Amateure

Drohende Querschnittslähmung: Ein Amateurfußballer erzählt

Sportunfall in der A-Klasse

Felix Hackner: Nur ein Augenblick zwischen Katastrophe und Glück

Felix Hackner musste den Weg nicht alleine gehen: Seine Teamkameraden standen ihm während der bangen Wochen zur Seite.

Felix Hackner musste den Weg nicht alleine gehen: Seine Teamkameraden standen ihm während der bangen Wochen zur Seite. privat

Den 15. Oktober wird er nicht vergessen. Es ist ein Freitag, aber dass das Wochenende vor der Tür steht, ist Felix Hackner egal, es hätte ein Mittwoch sein können, ein Montag, irgendeiner dieser Tage, die zuletzt alle gleich waren, an denen er im Rollstuhl vor dieses Gerät geschoben wurde. MOTOmed hieß es, man merkt sich einen solchen Namen, wenn so große Hoffnung auf ihm liegt, "wie ein Fahrrad mit Eigenantrieb", erklärt er. Wie all die Tage zuvor werden dort Elektroden an ihm befestigt, jagen, während er zusieht, wie seine tauben Beine unter ihm im Rhythmus der Pedale rotieren, Stromimpulse in seine Wadenmuskeln. Irgendwann setzt der Motor wie vorgesehen aus, jetzt müsste sein Körper anspringen, weitermachen unter dem Einfluss der Impulse. All die Tage zuvor hatte sich nichts gerührt. Diesmal ist es anders.

"Es war kein tragisches Foul"

Felix Hackners Geschichte ist eine von denen, die einen daran erinnern, wie beliebig und haarscharf das manchmal sein kann mit dem Schicksal. Geschichten, die häufig nicht gut ausgehen, denen man dann lauscht mit einem nachwirkenden Frösteln. Seine Geschichte startete am Tag der Deutschen Einheit, dem 3. Oktober, Felix wohnt direkt neben dem Sportplatz der DJK/SV Herrnsberg, mitten in Bayern, wie immer bei Heimspielen geht er zu Fuß rüber, trifft seine Kumpels, lacht in der Kabine, bevor es raus geht auf den Rasen. Das Spiel wird angepfiffen, eine Partie gegen die zweite Mannschaft der Sportfreunde Hofstetten, es geht schon um was, aber allzu verbissen sollte man den Fußball in der A-Klasse nicht nehmen.

Rund 25 Minuten sind gespielt, als es zu diesem Zweikampf kommt. "Es war kein tragisches Foul, eine ganz normale Sache, das habe ich dem Gegenspieler im Nachhinein auch gesagt", erinnert sich der damals 22-Jährige an die Sekunden: "Ich dreh mich, falle ganz blöd auf den Nacken. Ich habe mir gedacht: Irgendetwas stimmt nicht."  Er steht wieder auf, es macht ein Geräusch in seinem Hinterkopf, "wie ein Klettverschluss". Dann läuft er noch eine Minute weiter, doch seine Füße werden immer schwerer. Er muss sich auswechseln lassen, draußen hinlegen. "Der Puls ist hoch, es hat zu kribbeln begonnen."

Die Ärzte haben es ihm später so erklärt: Nach dem Sturz auf den Nacken ist Felix' zweiter Halswirbel rausgesprungen. Er konnte weiterlaufen, bis die Schwellung zu groß wurde und keine Informationen mehr durch den Spinalkanal passten. Nur ein Augenblick macht den Unterschied aus zwischen Katastrophe und Glück: Wäre er auf dem Fußballplatz nicht noch einmal aufgestanden, so wäre der Halswirbel wohl nicht wieder zurückgerutscht, hätte weiter und weiter Nerven abgedrückt mit dann wohl verheerenden Folgen. Man kümmert sich um ihn, ein Notarzt aus dem Dorf kommt, sieht, dass man den jungen Mann nicht auf dem normalen Wege abtransportieren kann, verlangt nach einem Hubschrauber. "Sie nehmen dir die Angst", sagt Hackner. Die Mittelchen täten ihr übriges. "Die Schmerzen zuvor wurden unglaublich", erinnert er sich.

"Ich hab' immer gedacht: Das kann gar nicht sein"

Felix Hackner, Student der Bautechnik, ist gelernter Zimmerer, ein pragmatischer junger Mann. Wenn er so erzählt, wie es weiterging, wie der Heli ihn ins Südklinikum nach Nürnberg bringt, wo er zwei Tage auf der Intensivstation liegt, bevor es ins Krankenhaus Rummelsberg geht, er im dortigen Querschnittzentrum seinen 23. Geburtstag erlebt, dann klingt seine Stimme nüchtern. Er konnte seine Beine nicht mehr spüren, das Gefühl wollte nicht zurückkommen, und eine solche Sache, hätten die Ärzte ihm vermittelt, gehe stets in zwei Extremen aus: Ganz oder gar nicht. Heißt: Entweder er werde wieder vollends hergestellt, oder er werde nicht wieder laufen können. "Es ist ein Vorteil, wenn du jung bist und sportlich. Außerdem bin ich Zimmerer, bin am Rücken stabil. Und hatte zuvor schon mehrere Knie-OPs, kann mit dem Rumliegen also gut umgehen", sagt er und klingt dabei ein wenig so, als spräche er nur über eine weitere lästige Verletzung. In den Tagen im Querschnittzentrum, sagt er außerdem, habe er angefangen, nach Mono-Skis zu schauen, nach Handbikes; man solle es nicht falsch verstehen, schiebt er nach, er habe sich nicht abgefunden, er wollte nur schauen, was es denn so gebe.

Aber wie war das mit der Angst? Eine drohende Querschnittslähmung ist für jeden Menschen, egal welchen Alters, eine Katastrophe. Um die ganze Tragweite dieses Schicksals zu erahnen, muss man wissen: Felix Hackner, 23 Jahre alt, ist nicht nur Fußballer. Auf seinem Facebook-Profil sieht man ihn an Gipfelkreuzen lehnen, an Bergseen stehen, beim Wandern jenseits der Baumgrenze. Er habe erst im vergangenen Jahr einen 52 Kilometer-Berglauf absolviert, erzählt er, in neun Stunden und sechs Minuten, sei auf Platz 148 von 2000 gelandet. Auch Mountainbike fährt er, Alpencross. Für einen solchen jungen Mann steht nicht nur das Gehen-Können auf dem Spiel, es geht um Lebensinhalt, Sinn. Und tatsächlich: Der Pragmatismus drang wohl nicht allzu tief in sein Innerstes. "Ich hab immer gedacht: Das kann gar nicht sein."

Grußbotschaft an den Mitspieler

"Wenn was ist, dann steht eine Mannschaft hinter dir": Das Schicksal ihres Kollegen hat die ganze Liga aufgewühlt. privat

Wie sie sich in Rummelsberg um ihn kümmern, gibt ihm Kraft: Pfleger, Ärzte, Therapeuten, "das ist wirklich krass organisiert, einfach super, was die treiben", sagt Felix. Auch die Mitspieler sind präsent, "jeder Einzelne hat sich bei mir gemeldet", deswegen sei ein solcher Mannschaftsport einfach anders als die Einzeldisziplinen, die er betreibt, sei etwas Besonderes: "Wenn was ist, dann steht eine Mannschaft hinter dir." 

"Da findet man keinen Vergleich"

Und dennoch: Diese entscheidende Wegstrecke, die muss er alleine vorwärtskommen. Und er schafft sie, erfolgreich: An diesem 15. Oktober, als das MOTOmed ausgeht und sich alle Blicke auf seine Waden richten, spürt er etwas, dort unten, in seinen Beinen. Der Muskel hat weitergemacht und Felix auch, ab diesem Moment den ganzen Tag. "Bis in die Nacht", so erzählt er, habe er versucht, immer wieder anzuspannen und wieder zu entspannen, am liebsten hätte er gar nicht mehr aufgehört. "Und am Freitagnachmittag bin ich das erste Mal gestanden."

Wie war er, der Moment, in dem er wieder etwas gespürt habe? "Da findet man keinen Vergleich." Unbeschreiblich auch das Gefühl, als er das erste Mal den Boden wieder an den Druckpunkten der nackten Fußsohlen gespürt habe - und heute, keine zwei Wochen später, ist es fast schon wieder so, als ob nie etwas gewesen wäre. "Saugut" gehe es ihm, sagt er, er sei gerade in Aufbaubehandlung: "Ich muss zusehen, dass ich die Waden wieder hinkriege. Die sind echt traurig."

Jan Mauer