Nationalelf

Fast jeder Schuss ein Gegentreffer: Was Daten über das EM-Aus verraten

Analyse von Defensive, Offensive und Taktik

Fast jeder Schuss ein Gegentreffer: Was Daten über das EM-Aus verraten

Harry Kane überwindet Manuel Neuer.

Harry Kane überwindet Manuel Neuer. Getty Images

Die Taktik

Löw ließ seine Elf in einem 3-4-2-1 agieren. Vor allem das rechte und linke Mittelfeld sollte dabei eine wichtige Rolle spielen. In der Offensivbewegung sollten die Angreifer unterstützt und ein Übergewicht auf den Außenbahnen erzeugt werden. Wenn die Mannschaft verteidigt, dann sind die äußeren Mittelfeldspieler dazu da, die Defensive zu unterstützen. So wird aus einem 3-4-2-1 in der Offensivbewegung ein 3-2-2-3 und in der Verteidigungsbewegung ein 5-2-2-1. Zum ersten Mal kam diese Formation in der Nationalelf beim Testspiel gegen Dänemark (1:1) am 2. Juni zum Einsatz.

Doch es gab offensichtliche Schwächen im System. Obwohl Deutschland in jedem Spiel dominant begann, erzielte der Gegner stets das erste Tor. Die taktische Feinjustierung fehlte vor allem in der Rückwärtsbewegung, die nötigen Automatismen griffen zu selten, so dass die Löw-Elf letztlich leicht zu knacken war. Auch offensiv blieb der erwünschte Effekt meist aus, echte Überzahl und dadurch herausgespielte Chancen waren Mangelware.

Kimmich und Gosens - allein auf verlorenem Posten

In der Startelf der DFB-Auswahl für das Achtelfinale spielt nicht einmal die Hälfte der Spieler das System auf Vereinsebene. Zwar kannte Gosens seine Position in der Nationalelf bestens aus Bergamo, doch bei Atalanta wird der Linksfuß oft hinter der Abwehrkette des Gegners angespielt, um dann mit gefährlichen Hereingaben den Gegner auszuhebeln. Breit gestaffelte Außenverteidiger verhinderten, dass Gosens und Kimmich in den Rücken der gegnerischen Abwehr kamen. Das Resultat: Nur magere 4,25 Hereingaben pro Spiel standen für das Duo in allen vier EM-Partien zu Buche, wovon nur 35 Prozent einen Abnehmer fanden.

Die Abwehr: Schlecht oder nur schlecht geredet?

Von den drei eingesetzten Innenverteidigern - Mats Hummels, Matthias Ginter und Antonio Rüdiger - hat lediglich der Chelsea-Abwehrmann zuletzt im Verein dauerhaft in einer Dreierkette gespielt. Prinzipiell hatte die deutsche Defensive bei der EM aber nicht viel in diesem Kerngebiet zu tun, denn das Löw-Team hatte im Schnitt 62 Prozent Ballbesitz und wurde in dieser Hinsicht nur von den Spaniern übertroffen. Zudem wurden nur 6,25 Schüsse pro Spiel auf das Tor von Keeper Manuel Neuer abgegeben, kein EM-Team ließ weniger Chancen zu. Die Schüsse, die auf das Tor von Neuer kamen, konnte man an genau zwei Händen abzählen - ungünstig nur für die deutsche Elf, dass von den zehn Versuchen sechs den Weg ins Netz fanden.

Sechs von zehn waren drin: Die Schüsse auf das Tor von Manuel Neuer.

Sechs von zehn waren drin: Die Schüsse auf das Tor von Manuel Neuer. kicker

Dass die Gegner so effizient im Torabschluss agieren konnten, hatte vor allem damit zu tun, wie die Nationalmannschaft spielte - sehr dominant. Das bezieht sich nicht nur auf den Ballbesitz, sondern auch auf die sehr hoch stehende Abwehrreihe. Im Schnitt stand diese 46,27 Meter vor dem eigenen Tor (bei einer Spielfeldlänge von 100 Metern). Bei diesem Ansatz soll der Gegner früh in den Angriffsbemühungen gestört werden, doch das macht alles auch anfällig für Konter - und die Konterabsicherung hat bei der DFB-Elf weniger gut funktioniert. Beispielhaft dafür das 1:0 der Portugiesen. Die Zuordnung war nicht gut, die Außenpositionen nicht ausreichend abgesichert.

Die Offensive - Qualität der Chancen

Der Offensivplan war klar. Ball auf die Außen verteilen, Hereingabe und ein sicherer Abschluss. Qualität statt Quantität schien hier die Devise. Der durchschnittliche "expected-Goals-Wert" pro Schuss war 0,13 - Spitzenwert des Turniers. Schüsse von außen waren dabei selten. In vier Spielen schloss die deutsche Offensivreihe nur zehnmal von außerhalb des Strafraums ab - fünfmal davon aus dem Spiel heraus. Die durchschnittliche Distanz für einen Abschluss lag deswegen bei 13,4 Metern - ebenfalls Bestwert des Turniers.

Alle Schüsse der DFB-Auswahl auf das gegnerische Tor bei dieser EM.

Alle Schüsse der DFB-Auswahl auf das gegnerische Tor bei dieser EM. kicker

Auch in Sachen Standards waren die Deutschen gefährlicher als es so manch einer vermuten würde. In Erinnerung ist natürlich der Eckball von Sané gegen Ungarn, der im Aus auf der gegenüberliegenden Spielfeldseite landete - und natürlich auch die Bilanz von null Toren nach ruhenden Bällen. Dennoch hatten die Freistöße von Toni Kroos & Co. einen "expected-Goals-Wert" von 0,38 - und über 50 Prozent der Hereingaben brachten einen deutschen Nationalspieler in Abschlussposition.

Diese Werte lesen sich nicht schlecht, die entscheidenden Zahlen aber lauten: nur ein Sieg aus vier Spielen, zwei verdiente Niederlagen und ein glückliches Remis - bei einem Torverhältnis von 6:7. Damit einhergeht dann auch trotz Platz zwei in der Hammergruppe F ein letztlich enttäuschendes Achtelfinal-Aus gegen England.

Franziskus Heyne