Neben dem Interview mit Kathrin Längert sprechen Anna-Sara Lange und Turid Knaak auch mit dem Ex-Bundesligaprofi Robert Bauer, der in diesem Sommer ebenfalls nach Saudi-Arabien wechselte. Die ganze Folge ist jetzt auf allen digitalen kicker-Kanälen und bei Spotify, Deezer, Google Podcasts, Podimo und iTunes verfügbar!

mib

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