Nationalelf

Ende der Ära Joachim Löw: Das Positive überwiegt eindeutig

Zum Abschied des Bundestrainers

Ende der Ära Löw: Das Positive überwiegt eindeutig

Abschied nach 15 Jahren im Amt: Bundestrainer Joachim Löw.

Abschied nach 15 Jahren im Amt: Bundestrainer Joachim Löw. imago images

Als Joachim Löw (61) im Februar 2017 die kicker-Redaktion besuchte, wurde er gefragt, was ihn denn über die WM 2018 hinaus noch antreiben könne in seiner Position als weltmeisterlicher Bundestrainer. Sollte er in Russland den WM-Titel verteidigen, wäre nun wirklich alles erreicht. Und sollte die deutsche Mannschaft - was zu jenem Zeitpunkt wirklich nicht zu erwarten war - frühzeitig ausscheiden, würde es in diesem Falle mit der vertraglich vereinbarten Fortsetzung seiner Tätigkeit schwierig. Die EM 2020 zu gewinnen, antwortete Löw smart lächelnd, stelle doch auch noch ein spannendes Ziel dar. Inzwischen wissen wir: Der seit 2014er Weltmeister-Trainer Löw wird den EM-Titel nicht mehr abräumen, zumindest nicht als DFB-Chefcoach. Nach dem krachenden Scheitern beim Weltturnier 2018 und dem deftigen Rauswurf nach den drei Gruppenspielen ging das kontinentale Turnier 2020, das auf 2021 vertagt wurde, für Löw und die Seinen nun eine Runde länger als die WM vor drei Jahren, ehe Schluss war, 0:2 in Wembley gegen England und goodbye schon nach dem Achtelfinale.

Der eigentlich nette Herr Löw

Viermal trat Löw mit einer DFB-Auswahl zum europäischen Kick-Contest an, dreimal war er knapp dran an der Trophäe. 2008 wurde seine Auswahl erst im Endspiel von den Spaniern gebremst, 0:1. Diese Niederlage und dieser zweite Platz waren als positiv zu bewerten. Jens Lehmann hütete seinerzeit das Tor, ein Arne Friedrich verteidigte, Torsten Frings und Michael Ballack spielten im Mittelfeld, ehe sie später vom eigentlich netten Herrn Löw mit harter Hand ausgesondert wurden, genauso Kevin Kuranyi. Es war damals die von Löw gestaltete Zeit des Übergangs von der 2006er Heim-WM-Mannschaft, die dieser Coach noch als Assistent des kurzzeitigen Bundestrainers Jürgen Klinsmann begleitet - viele meinen: geprägt - hatte.

Der frische, fröhliche Fußball in Südafrika

2010 ging es richtig los. Nun reiste eine junge DFB-Delegation zum World Cup nach Südafrika, ohne ihren lädierten Star Michael Ballack, deswegen mit geringen Hoffnungen - und kehrte als WM-Dritter zurück, insbesondere aber als Löw-Mannschaft. Mit frischem, flottem, fröhlichem Fußball fegten die jungen Neuer, Lahm, Boateng, Schweinsteiger, Khedira, Müller, Kroos über England (4:1-Sieg) oder Argentinien (4:0) hinweg. Es war die Geburtsstunde der goldenen Generation der 2010er Jahre. Das 0:1 im Halbfinale gegen den späteren Champion Spanien war nur dem noch nicht ausgereiften Status dieser Gruppe geschuldet und absolut verzeihlich, denn da deutete sich Großes an für den deutschen Fußball. Doch erst nach einem erneuten Verzug. Denn 2012, bei der EM in Polen-Ukraine, hatte der Fußball-Lehrer Löw im Halbfinale gegen Italien eine eigenwillige Startelf ausgetüftelt, sein Plan mit Toni Kroos in der Mitte ging schief. Das 1:2-Aus hatte in erster Linie der Bundestrainer zu verantworten.

Wenn Löw nun zum Abschluss seiner 15-Jahre-Tour als Bundestrainer nach seinen bittersten Momenten gefragt wurde, betonte er nachdrücklich, dass Warschau, die Spielstätte jener Vorschlussrunden-Begegnung, "auf keinen Fall" inbegriffen sei, weil jene Niederlage den letzten Anschub gegeben habe für den WM-Triumph 2014. Sie "hat uns nochmals richtig zusammengeschweißt". In Telefonaten mit - Löw nennt die Namen - Lahm, Schweinsteiger, Khedira oder Klose "haben wir uns noch einmal eingeschworen auf das nächste Turnier", eben die Weltmeisterschaft in Brasilien, wo sich Löw an jenem 13. Juli 2014 in der Geschichte des Weltfußballs verewigte. Den 1:0-Sieg gegen Argentinien hatte er unmittelbar beeinflusst, weil er dem Siegtorschützen Mario Götze bei der Einwechslung zugeflüstert hatte: "Zeig' der Welt, dass du besser bist als Messi!" So entstehen Legenden, Mythen und moderne Märchen.

Joachim Löw

Weltmeister 2014 in Rio - Löws größter Erfolg. imago images

Die deutschen Spieler, der feinfüßige Mesut Özil, der Universalspieler Lahm, der Edeltechniker Kroos oder der Riese im Tor, Neuer, wurden zu Löws Zauberlehrlingen, die mit ihrem ästhetischen Stil die Fußballwelt be- und verzauberten. "Wir waren über Jahre in der absoluten Weltspitze", darf Löw bei seinem Abschied sagen, "wir waren die Benchmark." Und er darf genauso berechtigt hinzufügen: "Das ist für mich eine sehr große Befriedigung." Der Höhepunkt war - mit Blick auf den Status und die Statistik - nun jedoch erreicht. Es folgte kein Titel mehr, obwohl sich zwei Jahre danach die Chance noch einmal aufgetan hätte.

Die bitterste Niederlage war die in Marseille

2016, wieder Europameisterschaft. Dieses Mal in Frankreich. Halbfinale in Marseille gegen die Gastgeber. Nun spricht Löw von seiner "bittersten Niederlage", 0:2 gegen die Gastgeber, große Enttäuschung. Alle deutschen Beteiligten wussten, da wäre mehr drin gewesen. Aber immerhin Halbfinale, zum fünften Mal für diesen Bundestrainer bei der fünften Turnierteilnahme. Damit war es aber vorbei mit der Löw'schen Herrlichkeit. In Russland stürzte der Weltmeister bei der Mission Titelverteidigung brutalstmöglich ab. Der Cheftrainer geißelte sich später der Überheblichkeit, der übertriebene Ballbesitz sollte in der Konsequenz modifiziert werden zu einer Spielweise mit schnellem, zielgerichtetem Umschalten. Doch Löws Reformen fielen halbherzig aus, es holperte weiterhin, sodass der Erstverantwortliche einen harten Schnitt vornahm und Anfang März 2019 in einer Überfallaktion die drei Bayern-Profis Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller aussortierte. Es folgte zwar eine ansehnliche WM-Qualifikation mit Platz 1 in der Gruppe und nur einer Niederlage gegen die Niederlande, aber stabil wirkte dieses Gebilde nicht. Corona und die vielen Ausfälle wegen diverser Verletzungen führte Löw nun als Begründung für die Schwankungen dieser Mannschaft an, die selbst die reaktivierten Routiniers Hummels und Müller nicht festigen konnte.

Löw, eigentlich ein Freund und Prediger des schönen Spiels, gab sogar sein Ideal preis. Das Ziel heiligte die pragmatischen Mittel. Mit der totalen Hingabe und breiter Defensive sollte es der Titel werden. Löw wollte einen grandiosen Abschied und Fußball-Deutschland versöhnen. Dieser Selbstanspruch wurde erneut nicht erfüllt. Wenn der zuständige DFB-Direktor Oliver Bierhoff von der angepeilten Rückkehr in die Weltspitze nach dem Desaster 2018 redete und es jetzt wieder tut, so verweisen die Tatsachen die deutsche Nationalmannschaft allenfalls ins vordere Mittelfeld der globalen Hitparade. Löws aktuelle Hinterlassenschaft ist eine disparate Mannschaft ohne Statik und Struktur. Sein Vermächtnis insgesamt verweist allerdings sehr wohl auf eine gute, temporär sogar große Zeit des deutschen Fußballs.

Abschied mit einer "großen Enttäuschung"

Löw, ein sympathischer, umgänglicher Charakter, der sich jedoch zu oft rar machte und zu wenig auf das Tagesgeschäft des Fußballs Einfluss nahm, kramte nach Worten, als er nun sagen sollte, ob es nicht besser gewesen wäre, nach der entgleisten WM 2018 aufzuhören. Eine Antwort sei "schwierig", erklärte er, man habe sich nach 2018 eben "neue Ziele gesetzt", er wollte sich "der Herausforderung stellen" und die EM siegreich gestalten. Diesem Mandat kam er nicht mehr nach. Löws lange Periode mit 198 Länderspielen - inklusive die drei Spiele, die er gesperrt und krank fehlte - brachte dem deutschen Fußball 124 Siege, 40 Unentschieden und 34 Niederlagen bei 467:200 Toren. Dieser passionierte Fußball-Lehrer, der ohne Punkt und Komma über die Dreier- und Viererabwehr mitreißend dozieren konnte und gerne mal während des Trainings den Ball auf seinen Füßen tanzen ließ, verabschiedet sich "mit einer großen Enttäuschung", wie er im Nachklang immer wieder beteuerte. Und mag der letzte Eindruck auch als der nachhaltigste gelten, so wird in der Nachbetrachtung des Löw'schen Gesamtwerks doch das Positive eindeutig überwiegen.