Europa League

Falsche Schachzüge und ein effektiver Zerstörer: Glasners Fazit fällt zwiespältig aus

Eintracht nun sechs Pflichtspiele ohne Sieg - Hinteregger angeschlagen

Falsche Schachzüge und ein effektiver Zerstörer: Glasners Fazit fällt zwiespältig aus

Tribünengast: Oliver Glasner sah das Spiel der Eintracht aus ungewohnter Perspektive.

Tribünengast: Oliver Glasner sah das Spiel der Eintracht aus ungewohnter Perspektive. imago images/Jan Huebner

Der in den Tagen zuvor propagierte Plan, Fenerbahce mit einer intensiven Spielweise quasi zu erdrücken, verkehrte sich zunächst einmal ins Gegenteil. Gerade in den ersten 20 Minuten war vielmehr Frankfurt der Gangart des türkischen Erstligisten nicht gewachsen. Taktisch, fußballerisch und physisch zeigten sich die Gäste da auf frappierende Art überlegen. "Wir haben sehr schwer ins Spiel gefunden, waren sehr nervös", räumt Trainer Oliver Glasner ohne Umschweife ein, "das 0:1 war dann auch völlig verdient". Es sei "hart gewesen für mich da oben, aber auch für die Jungs auf dem Platz", gesteht der Fußballlehrer, der die Partie wegen seiner UEFA-Sperre aus einer Stadionloge verfolgen musste.

Der Schachzug mit Durm und da Costa ging nicht auf

Es war eine Phase, die noch einmal besonders deutlich machte, woran es Glasners Eintracht nach wie vor fehlt: Abstimmung in der Offensive, wo weiterhin viel individuelles Stückwerk regiert. Beispielhaft, dass sich etwa Neuzugang Sam Lammers wiederholt im Abseits bewegte, als er ins Aufbauspiel einbezogen werden sollte. "Man merkt die Abstimmungsprobleme", bestätigt Glasner, "wir haben oft den falschen Zeitpunkt für die Anspiele gewählt".

Ebenso diskutabel bleiben das generelle Abwehrverhalten, die Konterabsicherung sowie die Viererkette im speziellen. Ohne den verletzten Linksverteidiger Christopher Lenz hatte sich Glasner anders als zunächst angedeutet gegen eine Rückkehr zur Dreier-Deckung entschieden. Sondern lieber Rechtsverteidiger Erik Durm nach links gezogen und auf der gegenüberliegenden Seite Danny da Costa eine neue Chance gegeben. Dass diese Schachzüge aufgegangen wären, lässt sich nicht behaupten. Beide Außenverteidiger hatten defensiv wie im Aufbauspiel sichtliche Schwierigkeiten, vor denen auch Glasner nicht die Augen verschloss: "Danny hatte ein paar Wochen keine Spielpraxis, Erik hat auf der falschen Seite gespielt."

Hinteregger wirkt als Abwehrchef überfordert und ist fraglich

Gleichwohl betont der Coach:  "Es war nicht das Problem des Systems, sondern wie wir es umgesetzt haben." Wohl wahr. Doch die Umsetzung bleibt nun mal der einzig relevante Gradmesser. Unabhängig von den Außenverteidigern wirkte das Defensivgebilde insgesamt in entscheidenden Momenten nicht souverän. Die Szene, die zum späten Elfmeter für Fenerbahce und damit um ein Haar zu einer ganz bitteren Eintracht-Niederlage führte, kommentiert Glasner so: "Da verteidigen wir schlecht, attackieren nicht raus, geben die Tiefe her."

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Speziell Djibril Sow, der seinen Gegenspieler laufen ließ, und laut Glasners Einschätzung auch Durm sahen in dem Moment nicht gut aus. Gleiches gilt aber, wie in der Anfangsphase, ebenfalls für Kapitän Martin Hinteregger. Der Österreicher wirkt mitunter passiv bzw. schlecht orientiert, jedenfalls zu weit weg von den eigentlichen Brennpunkten und somit als Abwehrchef überfordert. Gegen Fenerbahce war er zudem wegen einer Schulterblessur in der Endphase gehandicapt. Was das für seine Einsatzfähigkeit am Sonntag in Wolfsburg bedeutet, soll sich im Laufe des Freitags herausstellen.

Starker Jakic ist auf Anhieb ein Fixpunkt

Festzuhalten bleibt freilich ebenfalls: Trotz der genannten Kritikpunkte ist längst nicht alles schlecht bei der Eintracht. "Ich muss den Spielern ein großes Kompliment machen, wie sie sich gemeinsam mit den Fans von Minute zu Minute zurückgekämpft haben ins Spiel", stellt Glasner nachvollziehbar heraus. Und: "In der zweiten Halbzeit haben wir es geschafft, Fener wegzuhalten von unserem Tor. Insgesamt hatten sie eine Passquote von nur 69 Prozent, das kommt nur gegen die wenigsten Gegner vor."

Als effektiver Zerstörer des gegnerischen Spielaufbaus stach insbesondere Kristijan Jakic heraus, der von der Doppelsechs aus zugleich auch immer wieder starke Impulse für die Offensive setzte. Nicht zuletzt mit sehenswertem Chip-Ball auf Vorlagengeber Filip Kostic beim Angriff zum 1:1-Ausgleich. Der kroatische Neuzugang ist so auf Anhieb ein Fixpunkt, wie Glasner bestätigt, "auch wenn ich eigentlich ungern einen Spieler heraushebe. Und es hat mir gefallen, dass er sich mit dem einen oder anderen Gegner angelegt hat, man darf sich nicht alles gefallen lassen."

Der Bembel bleibt halbvoll - aber Moral alleine reicht nicht

Einen Schritt nach vorne bewältigte letztlich auch Lammers dank seiner Torpremiere, die ihm Selbstbewusstsein verleihen und - so die allgemeine Hoffnung - damit auch spielerisch Auftrieb geben dürfte. Abschlussqualitäten wies der Niederländer zudem mit einem zweiten Treffer nach, der indes wegen Abseitsstellung von Assistgeber Daichi Kamada zurückgenommen wurde.

Aufgrund der zweiten Halbzeit wäre ein Frankfurter Sieg letztlich gar nicht unverdient gewesen. Ohne Kevin Trapps finale Elfmeter-Parade aber würde wohl schon eine gewisse Alarmstimmung herrschen. "Das wäre ein heftiger Nackenschlag gewesen", sagt auch Glasner mit Blick auf die um Haaresbreite vermiedene Niederlage. So bleibt der Bembel in der Mainmetropole nach sechs Pflichtspielen ohne Sieg vorerst noch halbvoll. "Ich sehe uns in vielen Aspekten auf einem guten Weg", darf der Coach aktuell bilanzieren, "die Mannschaft ist physisch gut, sehr, sehr charakter- und willensstark".

Ebenso richtig ist freilich die Feststellung: "Wir haben noch viel Luft oben und viel Arbeit vor uns, was die Automatismen angeht: in der Offensive wie in der Defensive." Genau darüber wird sich höchstwahrscheinlich der Saisonverlauf entscheiden. Moral alleine dürfte auf Dauer nicht reichen. 

Thiemo Müller