DFB-Pokal

Fast 70 Jahre später: Rot-Weiss Essen hadert mit Rahns schwerem Erbe

RWE kann nicht an vergangene Erfolge anknüpfen

Fast 70 Jahre später: Essen hadert mit Rahns schwerem Erbe

Noch heute steht die Statue von Helmut Rahn (li.) an der Hafenstraße. Seine Erben machen mit den Pokalerfolgen auf sich aufmerksam.

Noch heute steht die Statue von Helmut Rahn (li.) an der Hafenstraße. Seine Erben machen mit den Pokalerfolgen auf sich aufmerksam. imago images

Bis heute steht die Statue des Weltmeisterstorschützen von 1954, Helmut Rahn, vor dem Stadion an der Hafenstraße. Auch Frank Mill, Horst Hrubesch oder Klub-Original Willi "Ente" Lippens - sie alle liefen für den ganz besonderen Klub aus dem Stadtteil Bergeborbeck auf. Noch immer kamen vor dem pandemiebedingten Zuschauerausschluss deswegen regelmäßig zehntausend Fans zu den Spielen ihres RWE. Nur eben in der Regionalliga West, weit entfernt von Glanz und Gloria der Vergangenheit.

"Der Verein entfaltet immer noch eine unglaubliche Wucht", betätigt Essens Vorstandschef Marcus Uhlig. RWE atmet Tradition und die großen Erfolge aus der Zeit Rahns. Nicht von ungefähr gelangen die beiden großen Titelgewinne in den 1950er Jahren jeweils ein Jahr vor und ein Jahr nach dem deutschen Weltmeistertitel 1954, dem Wunder von Bern. Schon 1953 holte die Mannschaft aus dem Ruhrgebiet den DFB-Pokal, das wichtige und entscheidende 2:0 markierte eben jener Rahn.

Nachfolger bereiten Herzschmerz

Nur ein Jahr später schoss er mit dem Siegtreffer im WM-Finale gegen Ungarn eines der wichtigsten Tore der deutschen Fußballgeschichte. Und 1955 komplettierte der gebürtige Essener seine Titelsammlung schließlich mit einem Sieg gegen den mit weiteren Weltmeistern wie Fritz Walter und Horst Eckel gespickten 1. FC Kaiserslautern im Endspiel um die deutsche Meisterschaft.

Seit 2004 steht der 2003 verstorbene legendäre Rechtsaußen in Bronze gegossen vor dem Stadion seines Herzensklubs, doch die jüngere Vergangenheit seiner Nachfolger hätte ihm wohl Herzschmerz bereitet. Zwar stieg RWE in den 1960er und 1970er Jahre gleich dreimal in die Bundesliga auf, dauerhaft halten konnte sich aber keine Mannschaft. Über die Jahre strauchelte RWE immer wieder auch wirtschaftlich und musste allein Anfang der 1990er Jahre zwangsweise aus der 2. Liga absteigen. Verrückt: Obwohl Rot-Weiss wegen manipulierter Unterlagen bei der Lizenzierung 1994 schon als Absteiger feststand, rückte das Team erst unter Jürgen Röber und später unter Wolfgang Frank bis ins Pokalfinale in Berlin vor - verlor aber 1:3.

Dass wir nicht von der Stelle kommen, schwebt wie ein Fluch über dem Klub.

Essens Vorstandschef Marcus Uhlig

Von der Insolvenz 2010 erholte sich der Klub dann nicht mehr. RWE steckt seit mehr als einer Dekade in der 4. Liga fest. Und über allem schwebt die glanzvolle Vergangenheit, während die aktuelle Mannschaft in Wegberg-Beeck und Wiedenbrück um den sportlichen Aufstieg kämpft. Zwar gehört der Verein mit Abstand zu den professionellsten und finanziell Stärksten Klubs außerhalb des Profibereichs in Deutschland. Doch gebracht hat das wenig. "Dass wir nicht von der Stelle kommen, schwebt wie ein Fluch über dem Klub", klagt Uhlig.

Ausgerechnet in der Corona-Saison 2020/21 soll das alles anders werden. Die gewaltige Fanbasis, oft Fluch wie Segen zugleich, kann nur am Fernseher mitverfolgen, wie ihr RWE 27 Pflichtspiele am Stück ungeschlagen blieb. Der Lohn ist neben Rang 2 in der Liga auch das Viertelfinale im Pokal und das Spiel gegen Holstein Kiel am Mittwochabend (Anpfiff 18.30 Uhr, LIVE! bei kicker). So weit kam der Klub seit dem Finaljahr 1994 nicht mehr. RWE drängt mit aller Macht zurück in den Profibereich und profitiert unter anderem davon, dass Fan und Mode-Millionär Sascha Peljahn einen siebenstelligen Betrag zur Verfügung stellte.

Balsam für RWE-Seele

Rahns Erben machen endlich wieder auf sich aufmerksam und verlieren gleichzeitig nicht die Bodenhaftung. Der Aufstieg steht - trotz des Pokals - bei RWE über allem anderen. Trotzdem sind die Erfolge Balsam auf die lange geschundene RWE-Seele. Das würde wohl auch den großen RWE-Patron Helmut Rahn freuen. Zwar steht die lebensgroße Statue in Pandemiezeiten meist alleine auf dem Vorplatz des Stadions in Essen. Doch angesichts des Aufschwungs seiner Erben dürfte frei nach Weltmeister-Reporter Herbert Zimmermann eines klar sein: "Aus dem Hintergrund müsste Rahn jubeln ..."

Jim Decker