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Erst der Tiefschlag, nun Olympia? Das Nationalteam und die große Frage

Zuletzt präsentierte die DFB-Auswahl zwei Gesichter

Erst der Tiefschlag, nun Olympia? Das Nationalteam und die große Frage

Nach wie vor birgt der DFB-Kader um Vivien Endemann, Giulia Gwinn, Merle Frohms, Sjoeke Nüsken und Laura Freigang (v. li.). reichlich Qualität.

Nach wie vor birgt der DFB-Kader um Vivien Endemann, Giulia Gwinn, Merle Frohms, Sjoeke Nüsken und Laura Freigang (v. li.). reichlich Qualität. IMAGO/Schüler

Wenige Stunden sind es noch, bis der Olympia-Traum wirklich Wirklichkeit sein könnte. Wenn die DFB-Elf am Freitagabend in Lyon (21 Uhr, LIVE! bei kicker) auf Frankreich trifft, ergibt sich die erste Chance, die Zulassung zu erhalten. Verlöre sie im Nations-League-Halbfinale, bliebe immer noch das Spiel um Platz 3 gegen Spanien oder die Niederlande, um das ersehnte Ticket für die Sommerspiele in Paris zu ziehen.

Zwei Matchbälle sind es also, eine durchaus komfortable Situation. Fragt sich nur, wie weit diese Mannschaft vor dem hochkarätig besetzen Final Four wirklich ist. Gewiss, die primäre Aufgabe von Interimsbundestrainer Horst Hrubesch war es, das verunsicherte Team aufzurichten und nach dem 2023er WM-Aus in der Gruppenphase die nun anstehenden Nations-League-Finalduelle zu erreichen.

Women's Nations League, Halbfinale

Das ist gelungen. In der Spur ist diese Mannschaft allerdings längst nicht. Schaut man sich allein den vergangenen Lehrgang Anfang Dezember an, wird das offensichtlich. Da schwankte sie einmal mehr zwischen den Extremen, zeigte einmal mehr ihre zwei Gesichter.

Gegen Dänemark beim nicht perfekten, aber überzeugenden 3:0 gelang es ihr von Beginn an, das Heimpublikum in Rostock zu emotionalisieren. In vielen Phasen präsentierte die Mannschaft die nötige Wucht, Intensität und Überzeugung. Da glückten Tempoverschärfungen und Durchbrüche auf den Außen (wie beim 1:0), da wurde die Stärke im Offensivkopfball wieder offensichtlich (wie beim 1:0 und 2:0), und da gelangen Gegenpressing-Aktionen (wie beim 3:0). Wenige Tage später beim 0:0 in Wales indes konnte Hrubesch nur mit dem Kopf schütteln.

Die DFB-Elf offenbarte in Wales vielerlei Probleme

Sein auf vier Positionen verändertes Team quälte sich da durch die 90 Minuten. Es habe sich, kritisierte der Interimscoach, das Spiel aus der Hand nehmen lassen, sei hinterhergelaufen. "Wir hatten Glück, dass wir zur Pause nicht 0:2 zurücklagen." Mit dem teils hohen Pressing der Waliserinnen kam die Mannschaft - zum wiederholten Mal - nicht wirklich klar. Zudem tat sich die ideenlose DFB-Elf - zum wiederholten Mal - schwer, Torchancen zu kreieren.

Nia Kuenzer (DFB, Sportdirektorin Frauenfussball),

GER, DFB, Fussball Nationalmannschaft Frauen, Pressegespraech, DFB Campus, 21.02.2024

Foto: Eibner-Pressefoto/Florian Wiegand

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Erstens haperte es am Übergang ins letzte Drittel und am Spiel in den Strafraum - mal stimmte die Staffelung nicht, mal waren die Versuche schlicht zu ungenau oder uninspiriert. Zweitens wurden die wenigen Umschaltgelegenheiten fahrig ausgespielt. So ergab sich ein Bild, das zumindest teilweise den zwei WM-Gruppenspielen 2023 gegen Kolumbien (1:2) und Südkorea (1:1) ähnelte: Deutschland besaß häufig den Ball, doch wusste nicht viel damit anzufangen.

Ging der flankenlastige Ansatz nicht auf, dann fehlte in den vergangenen Monaten allzu oft eine sinnige Alternativlösung. Dass sich die Nationalmannschaft - und das war gegen Dänemark und Wales ebenfalls ein Thema - bei Standards verwundbar zeigt, kam noch erschwerend hinzu. In der einen Situation passierten simple Stellungsfehler (wie auch gegen Kolumbien), in der anderen mangelte es schlicht am konsequenten Zupacken und Dagegenhalten.

Im DFB-Aufgebot steckt nach wie vor reichlich Qualität

Also: Wie weit ist dieses Team? Hrubesch gibt sich schon seit Wochen grundoptimistisch, stärkt die Elf öffentlich. Es gelte, das eigene Können abzurufen, dann werde die Olympia-Mission klappen, sagte er nun vor der Partie in Lyon. "Wir sind in der Lage, selbst zu bestimmen, was passiert. Wir starten mit der Einstellung, unser Spiel zu machen." Quasi gegen alle Zweifel. Und sicher, er hat recht: Auf dem Papier sind die Fähigkeiten, die es braucht, durchaus gegeben.

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Mit Merle Frohms steht eine Top-Torhüterin zwischen den Pfosten. Im Abwehrzentrum besitzt das DFB-Team Klasse und Erfahrung mit Kathrin Hendrich sowie Marina Hegering, die in Wales als Aufbauspielerin merklich fehlte. Auf der rechten wie linken defensiven Außenbahn können Giulia Gwinn und auch Sarai Linder anschieben. Im Mittelfeldzentrum stehen mit Lena Oberdorf, Sjoeke Nüsken, Sara Däbritz und Elisa Senß Alternativen mit unterschiedlichen Profilen bereit.

Eine Reihe weiter vorn kann Hrubesch auf die wuchtige Klara Bühl setzen, er hat die flankenstarke Svenja Huth, die in den Zwischenräumen gefährliche Linda Dallmann, die intelligente Sydney Lohmann, Neuling Vivien Endemann, außerdem Jule Brand, die sich, wenn sie in Form ist, ebenso zur effizienten Finte in der Lage zeigt. Und im Sturmzentrum gibt es Alexandra Popp, Lea Schüller, im Zweifel auch die eher zwischen den Linien lauernde Laura Freigang. Spielerinnen, die sich einige andere Nationen wünschen würden.

Die DFB-Auswahl muss sich erst wieder zu einem absoluten Top-Team entwickeln

Diese Qualität, die nach einem möglichen Umbruch und dem Ausscheiden routinierter Kräfte wie Popp oder Huth, immer noch auf einem hohen Level wäre, muss allerdings ausgeschöpft werden. Besser und häufiger. Dass die Belastung der Nationalspielerinnen in der jüngeren Vergangenheit gestiegen ist - körperlich wie mental -, darf bei all diesen Überlegungen nicht in Vergessenheit geraten. Ebenso, dass sie noch nicht vor Selbstvertrauen strotzen.

Natürlich sind das Faktoren, und natürlich sind Formschwankung normal. Dem eigenen Anspruch, wie eine Top-Nation zu agieren, wurde die Elf in den vergangenen Monaten aber zu selten gerecht. Daran muss sie sich messen lassen.

Kurzfristig dürfte es hilfreich sein, dass die Achse rund um die Wolfsburger Spielerinnen stabiler erscheint als noch im vergangenen Jahr. Doch um mittelfristig wieder zu einem absoluten Top-Team zu werden, braucht es mehr: Erstens wird vor allem das neue Trainerteam gefordert sein, das taktische Repertoire zu erweitern.

Zweitens werden konstante Leistungen, regelmäßige Nachweise der schon bewiesenen Klasse unabdingbar sein. Und drittens muss sich die Nationalelf die alte Selbstgewissheit zurückerarbeiten - nach und nach mit einzelnen Erfolgen. Die Qualifikation für Olympia wäre insofern ein wichtiger Anfang. Reichlich Arbeit bleibt aber so oder so.

Leon Elspaß